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Israel vor Bodenoffensive im Gazastreifen: Politik und Militär sind gespalten
VonTadhg Nagel
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Die angekündigte israelische Bodenoffensive ist bisher ausgeblieben. Grund sind interne Zerwürfnisse von Regierung und Militär.
Update vom 27. Oktober, 20.31 Uhr: Israels Armee hat angekündigt, ihre Bodeneinsätze im Gazastreifen gegen die islamistische Hamas auszuweiten. Das teilte Militärsprecher Daniel Hagari am Freitagabend auf der Plattform X, vormals Twitter, mit. In den letzten Stunden habe das Militär seine Angriffe im Gazastreifen bereits verstärkt. Es würden vermehrt unterirdische Ziele und terroristische Infrastruktur angegriffen, erklärte er weiter.
Es blieb zunächst unklar, ob die Ankündigung den Beginn der weithin erwarteten Bodenoffensive des israelischen Militärs darstellte. Das israelische Militär hatte zuvor bereits vereinzelte, zeitlich eng begrenzte Vorstöße am Boden gemacht.
Erstmeldung vom 27. Oktober, 16.40 Uhr: Tel Aviv/Gaza – Israelische Truppen sollen am Donnerstag (26. Oktober) mit Panzern in den Gazastreifen vorgerückt sein, um dort militärische Ziele zu zerstören, wie ein Sprecher der israelischen Armee mitteilte. Nachdem von den Hamas genutzte Infrastruktur sowie einer Raketen-Abschussrampe angegriffen worden waren, zogen sich die Soldaten nach Angaben des Armeesprechers zurück. Die israelische Armee bezeichnete die Aktion als Vorbereitung „für die nächsten Kampfphasen“ im Krieg in Israel.
Ähnliche Vorstöße hatte es in den vergangenen Wochen seit dem Überfall der islamistischen Hamas-Miliz auf Israel bereits mehrfach gegeben. Zudem führt die israelische Luftwaffe kontinuierlich Luftangriffe auf den Gazastreifen durch. Zu einer kurz nach dem Übergriff durch den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant angekündigten großangelegten Bodenoffensive ist es hingegen noch nicht gekommen.
An der militärischen Stärke scheint das nicht zu liegen; Zehntausende israelische Soldaten stehen an der Grenze zu Gaza bereit. Vielmehr scheint Uneinigkeit darüber zu herrschen, wie weiter vorgegangen werden soll. Israels politische und militärische Führer sind sich uneins darüber, wie, wann und sogar ob einmarschiert werden soll. Das berichtet die New York Times unter Berufung auf sieben hochrangige Militärs und drei israelische Beamte.
Bisher keine Bodenoffensive im Krieg in Israel – USA raten von schnellem Einmarsch ab; Geiseln gehen vor
Eine Rolle spielt dabei sicherlich, dass die USA Israel noch am Montag (23. Oktober) von einer baldigen Bodenoffensive abgeraten haben. Die US-Regierung erhofft sich damit laut ARD-„Tagesschau“ mehr Zeit für Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln. Über 200 Personen sollen sich noch in den Händen der Hamas befinden. Zudem gehe es um das Vermeiden weiterer ziviler Opfer und darum, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bekommen. Obendrein wolle sich das weiße Haus auf Angriffe pro iranischer Gruppen auf US-Ziele vorbereiten, denn man rechne bei einem Einmarsch Israels in den Gazastreifen mit deren Zunahme.
Laut dem Bericht der New York Times, liegt die Priorität der israelischen Regierung ebenfalls auf der Freilassung der Geiseln. Daher wolle man auch die Verhandlungen mit den Hamas nicht gefährden, bei denen Katar eine vermittelnde Rolle einnimmt. Die israelische Regierung sei sich einig, dass diesen Gesprächen mehr Zeit eingeräumt werden soll, um Fortschritte zu erzielen und vielleicht auch die Freilassung der gefangenen Frauen und Kinder zu erreichen. Allerdings herrsche zwischen dem militärischen Establishment und Teilen der Regierung Netanjahu Uneinigkeit darüber, was zu tun sei, wenn die Verhandlungen scheitern.
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
Abgesehen von den Geiseln gebe es auch Bedenken über die Kosten der Operation und die Ungewissheit darüber, was genau es bedeuten könnte, die Hamas zu zerstören. Immerhin sei diese sowohl eine soziale Bewegung als auch eine militärische Kraft und sehr tief in der Gesellschaft des Gazastreifens verankert. Auf die Frage, woran die Armee erkennen würde, dass die Hamas zerschlagen sei, hatte der israelische Oberstleutnant Richard Hecht bei einer Pressekonferenz eine Woche nach dem Angriff geantwortet: „Das ist eine wichtige Frage, und ich glaube nicht, dass ich im Moment in der Lage bin, sie zu beantworten“.
Uneinigkeit zwischen Premierminister und Militär – Invasionsplan von Netanyahu nicht unterzeichnet
Die militärische Führung habe bereits einen Invasionsplan ausgearbeitet, den Netanjahu jedoch nicht unterzeichnet habe. Einerseits liege das daran, dass er die Zustimmung aller Mitglieder des Kriegskabinetts wolle. Andererseits, so würden einige Analysten glauben, könne es daran liegen, dass Netanyahu sich vor dem schwindenden Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Führung fürchte und nicht für ein Scheitern der Operation verantwortlich gemacht werden wolle. Eine Stellungnahme gegenüber der Zeitung habe sein Büro abgelehnt. Satt dessen habe man auf eine Rede verwiesen, die Netanyahu am Mittwochabend (25. Oktober) hielt. In dieser hatte er wiederum versprochen die Hamas zu vernichten, jedoch ohne bei Methode oder Zeitpunkt konkreter zu werden.
Diese Zweideutigkeit spiegle die Uneinigkeit des israelischen Kabinetts wider, ob man eine vollständige Invasion des Gazastreifens genehmigen solle. Einige Parlamentarier würden befürchten, dass ein Einmarsch die israelische Armee in eine unlösbare Häuserkampfsituation im Gazastreifen verwickeln könnte. Andere hätten Angst vor einem umfassenderen Konflikt, bei dem die mit der Hamas verbündete libanesische Hisbollah-Miliz Langstreckenraketen auf israelische Städte abfeuert. Zudem gebe es eine Debatte darüber, ob die Invasion in einer großen Operation oder in einer Reihe kleinerer Operationen durchgeführt werden soll. Und dann sei da noch die Frage, wer den Gazastreifen regieren würde, wenn Israel ihn einnimmt.
Sollen die Geiseln befreit oder die Hamas zerstört werden – Unvereinbare Ziele im Krieg in Israel
Im militärischen Establishment sei man derweil besorgt, dass Israels Ziele verwischt werden könnten, falls Netanjahu sein Versprechen einlöse, sich gleichzeitig um die Befreiung aller Geiseln zu bemühen und zu versuchen, die Hamas zu zerstören. Das erste Ziel erfordere Verhandlungen und ein Entgegenkommen mit der Hamas-Führung, während das zweite die Vernichtung der Hamas erfordere – schwer zu vereinende Vorhaben. Verteidigungsminister Yoav Gallant hatte in der Folge die Rettung der Geiseln ausdrücklich nicht als eines der militärischen Ziele Israels bezeichnet. Das bringe die interne Spaltung besonders deutlich zum Ausdruck, so die Zeitung.
Auffällig sei auch, dass sich Premierminister Netanyahu seit dem Hamas-Angriff ungewöhnlich isoliert gezeigt habe. Seine Umfragewerte waren zuletzt stark zurückgegangen. Zudem wird er, zusammen mit seiner Regierung, für das katastrophale Versagen der israelischen Sicherheitsbehörden verantwortlich gemacht. Nur wenige Mitglieder seiner Regierung hätten ihm seither ihre uneingeschränkte Rückendeckung gegeben, so die New York Times. Mögliche Fehler der Regierung würden die meisten jedoch erst nach dem Ende des Krieges untersuchen wollen. (tpn)