Wiedervereinigung rückt in weite Ferne

Kim Jong-un eskaliert weiter: Nordkorea will Verbindung zum Süden „vollständig kappen“

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Kim Jong-un will alle Verkehrsverbindungen zum Süden abschneiden. Nordkoreas Diktator sende mit dem Schritt zwei Botschaften, sagt ein Experte.

Der vielleicht einsamste Bahnhof der Welt liegt in Südkorea, nur ein paar hundert Meter entfernt von der Grenze zum Norden. Das Gebäude ist knapp 25 Jahre alt, sieht bei einem Besuch Ende Juli aber aus, als hätte man es erst gestern errichtet. Alles wirkt neu hier, die frisch gewischten Steinböden glänzen, die Toiletten sind makellos sauber.

In der lichtdurchfluteten Bahnhofshalle weist eine Anzeigentafel den Weg zum Bahnsteig, von dem die Züge in Richtung Pjöngjang abfahren. Doch ein Zug hält hier schon lange nicht mehr, zuletzt überquerte im November 2008 ein Güterzug die Grenze zwischen den beiden Ländern, die sich noch immer im Kriegszustand befinden. Der Bahnhof Dorasan ist heute trauriges Symbol für eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat: Eigentlich sollte die Schienenverbindung zwischen Süd- und Nordkorea die beiden Staaten nicht nur wirtschaftlich enger zusammenbringen, sondern auch politisch.

Nordkorea – Kim Jong-uns abgeschottete Diktatur

Menschen an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea
Nordkorea ist das wohl geheimnisvollste Land der Erde: eine totalitäre Diktatur, in der der Einzelne nichts zählt, ohne Freiheiten und Menschenrechte, abgeschottet vom Rest der Welt. Schätzungsweise 26 Millionen Menschen leben in dem Land, das im Norden an China und Russland grenzt und im Süden an das freiheitliche, demokratische Südkorea. Nordkoreas Grenzen sind für die meisten Menschen unüberwindbar – kaum einer kommt rein, noch weniger Menschen kommen raus.  © Ed Jones/afp
Die Skyline von Pjöngjang
Hauptstadt sowie kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Landes ist Pjöngjang. Rund drei Millionen Menschen leben in der nordkoreanischen Metropole, die so anders ist als die anderen Mega-Städte Asiens. Pjöngjang ist grau, geprägt von Hochhäusern, gesichtslosen Wohnblöcken und gigantischen Monumenten, die der herrschenden Kim-Familie huldigen sollen. Wer in der Hauptstadt leben darf, ist privilegiert: Hier ist die Stromversorgung besser als auf dem Land, die Regale der Geschäfte sind voller, es gibt Freizeitparks, Kinos, Theater. © Olaf Schuelke/Imago
Kim Jong-un auf einem Pferd
Beherrscht wird Nordkorea seit 2011 von Kim Jong-un, einem Diktator, der skrupellos vor allem ein Ziel verfolgt: den eigenen Machterhalt und den seiner Sippe. Nordkorea ist das einzige kommunistische Land der Welt mit einer Erb-Monarchie, in der die politische Macht vom Vater auf den Sohn übergeht. Die sogenannte „Paektu-Blutlinie“ kontrolliert das Land seit dessen Gründung im Jahr 1948. Die Macht der Kims ist unanfechtbar, Aufstände gab es nie, dafür sorgt die lückenlose Überwachung und Kontrolle der gesamten Gesellschaft. © KCNA via KNS/afp
Sowjetische Soldaten in Pjöngjang
Korea war über Jahrhunderte ein geeintes Land. Die Geschichte der Teilung beginnt erst im 20. Jahrhundert: Von 1910 bis 1945 ist Korea eine japanische Kolonie, nach der Niederlage der Japaner besetzen sowjetische Truppen den Norden des Landes, der Süden wird von amerikanischen Truppen besetzt. Weil Verhandlungen über eine Vereinigung der beiden Landesteile scheitern, gründen sich 1948 auf der koreanischen Halbinsel zwei Staaten. © Jacob Gudkov/Imago
Szene des Koreakriegs
Zwei Jahre später dann die Tragödie: Der Korea-Krieg bricht aus. Kim Il-sung, Machthaber im Norden, schickt seine Truppen in den Südteil des Landes, um Korea mit Gewalt zu vereinen. Wenige Wochen später greifen die UN-Truppen unter Führung der USA den Norden an, stoßen bis an die chinesische Grenze vor. Das beunruhigt Peking – das nun auf der Seite von Nordkorea in den Krieg eingreift. 1953 wird ein Waffenstillstand verhandelt, das Land bleibt entlang des 38. Breitengrades geteilt. Ein Friedensvertrag wurde bis heute nicht unterzeichnet. © Imago
Familie Kim
Kim Il-sung, der Gründer und erste Präsident Nordkoreas, ist ein Machthaber von Stalins Gnaden. Geboren 1912, ist er als junger Mann im Widerstand gegen die japanische Besatzungsmacht aktiv. 1940 geht er ins Exil in die Sowjetunion, wo er schließlich zum späteren Machthaber Nordkoreas aufgebaut wird. Ab 1948 etabliert Kim einen auf ihn zugeschnittenen Personenkult. Mit brutalen Säuberungsaktionen entledigt er sich seiner Gegner. Politisch pendelt sein Land zwischen China und der Sowjetunion, vor allem, nachdem sich die beiden kommunistischen Führungsmächte ab Ende der 50er-Jahre zunehmend voneinander entfremden. © Imago
Kim Il-sung und Kim Jong-il
Schon in den 1970ern beginnt Kim Il-sung, seinen Sohn Jong-il zu seinem Nachfolger aufzubauen. Als er 1994 stirbt, übergibt er Kim Jong-il ein verarmtes Land. Mit dem Untergang der Sowjetunion wenige Jahre zuvor hat Nordkorea seinen wichtigsten und engsten Partner verloren, es stürzt in eine wirtschaftliche Krise, auf die eine fatale Hungersnot folgt. Hunderttausende Menschen verhungern. Unter Kim Jong-il, der 1941 oder 1942 geboren wurde, verschlechtern sich die Beziehungen zwischen Nordkorea und dem Rest der Welt, das Land schottet sich immer mehr ab. Vor allem die USA sowie Südkorea – das sich seit den 80ern zur Demokratie gewandelt hat – werden zu Feindbildern. © KCNA via KNS/afp
Fernsehbilder vom ersten nordkoreanischen Atomtest 2006
Unter Kim Jong-il beginnt die beispiellose Aufrüstung des bettelarmen Landes. Wichtigstes Ziel Kims ist es, Nordkorea zur Atommacht zu machen. 2006 gelingt ihm das, Nordkorea testet erstmals eine Atombombe. Die Welt ist geschockt, die Vereinten Nationen erlassen Strafmaßnahmen, denen insgesamt neun weitere Sanktionsrunden folgen. Heute ist Nordkorea eine Atommacht, die wohl Dutzende Sprengkörper besitzt. © Jung Yeon-Je/afp
Kim Jong-un beobachtet einen Raketentest
Zudem testet das Land regelmäßig ballistische Raketen, auf denen die nuklearen Sprengköpfe montiert werden können. So kann das Regime mit seinen Atomwaffen sogar die USA erreichen – zumindest in der Theorie, denn noch ist unklar, wie leistungsfähig die Raketen tatsächlich sind. © KCNA via KNS/afp
Donald Trump und Kim Jong-un an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea
Kim Jong-il stirbt 2011. Ihm folgt einer seiner Söhne nach: Kim Jong-un. Der treibt das Raketen- und Nuklearprogramm seines Vaters weiter voran. Als Hauptfeinde hat er Südkorea und die USA ausgemacht, die sein Regime regelmäßig mit drastischen Beleidigungen überzieht. Unter US-Präsident Donald Trump sieht es für einen kurzen Moment so aus, als könnten sich die Spannungen zwischen Nordkorea und dem Westen abkühlen – dreimal treffen sich Kim und Trump, auch Südkoreas damaliger Präsident kommt mit Kim zu einem Gipfeltreffen zusammen. © Brendan Smialowski/afp
Passanten in Pjöngjang währen der Corona-Pandemie
Doch die diplomatischen Initiativen scheitern 2019. Ein Jahr später sucht die Corona-Pandemie die Welt heim. Auch Nordkorea schließt seine Grenzen – und schottet sich gegen das Virus so hermetisch ab wie kein anderer Staat weltweit. Trotzdem meldet das Regime im Mai 2022 erste Corona-Fälle. Auch nach dem Ende der Pandemie bleibt Nordkorea ein international isoliertes Land. © Imago
Putin und Kim in Russland
Enge Beziehungen unterhält das Regime in Pjöngjang heute vor allem zu seinen beiden nördlichen Nachbarn China und Russland. Zu Wladimir Putin pflegt Kim ein besonders gutes Verhältnis, denn Russlands Präsident benötigt Nordkoreas Unterstützung für seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine – als Lieferant von Waffen und Munition. Im Herbst 2023 treffen Putin und Kim in Russlands Fernem Osten zusammen, es ist Kims erste Auslandsreise seit der Pandemie. © KCNA via KNS/afp
Kim Jong-un und seine Tochter Ju-ae
Kim Jong-un wurde 1982, 1983 oder 1984 geboren, hat also möglicherweise noch viele Jahre vor sich. Nordkoreas Diktator ist allerdings bei schlechter Gesundheit. Er gilt als Kettenraucher und Alkoholiker und ist sichtbar übergewichtig. Was, wenn er stirbt? Experten glauben, dass Kim seine Tochter Ju-ae zu seiner Nachfolgerin aufbauen will. Seit November 2022 zeigen Staatsmedien das Mädchen, das wohl 2012 oder 2013 zur Welt gekommen ist, regelmäßig an der Seite ihres mächtigen Vaters. © KCNA via KNS/afp
Kim Yo-jong
Aber auch Kims Schwester Kim Yo-jong gilt als mögliche Erbin auf den Thron. Die Macht, die die Kims seit bald 80 Jahren innehaben, dürften sie jedenfalls so schnell nicht aus der Hand geben. © Jorge Silva/afp

Kim Jong-un will Nordkorea „vollständig vom Gebiet Südkoreas trennen“

Momentan aber ist das so unwahrscheinlich wie lange nicht mehr. Ende 2023 erteilte Nordkoreas Diktator Kim Jong-un einer Wiedervereinigung eine Absage, den südlichen Nachbarn bezeichnete er in einer Rede vor dem Abnickparlament des Landes als „Hauptfeind“. Nun ließ er via Staatsmedien verkünden, die Grenze zum Süden vollständig abriegeln zu wollen. Es ist der vorläufige Höhepunkt in einer Eskalationskette, die kein Ende zu finden scheint.

Wie die staatliche Nachrichtenagentur KCNA am Mittwoch schreibt, habe der Generalstab der nordkoreanischen Armee entschieden, das eigene Staatsgebiet „vollständig vom Gebiet Südkoreas zu trennen“. Noch am selben Tag werde man Straßen- und Schienenverbindungen Richtung Süden „vollständig kappen und die betreffenden Gebiete auf unserer Seite mit starken Verteidigungsstrukturen befestigen“. Begründet wird der drastische Schritt mit der „ständigen Verschärfung der Kriegsgefahr im Gebiet entlang der Südgrenze Nordkoreas“. Der Generalstab habe am Morgen die im Süden der Grenze stationierten US-Truppen über die Maßnahmen informiert, um „Fehleinschätzungen“ vorzubeugen, heißt es in der Meldung weiter.

„Nordkorea bringt seinen Unmut über die antagonistische Politik Seouls zum Ausdruck“

Der Nordkorea-Experte Ramon Pacheco Pardo vom Londoner King‘s College glaubt, dass das Kim-Regime mit der erneuten Eskalation zwei Botschaften senden wolle. „Zunächst, dass der Norden ein vom Süden getrenntes Land ist und nicht die Absicht hat, sich um Versöhnung und friedliche Wiedervereinigung zu bemühen“, sagte er zu IPPEN.MEDIA. Zudem richte sich das Regime direkt an die Regierung um Südkoreas Präsidenten Yoon Suk-yeol: „Pjöngjang bringt so seinen Unmut über die seiner Meinung nach antagonistische Politik Seouls zum Ausdruck.“

Kim Jong-un bei der Inspektion einer Ausbildungsbasis der Spezialeinheiten der Koreanischen Volksarmee im Westen des Landes Anfang Oktober.

Yoon hat seit seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren den Ton gegenüber dem Norden deutlich verschärft und die Zusammenarbeit mit den USA und anderen Verbündeten gestärkt. So ist seit August auch Deutschland an der Überwachung der Grenze zwischen den beiden koreanischen Staaten beteiligt. Gleichzeitig provoziert Nordkorea seit Monaten mit immer neuen Raketentests, zudem verlegte das Militär des Landes Zehntausende Landminen entlang des Grenzgebiets und schickt seit Monaten Müllballons in Richtung Süden. Sollten „feindliche Kräfte“ Nordkorea angreifen, werde sein Land mit Atomwaffen zurückschlagen, erklärte Kim Ende letzter Woche.

Frieden auf der koreanischen Halbinsel rückt in weite Ferne

Ob das nordkoreanische Regime wie angekündigt schon am Mittwoch mit den Arbeiten im Grenzgebiet begonnen hat, war zunächst unklar. Das südkoreanische Militär erklärte am Morgen, man habe noch keine ungewöhnlichen Aktivitäten entlang der Grenze feststellen können. „Unser Militär wird keine Aktion Nordkoreas übersehen, die darauf abzielt, den Status quo einseitig zu verändern, und wir warnen deutlich davor, dass die Verantwortung für alle daraus resultierenden Situationen bei Nordkorea liegt“, teilte der südkoreanische Generalstab mit.

Eine Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel, die nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei Staaten geteilt wurde, erscheint derzeit in weiter Ferne. In einem hochsymbolischen Akt ließ Kim Jong-un Anfang des Jahres ein Wiedervereinigungs-Monument in der Hauptstadt Pjöngjang abreißen, und auch im Süden schwindet die Hoffnung auf eine Annäherung an den Norden. So gaben in einer im Juli durchgeführten Umfrage 35 Prozent der befragten Südkoreaner an, eine Wiedervereinigung mit dem Norden sei „nicht notwendig“. Es war der höchste Wert seit Beginn der regelmäßigen Umfragen im Jahr 2007. Vom Bahnhof Dorasan dürfte wohl noch lange Zeit kein Zug in Richtung Pjöngjang abfahren.

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