SPD fährt „Doppelstrategie“
Klingbeil „steht nun als Nummer eins da“: Wie es nach der Bundestagswahl bei der SPD weitergeht
VonMoritz Maierschließen
Peter Siebenschließen
SPD-Chef Klingbeil gilt als Kandidat für einen hohen Posten nach der Bundestagswahl, ebenso Minister Pistorius. Bleibt ein Ministerposten nur für einen?
Berlin – Er hätte auch sagen können: „Olaf Scholz ist der beste.“ Hat er aber nicht. Mitte November sagte SPD-Chef Lars Klingbeil im Interview mit dieser Redaktion auf die Frage, ob nicht Boris Pistorius als beliebterer Politiker der bessere Kanzlerkandidat sei: „Es ist ein Trugschluss zu sagen: Wir tauschen jetzt den einen gegen den anderen aus, dann wird alles besser.“ Es gehe um „inhaltliche Fragen“, so Klingbeil. Keine Rede von „Olaf Scholz ist der richtige Mann“. Stattdessen: „Deswegen bin ich in diesen Tagen im Land unterwegs, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und zu erfahren, was ihnen wichtig ist.“
Vor Bundestagswahl: Lars Klingbeil soll Scholz zum Verzicht aufs Kanzleramt gedrängt haben
Zuletzt hieß es in Medienberichten, Lars Klingbeil habe Scholz mehrfach zum Verzicht auf die Kanzlerkandidatur gedrängt. Aus der SPD-Parteispitze gab es ein Dementi. Ob nun was dran ist oder nicht: Eine neue Generation von Sozialdemokraten scheint sich in diesen Tagen vor der Bundestagswahl auf eine Zeit nach Olaf Scholz vorzubereiten. Lars Klingbeil, dessen Karriere in der Partei seit 2017 steil bergauf ging, wird als heißer Kandidat für das Amt des Vizekanzlers gehandelt, auch Boris Pistorius ist im Gespräch.
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Nicht unrealistisch findet das Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke. „Auf den ersten Blick spricht sehr viel für Klingbeil als nächsten Vizekanzler“, sagte er im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Wenngleich: „Der Vizekanzler-Posten ist der begehrteste für die SPD. Er muss aber nicht der mächtigste sein.“ Denn ein großer Ministerposten geht damit nicht automatisch einher.
„Klingbeil weiß, dass er nach der Wahl mit Merz an einem Tisch sitzen muss“
Aktuell ist Klingbeil medial zwar sehr präsent – hält aber nicht unbedingt Dauerfeuer auf die hochkochenden Debatten, etwa um den jüngsten Merz-Vorstoß und die Abstimmung zum umstrittenen Migrationsgesetz der Union. Das mag Teil einer vorausschauenden Strategie sein, glaubt von Lucke. „Er weiß, dass es nach der Wahl mit Merz an einem Tisch sitzen muss – und das wird er, er hat die Partei organisiert, er steht nun als Nummer Eins da.“ Anders Noch-Kanzler Olaf Scholz, der jetzt – für ihn eher untypisch – immer wieder mit sehr deutlichen Worten gegen die Opposition schießt. „Wir erleben bei der SPD eine Doppelstrategie, mit Olaf Scholz und Rolf Mützenich als zwei aggressive Frontrunner“, so Experte von Lucke. „Scholz ist nach der Wahl aus dem Rennen und versucht bis dahin noch alles herauszuholen. Bei Mützenich ist es ähnlich.“ Letzterer geriet für seine Harschen Worte gegen die CDU („Tor zur Hölle“) sogar von progressiven Beobachtern in die Kritik.
Pistorius und Klingbeil in Beliebtheitsumfragen vor Scholz
Klar ist: Sowohl Pistorius, der nach dem Ampel-Aus von Teilen der SPD – unter anderem beim mächtigen NRW-Landesverband – als Kanzlerkandidat favorisiert worden war, als auch Klingbeil schneiden bei Beliebtheitsumfragen besser ab als Olaf Scholz. Ein Machtkampf der beiden, der im Bruch endet, ist in dieser Form aber nicht zu erwarten: „Die SPD ist in der Spitze so schwach aufgestellt, dass sie sich gar nicht leisten kann, auf jemanden wie Klingbeil oder Pistorius zu verzichten“, sagt Albrecht von Lucke.
Was heißt das also für die Zeit nach der Bundestagswahl, aus der die Union wahrscheinlich als stärkste Kraft hervorgehen wird? „Bei einem Ergebnis von deutlich unter 20 Prozent wird es für die SPD in einer Koalition nicht viele gute Posten geben. Bei Klingbeil und Pistorius könnte einer den Vizekanzler machen, der andere den Fraktionsvorsitzenden“, schätzt von Lucke. Da selbst die Union mit Pistorius als Verteidigungsminister zufrieden ist, scheint dieser Posten gesetzt. Anders sieht es bei Hubertus Heil, dem dritten starken Mann in der SPD (wie Klingbeil und Pistorius ebenfalls aus Niedersachsen), aus. Dieser will gerne Arbeits- und Sozialminister bleiben. Aus Unionskreisen hört man jedoch, dass die CDU gerne ein starkes Arbeits- und Wirtschaftsministerium schaffen will; mit Noch-Generalsekretär Carsten Linnemann an der Spitze. Für Heil könnte es also eng werden.
Für Klingbeil gibt es keine einfache Lösung
Da der Verteidigungsminister noch nie der Vizekanzler war, scheint fraglich, ob mit Pistorius nun mit dieser Tradition gebrochen würde. Möglich wäre also ein Ministerium mit weniger Gestaltungsspielraum für Klingbeil – dafür mit Rang des Vizekanzlers. Die mächtigere Position innerhalb der SPD wäre der Fraktionsvorsitz. Als Fraktionsvorsitzender in einer Regierung ließen sich allerdings nicht die scharfen Oppositionsreden halten. Jede Option hat also ihr Für und Wider. „Letztlich hängt es davon ab, wie sich die nächste Koalition und die SPD intern einigen“, so von Lucke. Sein Fazit: „Hubertus Heil will gerne Arbeitsminister bleiben, Pistorius ist erste Wahl für die Verteidigung. Insofern ist der Posten des Fraktionsvorsitzenden für Klingbeil naheliegend.“
Rubriklistenbild: © Peter Sieben, Geert Vanden Wijngaert, Sina Schuldt/dpa (Fotomontage)


