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„Augenwischerei“ nach der Georgien-Wahl – Experte warnt Europa: „Nicht blenden lassen“
VonFlorian Naumann
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War die Georgien-Wahl manipuliert? Ein Beweis fehlt. Offizielle Ermittlungen hält ein Experte für ein reines Schauspiel.
Ein böser Verdacht kursiert: War Georgiens Schicksalswahl manipuliert? Trotz anderslautender Umfragen hat die zunehmend pro-russische und autokratische Regierungspartei Georgischer Traum laut offiziellem Ergebnis gewonnen. US-Präsident Joe Biden hat bereits eine Untersuchung gefordert, auch die EU mahnte das an – nun reagiert das Land. Doch ein Beobachter vor Ort zeigt sich im Gespräch mit IPPEN.MEDIA mehr als skeptisch.
Konkret hat die Wahlkommission eine stichprobenartige Neuauszählung angekündigt. Und am Dienstagmorgen folgte die Ankündigung: Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen in Sachen eines möglichen Wahlbetrugs auf. Aus Sicht von Stephan Malerius, Regionalprogrammleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis ist beides jedoch „Augenwischerei“.
Georgiens Opposition sucht die „smoking gun“ – offizielle Ermittlungen „Augenwischerei“
„Die Staatsanwaltschaft ist ebenso wie die Zentrale Wahlkommission nicht unabhängig, sondern erhält ihre Weisungen vom Georgischen Traum“, sagt er auf Anfrage. Die Ermittlungen seien der Versuch der Regierung, Legitimität für die Wahlen zu kommen – „indem so getan wird, man habe nichts zu verbergen und sei vollkommen transparent“. Malerius‘ Ratschlag lautet: „Europa sollte sich davon nicht blenden lassen.“
Die Opposition in Georgien rechnete eigentlich mit einem Wahlsieg – und wollte in einer Koalition wieder zurück Richtung Demokratie und EU steuern. Sie arbeitet nun fieberhaft an der Suche nach Beweisen für Wahlbetrug. Doch das ist keine leichte Aufgabe. Bislang sind öffentlich nur „Einzelbelege“ für Betrug verschiedener Art bekannt. „Viele“ zwar, aber keine für systematische Vorgehen, wie Malerius sagt.
Die „smoking gun” könne laut dem Experten der massive Unterschied zwischen Nachwahlbefragungen und dem offiziellen Wahlergebnis sein: Das US-Institut Edison hatte am Wahltag nach eigenen Angaben knapp 15.000 Wähler nach der Stimmabgabe befragt – und prognostizierte 41 Prozent für den Georgischen Traum, 52 Prozent für die ins Parlament einziehenden Oppositionsparteien. Im Wahlergebnis lag der Georgische Traum dann allerdings bei knapp 54 Prozent, also 13 Prozentpunkten mehr. Bei früheren Wahlen waren die Abweichungen der Edison-Daten vom Wahlergebnis eher gering.
Georgien-Wahl: „Sehr komplexes“ Betrugsschema?
Ein Beweis ist das allerdings nicht. Ebenso wenig wie die auf X veröffentlichten Recherchen des Daten-Experten Levan Kvirkvelia. Auffällig sind aber auch sie: Erstaunlich oft habe der Georgische Traum in ländlichen Wahlbezirken Ergebnisse zwischen 80 und knapp 100 Prozent der Stimmen erhalten. Nach Kvirkvelias Ansicht ein Indiz für „Ballot Stuffing“, also das Fluten von Wahlurnen mit Stimmen für eine Partei.
Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU
Wenn es ein „Betrugsschema“ gegeben habe, dann sei es wohl ein sehr komplexes, sagt Malerius. Womöglich gehe es um fünf bis sechs verschiedene Mechanismen, die je rund 40.000 Stimmen gebracht haben. Bislang müsse man aber von einer „Wahlbetrugsvermutung“ sprechen.
Deutlicher äußerte sich Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili. Sie teilte Kvirkvelias Post – und sprach bei einer Kundgebung am Montagabend von Wahlbetrug nach “russischer Methodik”. An diesem Tag waren Berichten zufolge mehrere zehntausend Menschen auf den Straßen. Am Dienstag waren es nach einem Aufruf aus Studentenkreisen laut Malerius nur rund 50 Personen. Georgien sei angesichts des unerwarteten Wahlausgangs teils in einer Art “Schockstarre”. (fn)