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FPÖ-„Allmachtsfantasien“ in Österreichs Kanzleramt drohen – Wie kann der „Wettbewerb an Gehässigkeit“ enden?
VonFlorian Naumann
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Die FPÖ könnte in Österreich bald den Kanzler stellen. Politologe Vedran Džihić ist selbst als Geflüchteter ins Land gekommen – er fordert ein Umdenken.
Vedran Džihić ist ein gefragter Experte für die Politik in den Staaten des früheren Jugoslawien – auch für FR.de hat er schon die Lage in der Region eingeordnet. Aber der Wiener Forscher hat auch eine bewegte Biografie: Als Kind ist er mit seinen Eltern vor dem Bosnien-Krieg nach Österreich geflohen. Über seine Heimatsuche und die aktuelle Migrationsdebatte hat er nun ein Buch geschrieben: „Ankommen“ (Kremayr & Scheriau, 20 €).
„Während ich als blonder, großer und blauäugiger ‚Tschusch‘ meinen Bildungsweg machte, spürte mein Vater mit seinem islamischen Namen Abdulah und seinem dunklen Aussehen Ablehnung“, schreibt Džihić in „Ankommen“ – das Wort „Tschusch“ bezeichnet in Österreich leicht abfällig Südosteuropäer. Irgendwann habe sein Vater aufgegeben, sei bis ans Lebensende „innerlich tot“ geblieben. Mit „persönlichen Momenten und mit der Beschreibung der Gefühle eines Flüchtlings“ habe er an die erhitzten Debatten herangehen wollen, sagt Džihić IPPEN.MEDIA. In der Lage zu sein, sich in den anderen hineinzuversetzen, sei „zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft“, betont er: „Immer unter der Annahme, dass der andere nicht ‚böse‘ ist.“
Der Politikwissenschaftler – der sich selbst in der Geflüchtetenhilfe engagiert – glaubt an die „bunten, diversen“ Gesellschaften in Österreich und Deutschland: „Die Brücken der Empathie, der Solidarität, des Miteinanders sind sehr stark.“ Aber die Gefahren eines giftigen und verengten Streits um Migration seien für die ganze Gesellschaft groß, warnt er im Interview.
„Die FPÖ hat lange vor der AfD mit diesem Migrationsdiskurs gespielt“
Herr Džihić, mir ist aus den ersten Kapiteln Ihres Buches eine Passage besonders in Erinnerung geblieben: Wie in der Geflüchtetenunterkunft erst die akute Angst abfällt, ein Mitbewohner ein Kissen reicht – später Ihre Gymnasialklasse und der Basketballverein ein warmes Umfeld bieten. Wie wichtige sind solche Erfahrungen des Ankommens?
Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt gewesen. Es gibt bei jedem Flüchtling, aber auch bei anderen Menschen, die verletzt wurden und zutiefst verunsichert sind, etwas, das ins Leben hineinrutscht. Das ist Angst, das ist teils Ohnmacht und das ist Verlust des Grundvertrauens – ich spreche hier von Menschen, die auf der Suche nach Schutz ihres Lebens sind; Menschen, die diese Urangst mit sich tragen, die sich hinauswagen in das Unbekannte.
Das fällt aber zusammen mit einer zweiten Emotion: dem Gefühl, dass man über den Überlebensinstinkt hinaus den nächsten Schritt wagen will, einen Alltag gestalten. Das schafft man nicht allein. Da braucht es physische Sicherheit. Und dann geht es weiter mit Anerkennung, mit Gesehen- und Verstandenwerden. Ob es durch kleine Gesten kommt, oder ob es meine Klasse 7b ist, die mich warm aufnimmt und weiterträgt: Das schafft eine so wichtige Voraussetzung für einen langsamen Weg hin zu diesem Vertrauen in die Welt.
Jeder Mensch will ankommen. Alle wollen gesehen werden, alle wollen akzeptiert werden. Für Flüchtlinge ist das besonders schwer. Den Weg muss man selbst gehen, aber die Pflastersteine können so gelegt werden, dass man ihn leichter gehen kann – und dann beginnt man auch die neue Umgebung als eigene Heimat zu akzeptieren. Bei der Fußball-EM fiebere ich mit Österreich, aber ich hätte auch mit Bosnien gefiebert, wenn es dabei gewesen wäre. Man kann mehrere Heimaten, mehrere Identitäten haben. Aber meine österreichische Heimat lasse ich mir nicht mehr wegnehmen.
Ich war fast überrascht, von so frühen, positiven Momenten zu lesen. In Deutschland gibt es sehr viel Klage über Überlastung, dass es sehr schwierig ist, etwa die Betreuung zu stemmen. Hat sich da was verschlechtert zu dem Zeitpunkt, als Sie in Österreich angekommen sind – oder ist das eher Wahrnehmungsfrage?
Fairerweise muss man sagen: Es gab auch in den 90er-Jahren keine heile Welt. Damals kamen aus den ex-jugoslawischen Staaten etwa 100.000 Menschen nach Österreich und fast 300.000 nach Deutschland. Die Rechtspopulisten haben reflexhaft gesagt, „das ist zu viel, die nehmen uns was weg“. Zu dem Zeitpunkt war der Rechtspopulismus in Deutschland sehr viel schwächer. Aber in Österreich gab es schon Jörg Haider und das „Ausländervolksbegehren“. Die FPÖ hat lange vor der AfD mit diesem Migrationsdiskurs gespielt, der Migration oder Ausländer zum Sündenbock, zur „Mutter aller Probleme“ macht. Aber die ganze öffentliche Wahrnehmung war noch nicht so toxisch und vergiftet. Bis in die Neunzigerjahre hinein gab es in Österreich eine gute Aufnahme von geflüchteten Menschen.
Geflüchtete als „Apokalypse schlechthin“
Aus Ihrer Sicht: Wann und wie hat sich das geändert?
Ab 2015, 2016 ist der Diskurs noch stärker von der Willkommenskultur hin zu einer Ablehnungs- und Ressentimentkultur gekippt. Die 90.000 Bosnier, die in den 90er-Jahren kamen, haben fast zu 90 Prozent ein stärkeres Österreich- als post-jugoslawisches Bewusstsein, das zeigen Erhebungen. Das heißt, sie sind gut integriert. Bei den Syrern, die 2014 bis 2016 kamen, steigt das auch zunehmend. Aber damals wurde diese Anzahl von Ankommenden als die Apokalypse schlechthin dargestellt. Das sind heute Menschen, die zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen.
In den Jahren nach Corona sind Migration, Flüchtlinge, Asyl zum dominanten gesamtgesellschaftlichen Thema geworden. Als ob es keine anderen Themen gäbe. Diese unglaubliche Akzentuierung, die von den Rechtsextremen und Rechten kommt, ist ein Beitrag zu Migrationspanik und Hysterie gewesen. Das verstellt den Blick auf faktische Möglichkeiten, Chancen, auch auf die Probleme. Teils wird das zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Nach Solingen beispielsweise besteht der Diskurs nur daraus.
Die Stigmatisierung von und die Härte gegen bestimmte Gruppen, das Niederreißen der Grundrechts- und Menschenrechtsstandards, die bleibt nicht bei diesen Gruppen stehen.
Das Stichwort der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ fällt auch in Ihrem Buch. Ist die viel geforderte „harte“ Migrationspolitik aus Ihrer Sicht ein Nährboden für Radikalisierung?
Es läuft ein Wettbewerb an Gehässigkeit und Härte. Natürlich: Wenn jemand ein Messer in die Hand nimmt und Menschen umbringt, egal wer das ist, dann braucht es Maßnahmen, von polizeilich bis geheimdienstlich, aber auch ganz sichtbare Interventionen. Gegen Menschen, die die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung angreifen, muss man vorgehen. Aber wenn man mittel- und langfristig über Radikalisierung nachdenkt, muss man nicht panische, sondern systematische Mittel in der Prävention, der Bildung, der Erziehung ergreifen. Man muss so vorgehen, dass man nicht noch mehr Probleme schafft. All das Schreien und die emotionale Aufwallung verstellen den Blick auf die Frage: „Was braucht man im Bildungsbereich, damit man langfristig diese Menschen integriert?“
Darüber wird zu wenig nachgedacht, meinen Sie?
Wir haben jetzt jedenfalls eine Reaktion, die lautet: „alles abschotten, alles zusperren“. Die Stigmatisierung von und die Härte gegen bestimmte Gruppen, das Niederreißen der Grundrechts- und Menschenrechtsstandards, das bleibt nicht bei diesen Gruppen stehen. Das wissen wir aus der Geschichte. Härte in einer Gesellschaft ist ein Signal. Das heißt, man kann das in einem anderen Fall gegen die Arbeitslosen, gegen die Obdachlosen, gegen LGBTIQ, gegen die mit blauen Augen, gegen wen-auch-immer wenden. Das ist ein Weg, der direkt in totalitäre und antidemokratische Verhältnisse führt, in einen autoritären Zeitgeist. Irgendwann gibt es kein Halten, keine Grenze mehr.
„Remigration“ schafft es ins FPÖ-Programm: „Dann herrscht blanke Angst“
Wie wirken Forderungen nach „Remigration“ auf Sie und andere einstmals Geflüchtete?
Wenn man von so etwas erfährt, dann herrscht blanke Angst bei all jenen, die Objekte dieser Allmachtsfantasien sind. Ich sehe schon in den sozialen Medien, dass unter Migranten, Migrantinnen und Menschen mit Migrationshintergrund Ratschläge herumgeschickt werden, sich vorzubereiten, sein Geld in Sachwerte zu wechseln – da kommt Endzeitstimmung hoch. Aber Deutschland und Österreich sind Einwanderungsgesellschaften. Sie sind durch die Zuwanderung reicher und vielfältiger geworden. Das betrifft auch die Arbeitskräfte, die beide Gesellschaften weiter brauchen werden. Wir funktionieren nicht mehr ohne diese Mitbürgerinnen und Mitbürger.
In Österreich stehen die Nationalratswahlen bevor, die Umfragen sehen die FPÖ vorne. Ist Österreich Deutschland in dieser Hinsicht „voraus“?
Österreich war, was die Rechten und Rechtsextremen betrifft, Deutschland seit den 70er-, 80er-Jahre schon immer voraus. Die erste Koalition mit einer rechtsextremen Partei gab es in Österreich, unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel. Da gab es noch Sanktionen der EU und einen Riesenaufschrei. Aber die Erfahrung zeigt, dass sich Rechte und Rechtsextreme durch Regierungsbeteiligung und Zugehen auf ihre Narrative nicht mäßigen lassen. Im Gegenteil, das Schlagwort der Remigration zeigt das nochmal ganz deutlich.
Inwiefern?
Als diese Potsdam-Pläne bekannt geworden sind, gab es in Österreich eine Offensive der Zivilgesellschaft – mittlerweile ist es für die FPÖ nicht mal mehr ein Problem, das schwarz auf weiß ins Parteiprogramm zu schreiben. Das ist das beste Beispiel für die „Normalisierung“. Auch die Mainstream-Parteien, in Österreich vor allem die ÖVP, rücken immer mehr diese im Kern menschenverachtende, auch rassistische, xenophobe Politik in den Mittelpunkt. Wenn ich mir das Parteiprogramm der FPÖ ansehe: Das ist eine autoritäre Vorstellung von Gesellschaft, mit Anleihen bei Viktor Orbán und Versatzstücken aus der deutschen, österreichischen Geschichte. Etwas, das beginnt, die Menschenrechte als Grundkonzept infrage zustellen.
Wie wäre denn richtig zu reagieren, auf die Debatten zum Thema Migration?
Das ist eine unglaubliche Gratwanderung. Aus Sicht von Olaf Scholz und seiner Partei, die sehr unter Druck steht, kann man schon verstehen, dass sie versuchen, Maßnahmen zu setzen. Natürlich läuft im Asyl- und Migrationsbereich vieles nicht gut. Die Umsetzung in den EU-Ländern fehlt, es gibt keine sicheren Fluchtwege. Vieles lässt sich mit Regierungen wie der in Ungarn gar nicht umsetzen. Aber mit der Übernahme rechter Diskurse in die Mitte der Politik schießt man sich ins eigene Bein. Man unterschätzt Potenziale, mit diesen Fragen anders umzugehen.
Migrations-Streit überschattet alles – und die FPÖ liegt in Österreich vorne: „Extremst gefährlich“
Wo liegen die?
Es braucht ein richtig starkes Bekenntnis zu den Grundfesten unserer Gesellschaft, vom Grundgesetz bis zu den UNO-Menschenrechten. Stattdessen sagt man, wir schaffen das Grundrecht auf Asyl ab. Aber es gibt diese Menschen, die Verfolgung und der Gefährdung ihres Lebens ausgesetzt sind. Und deren Schutz muss ein Ziel bleiben.
Es gibt aber auch andere Formen der Migration ...
Im Bereich der Wirtschaftsmigration braucht es natürlich Konzepte und zielgenaue Migration. Da braucht es legale Wege und auch eine Organisation der Migrationspolitik. Man unterschätzt auch sehr, dass sich doch die starke Mehrheit mit diesem Rassismus, mit dieser Hetze nicht abgeben will. Mit diesen Mehrheiten zu arbeiten, konstruktive Ideen zu entwickeln, mit Zivilgesellschaften, Vereinigungen, wäre wichtig. Dass man das Positive stärker betont, wirklich den Diskurs versucht umzudrehen.
Ist das realistisch?
Wenn es den politischen Willen nicht gibt, in diesen Zeiten von allgemeiner Ohnmacht und von Verwundbarkeit von Gesellschaften, dann ist man natürlich immer zwei Schritte hinterher. Wobei die Ohnmacht gar nicht so groß ist. Die EU etwa hat sich zusammengerissen. Auch nach 2015, 2016 hat man vieles geschafft. Da muss man mit Zuversicht versuchen, tatsächlich die Blickwinkelverschiebung vorzunehmen. Nur den Rechten und Rechtsextremen nachzuhecheln, bringt nichts. Die Gemengelage, warum die Menschen die AfD wählen, ist ja sehr viel komplexer als eine Migrationsfrage. Da geht es um Unzufriedenheit, es geht um Stereotypen, da geht es manchmal um Unwissenheit, manchmal um Impulse, manchmal um Migration, es geht um Ängste, es geht um vieles. Die Formel, man müsse Migrationsprobleme lösen, ist viel zu einfach.
Wäre ein Wahlsieg der FPÖ ein weiterer Schockmoment?
Ein Schockmoment... In dieser Remigrationsdebatte ist das vorgekommen, das weiß ich von Freunden und Freundinnen. Und es wäre, glaube ich, für viele in Österreich und in Europa ein Schock, wenn die FPÖ stärkste Kraft wird. Gerade die Partei, die zu einem AfD-Copy-Paste bereit ist, sogar mit weiteren Zuspitzungen. Und die AfD ist jetzt zwar in zwei Bundesländern stark geworden, aber sie kommt nicht in die Position, einen Bundeskanzler zu stellen. Dasselbe Konzept, sogar noch unverblümter, mit der Remigration in der Regierungsverantwortung, mit einem Kanzler: Das wäre extremst gefährlich. Es braucht jetzt die Mobilisierung der demokratischen Kräfte, um diese autoritäre Gefahr, die Gefahr der illiberalen Gesellschaften wie in Ungarn, zu verhindern. Dieser Tragweite muss man sich bewusst sein. (Interview: Florian Naumann)