Wahlkampf-Endspurt
Grüne und Linke kämpfen um dieselben Stimmen – „massive Negativkampagne“ zur Bundestagswahl
VonMoritz Maierschließen
Kurz vor der Bundestagswahl raten immer mehr Grüne davon ab, die Linke zu wählen. Im Wahlkampfendspurt entbrennt ein Kampf um die Stimmen im progressiven Lager.
Berlin – Als die Abstimmung zum Fünf-Punkte-Plan der Union und Friedrich Merz mit Stimmen der AfD eine Mehrheit fand, waren sich viele einig, wem das am meisten nützt: der AfD. Einige spekulierten damals aber auch, dass sich Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte nun in Richtung der Grünen orientieren könnten. Sie widersprachen dem CDU-Vorstoß entschieden, das aber ohne Analogien zum Aufstieg der Nazis zu verwenden, wie es die SPD tat. Wenige Tage vor der Bundestagswahl zeigt sich beim Blick auf die Umfragen: Gewinner der Zeit nach dem vorgeworfenen Fall der Brandmauer ist eine andere Partei: die Linke. Das sorgt bei den Grünen nun für eine Negativkampagne gegen Links – so zumindest der Vorwurf aus dem Karl-Liebknecht-Haus.
Linke beschwert sich vor Bundestagswahl über Grüne
„Ich muss mich wirklich sehr wundern: Die AfD steht bei 20 Prozent und die Grünen nutzen die letzten Tage des Wahlkampfes für eine massive Negativkampagne in den sozialen Medien gegen uns Linke, anstatt gegen die rechte Gefahr zu mobilisieren“, sagt Janis Ehling, Bundesgeschäftsführer der Linken, gegenüber der Frankfurter Rundschau. Er bezieht sich auf geschaltete Wahlwerbung der Grünen, die in den vergangenen Tagen online gingen. Darin zeigen Grüne auf, wieso Menschen aus ihrer Sicht Grün statt Links wählen sollten.
„Alle wollen regieren, die Linke will verändern. Genau da ist das Problem. Gib mir 30 Sekunden, um das zu erklären“, heißt es etwa in einem Werbespot der Heidelberger Grünen Frieda Feuerstein. Die Argumentation: Die Linke will nicht in Regierungsverantwortung, damit wird sie auch keine politischen Veränderungen bewirken. In den Bundestag komme sie so oder so, deshalb sollten die Menschen lieber Grün wählen, um sie stark genug für eine Regierungsoption zu machen.
Auch Bundesaußenministerin und Grünen-Co-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock geht mit dieser Linie auf Stimmenjagd im progressiven Wählerlager. „Deine Stimme hat bei den Grünen am meisten Effekt“, sagt sie darin. Mit einem Kreuz für Kleinparteien sei diese verloren. Dann nimmt Baerbock direkt Bezug auf die Linke: „Eine Partei zu wählen, die von vornherein ausschließt, zu regieren, drückt sich vor der Verantwortung, in schwierigen Situationen das Richtige zu tun.“
Vor Bundestagswahl: Linke im Hype – Grüne besorgt
Die zielgerichteten Wahlwerbungen für Menschen, die politisch zwischen Parteien wie den Grünen, den Linken oder auch der programmatisch ähnlich auftretenden Volt stehen, sind wohl eine Reaktion auf die jüngsten Wahlumfragen. Die noch vor wenigen Monaten totgesagte Linke erlebt in den sozialen Netzwerken einen regelrechten Hype, steht nun oft bei über sieben Prozent. Viele Wählerinnen und Wähler davon könnten sich laut Befragungen auch vorstellen, Grün zu wählen.
Bei der Linken sorgen die Anzeigen für Verärgerung, sie wünscht sich im progressiven Lager lieber einen gemeinsamen Kampf gegen Rechts: „Dabei haben die Hunderttausenden, die in den letzten Wochen gegen die Kumpanei von Friedrich Merz mit der AfD auf die Straße gegangen sind, eine klare Botschaft: Gemeinsam gegen Rechts und nicht Grün gegen Links. Daran möchte ich die grüne Parteizentrale im Wahlkampf-Endspurt gerne noch einmal erinnern“, sagt Ehling.
Dass Parteien in Wahlkampf Bezug auf Mitbewerber machen, ist nichts Ungewöhnliches, die Grünen sind keine Ausnahme. Auch CDU und FDP werben jeweils um Stimmen der anderen Wählerschaft. Auffallend ist allerdings, dass die direkten Ansagen an potenzielle Linken-Wählerinnen und Wähler nun vermehrt auftreten – mitten im Linken-Hoch. Das zeigt ein Blick auf die öffentlich einsehbaren Analysen von geschalteten Werbeanzeigen der Parteien in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram und YouTube. Auch die SPD fällt mit solchen Anzeigen auf. Damit ist kurz vor der Wahl endgültig der Kampf um die progressiven Stimmen ausgebrochen.
Stimme für oder gegen Grün entscheidend für nächste Bundesregierung
Die Grünen verweisen auf Nachfrage auf übliche Vorgänge ihrer Wahlwerbung. „Der überwältigende Teil unserer Werbemaßnahmen dient dazu, unser Angebot an die Wählerinnen und Wähler deutlich zu machen. Wir treten ein für Klimaschutz, für günstige Preise, Investitionen in die Bahn, in Kitas und Schulen. Dafür kämpfen wir und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagt der Grüne Wahlkampfleiter Andreas Audretsch der Frankfurter Rundschau. „Ergänzend posten wir in geringem Umfang – wie andere Parteien – Inhalte in den sozialen Medien, die auf unsere Wettbewerber eingehen.“
Dass die Linken in den Bundestag einziehen, gilt für viele Beobachterinnen und Beobachter mittlerweile als gesetzt. Wer die bei dieser Wahl auf Rekordniveau hohe Anzahl an noch unentschlossenen Wählerinnen und Wähler im progressiven Lager noch für sich begeistern kann, ist für die künftige Bundesregierung von enormer Bedeutung. Zum einen entscheidet sich dadurch, ob es für eine Zweierkoalition – entweder aus Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün – reicht. Zum anderen könnten mehr Stimmen für Grün, Links oder SPD ausschlaggebend dafür sein, mit wem Friedrich Merz seine Regierung ergänzen will.
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