Teils scharfes Verhör in Brüssel
Kallas‘ klare Kante im Kreuzverhör: „Russland hat letzten Kolonialkrieg noch zu verlieren“
VonFlorian Naumannschließen
Kaja Kallas soll EU-Außenbeauftragte werden. Es wäre ein klares Signal an Putin. In der Parlamentsbefragung offenbaren sich aber Gräben.
Aus Brüssel berichtet Florian Naumann
Bald soll Kaja Kallas Europas Stimme für den Rest der Welt sein. Doch am Ende von drei Stunden Kreuzverhör in Brüssel klingt die designierte Außenvertreterin der EU erstmal heiser. Vor Antritt des Postens setzt das EU-Prozedere eine Anhörung im Parlament. Und bereits die Fragen und die Reaktionen der Abgeordneten am Dienstagvormittag (12. November) verraten einiges über die Probleme der EU und der Welt. Mehr noch vielleicht als Kallas‘ Antworten.
In der vierten und letzten Befragungsrunde erkundigt sich der AfD-Abgeordnete Hans Neuhoff, ob die EU die Ukraine auch ohne Hilfe der USA unterstützen wolle. Wie schon bei anderen Wortmeldungen von Rechtsaußen klatschen ein, zwei Personen im Saal. „Sie haben definitiv einen Fan“, sagt Kallas. Und dass sie nicht über Donald Trumps Pläne spekulieren werde. Schon zuvor hatte sie berichtet: Mit Trumps Vize J.D. Vance sei sie bereits persönlich bekannt.
Im Allgemeinen halten sich die Zuhörer mit Applaus zurück. Den größten gibt es aber stets für klare Ansagen in Richtung Russland. Etwa als Kallas sagt, „um besser zu werden“, müsse ein Land „seinen letzten Kolonialkrieg verlieren“. Bei Russland sei das noch nicht geschehen.
Klare Kante gegen Russland: Kaja Kallas will mehr Rüstung – aber kein EU-Militär
Es liegt nahe zu vermuten, dass ihre Russland-Positionen Kallas zur Kandidatin für das Amt gemacht haben. Kallas war Estlands Ministerpräsidentin – und hat in dieser Rolle eindringlich auf Maßnahmen gegen russische Aggressionen gepocht. Ihre einführenden Worte beginnt Kallas mit dem Verweis auf ihre Biografie. Einerseits, als kleine Geste der Verbrüderung, auf ihre Vergangenheit als Europaabgeordnete. Dann folgt indirekt schon Russland als Elefant im Raum: Sie sei in der Sowjetunion geboren, sagt Kallas, „hinter dem Eisernen Vorhang“ aufgewachsen und kenne gerade deshalb den Wert der Freiheit.
Das darf als Gruß an Putins direkte und indirekte Unterstützer in der EU gewertet werden. Die kommen im Europaparlament aus den Fraktionen der „Patrioten“ und „Souveränisten“ und halten sich bei den Fragen an Kallas nicht zurück. Auch die Linke beklagt Kriegsopfer in der Ukraine – die Stoßrichtung ist klar. Kallas‘ Antwort aber auch.
„Jeder will Frieden, aber es gibt verschiedene Arten von Frieden“, sagt Kallas etwa – wieder auf eine AfD-Frage. „Wir wollen einen nachhaltigen Frieden. Wenn wir dem Aggressor nachgeben und sagen, ‚nimm dir was du willst‘, würden alle möglichen Aggressoren auf der Welt daraus lernen“, warnt sie. Europa sei in der Pflicht, vor allem beim Produzieren von Munition und Investitionen in Rüstung. „Wenn man Verteidigung braucht, ist es zu spät dafür“, betont sie. Eigene EU-Militärstrukturen will Kallas hingegen nicht – Parallelstrukturen zu Nato und nationalen Armeen sorgten im Konfliktfall nur für „Verwirrung“, lautet ihr Argument. Für die Ukraine forderte sie einen deutlichen Weg Richtung EU.
Nicht nur Ukraine: EU-Abgeordnete liefern eindrucksvolle Liste an Problemen
Klar wird aber auch: Die Liste der Probleme ist lang – offenbar zu lang, um alles in der Eröffnungsrede zu erwähnen. Die Arktis, Kuba, Venezuela, Afrika, die Lage in Taiwan, scharfe Fragen zur Lage in den Palästinensergebieten und Israels Kriegsführung sind Thema. Abgeordnete vermissen auch Einlassungen zu Belarus oder zur Situation der Frauen in der Welt und in Kriegsgebieten. Letztere Frage lässt Kallas kurz nach Worten ringen. Zum Nahost-Konflikt wiederholt Kallas gebetsmühlenartig: Sie sei für den Frieden.
Gewünscht hätten sich mehrere Abgeordnete das Thema Menschenrechte in Kallas‘ Rede. Die seien ohnehin Grundlage allen Handels der EU, kontert die. Und: „Können wir immer nur mit perfekten Demokratien zusammenarbeiten? Nein, leider nicht, wir müssen dem zusammenarbeiten, was sich uns bietet.“ Überhaupt müsse Europa mehr zuhören – und zur Kenntnis nehmen, dass geografische Regionen wie Südamerika oder Bündnisse wie BRICS keine homogenen Blöcke seien. Als Hauptgefahren nennt Kallas Nordkorea, Iran, auch China. Und natürlich Russland.
EU-Außenbeauftragte aus Nachbarland Russlands: „Da gibt es keine Illusionen“
Der deutsche EU-Außenpolitiker Sergey Lagodinsky sieht Kallas’ Perspektive als Ex-Regierungschefin eines Nachbarlands Russlands als wichtigen Faktor für ihr Wirken. Als baltische Politikerin wisse Kallas, „was es bedeutet, in unmittelbarer Nähe zu einer aggressiven imperialen Großmacht zu leben“, sagt er IPPEN.MEDIA: „Da wird es keine Illusionen gegenüber dem Kreml geben.“ Zugleich gehöre die 47-jährige Kallas einer anderen Politikergeneration als Noch-Außenrepräsentant Josep Borrell an.
„Das war eine sehr interessante Erfahrung. Auf ihrem Platz zu sitzen ist wesentlich komfortabler als auf meinem.“
Ob Kallas tatsächlich das Amt bekommt, steht noch nicht fest. Ob sie „qualifiziert“ ist, bewerten die zuständigen Ausschusskoordinatoren. Auch eine weitere Anhörung ist möglich. Am Ende stimmt erst das Europaparlament über eine Bestätigung der gesamten Kommission ab, frühestens Ende November. Dann müssen noch die Staats- und Regierungschefs zustimmen. Die hatten Kallas zwar schon nominiert. Aber politische Hakeleien sind an mehreren Stellen möglich – Kandidaten können als „Geisel“ genommen werden, um eigene Favoriten durchzudrücken, wie es im Brüsseler Duktus heißt.
Lagodinsky glaubt indes nicht, dass Ursula von der Leyens Kommission im Prozess noch scheitert – „weil es eine Art politischen Nicht-Angriffspakt zwischen den Sozialisten und Konservativen gibt; eventuell teils auch mit den Liberalen”, wie er sagt. Das „höchste der Gefühle” sei wohl ein „Denkzettel” mit Blick auf Giorgia Melonis Parteifreund Raffaele Fitto – eventuell könne das Parlament verhindern, dass der Postfaschist nicht nur Kommissar, sondern auch Vizepräsident wird. Auch Fitto wurde am Dienstagmorgen ins parlamentarische Kreuzverhör genommen. Und erhielt teils scharfe Kritik. (fn)
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