Russlands hybrider Krieg
Moldau: Die EU als Hoffnung gegen Putin
VonKathrin Braunschließen
Mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs fühlt sich auch das kleine Nachbarland Moldau von Russland bedroht. Die Bevölkerung des Ex-Sowjetstaats stimmt in wenigen Wochen über eine EU-Mitgliedschaft ab. Der Kreml arbeitet mit Hochtouren daran, das Land zu destabilisieren – und bezahlt sogar die Bürger für prorussische Proteste.
Vielleicht war ihnen die Pfalz zu nah, Bordeaux zu teuer und die Toscana zu touristisch. Die deutsche Reisegruppe hat sich jedenfalls für eine Weintour durch Gaga㈠usien entschieden, ein autonomes Gebiet im Süden Moldaus, das so gut wie niemand kennt, an dem es weder Berge noch Strände gibt – dafür aber weite Steppen und guten Wein. Etwas schweigsam sitzen die Rentner da, bei geschmortem Lammfleisch und gekochten Kartoffeln, in einem Restaurant, in das sich hin und wieder mal Touristen verirren, nicht aber die Bewohner Gagausiens.
„Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Menschen aus anderen Ländern unsere guten, alten Traditionen zu zeigen“, sagt Anna Statova auf Russisch. Die Frau mit den glänzenden, schwarzen Haaren und dem traditionellen Kleid ist die Besitzerin des „Gagauz Sofrasi“, einer Wirtschaft in der „Leninstraße“ in der Stadt Congaz, in der es neben dem Restaurant auch ein paar Gasthäuser, einen Weinkeller und ein kleines Museum gibt. Es riecht nach warmem, hausgemachtem Brot, im Hintergrund läuft gagausische Volksmusik, die Mitarbeiterinnen tragen Kopftücher, Schürzen und Trachten.
Gagausien ist eine der ärmsten Regionen Moldaus
Abseits dieses hübschen Spektakels sieht die Realität völlig anders aus. Heruntergekommene Hütten mit Wellblechdächern, rostige Autos, herrenlose Welpen. Viele Menschen haben hier nur erschwerten Zugang zu Strom und Wasser. Es ist eine der ärmsten Regionen in einem der ärmsten Länder Europas, das bis 2030 ein Mitglied der Europäischen Union sein möchte– und sein Volk in wenigen Wochen darüber abstimmen lassen will. Ernsthafte Chancen hat das Land erst seit Ausbruch des Kriegs, denn Moldau teilt sich eine 1222 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine. Die Regierung fürchtet, irgendwann könnte sie Putins nächstes Ziel sein. Seit Ende Juni laufen die Beitrittsverhandlungen.
In Gagausien stellt man sich quer. Etwa 160 000 Menschen des turkstämmigen Volkes der Gagausen leben hier, sie machen etwa fünf Prozent der moldauischen Bevölkerung aus. Die meisten sprechen Russisch. Rumänisch, die Amtssprache Moldaus, beherrschen nur die Wenigsten. Anders als das prorussische Separatistengebiet Transnistrien im Nordosten des Landes gehört Gagausien offiziell zu Moldau – trotzdem verfügt es über ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Die Region ist ihr eigener Kosmos, in dem Putin mehr Held als Aggressor ist. Sowohl Transnistrien als auch Gagausien haben Russland Anfang des Jahres um Schutz gebeten. Die Gouverneurin, Evghenia Gutsul, wirft der Regierung Moldaus vor, die Rechte der Gagausen zu unterdrücken. Sie war lange Sekretärin der SOR-Partei, die erst vor einigen Wochen für verfassungswidrig erklärt wurde – und von dem Oligarchen Ilan Shor gegründet wurde, der in Moldau zu einer 15-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Inzwischen soll er sich wohl in Moskau verstecken.
Ein Freizeitpark als Propaganda-Show
Der Millionär gilt als Handlanger des Kreml und Strippenzieher der prorussischen Kräfte in Moldau. Nur ein paar hundert Meter von Anna Statovas Restaurant entfernt steht sein neuestes Propaganda-Projekt: GagauziyaLand, ein Freizeitpark, der für alle Besucher gratis sein soll. Der Park erinnert an eine verlassene Jahrmarkt-Ruine, die Fahrgeschäfte sind bereits mehrere Jahrzehnte alt – obwohl er erst vor wenigen Wochen eröffnet hat. Einige Besucher sollen ihn schon mit Knochenbrüchen verlassen haben, erzählt man sich in Moldau.
Von Congaz bis zur Hauptstadt Chisinau sind es keine zwei Stunden mit dem Auto. Die meiste Zeit fährt man an Weinfeldern und vertrocknetem Mais vorbei. Zwischendurch überholt man Anwohner, die sich mit Pferden durch die Straßen karren lassen. Chisinau, nur halb so groß wie München, wirkt dagegen wie eine Weltmetropole. Grüne Parkanlagen, gemütliche Cafés, Porsche Cayennes. Aber auch: zerfallene Wohnblöcke, stalinistische Bauten. In einem davon hat die Präsidentin Maia Sandu ihren Amtssitz – ein schauriger weißer Palast mit schwarzen Glasfassaden.
Moskau flutet das Land mit Desinformationen
Dort wird man wegen des russischen Einflusses immer nervöser. In einem Monat, am 20. Oktober, will sich Sandu als Präsidentin wiederwählen lassen – und am gleichen Tag findet auch ein landesweites Referendum über eine EU-Mitgliedschaft statt. Moskau flutet das Land mit Desinformationen, bereits hunderte Millionen Dollar wurden dieses Jahr in Kreml-Propaganda investiert. Der Kreml inszeniere auch immer wieder prorussische Proteste in Chisinau: Einfache Bürger würden dafür bezahlt, gegen einen EU-Beitritt zu protestieren. „Das ist ein offenes Geheimnis. Die Bürger tauschen sich in öffentlichen Verkehrsmitteln darüber aus, wie viel Geld sie fürs Demonstrieren bekommen haben und brechen die Proteste exakt nach zwei Stunden ab, wenn sie nur für die Dauer bezahlt wurden“, erzählt eine regierungsnahe Quelle. „Sie sind von der politischen Botschaft nicht überzeugt, aber sie brauchen das Geld. Das ist die traurige Wahrheit: Viele Menschen sind hier so arm, dass sie sich mit Schmiergeldern aus Moskau sehr leicht instrumentalisieren lassen.“
Die Chance auf einen EU-Beitritt gibt vielen Moldauern Hoffnung auf mehr Wohlstand. Gleichzeitig ist man sich im Präsidentenpalast bewusst, dass das Land in seinem jetzigen Status keine Chance auf eine Mitgliedschaft hat: Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Moldau gerade mal auf Platz 76 von 180 Ländern. Vor allem das Justizsystem ist betroffen, sagt Valeriu Pasha, Politologe im moldauischen ThinkTank WatchDog. „Viele Richter und Staatsanwälte sind bestechlich, und das ist wohl der größte Schwachpunkt Moldaus“, erklärt er. Gleichzeitig würden prorussische Oppositionelle alle Versuche einer Justizreform blockieren. „Die Justizreform war ein Wahlversprechen der Regierungspartei PAS, aber sie geht nur schleppend voran“, sagt Pasha. „Das macht viele Wähler unzufrieden.“ Der Experte vermutet, dass die Moldauer im Oktober trotzdem für Sandu und die EU stimmen werden. Sandu genießt einen guten Ruf, weil sie als bodenständig gilt – als jemand, der ein kleines Auto fährt und auch mal Economy fliegt. Kritischer sieht es für die Parlamentswahlen 2025 aus. „Da könnte ihre Partei durchaus abgestraft werden“, sagt Pasha. Für die prorussischen Parteien im Parlament wäre das eine Riesenchance. So wie für Wladimir Putin, der in Moldau einen weiteren Marionettenstaat wie Belarus wittert.

