Nach Angriff

Hiobsbotschaft zu Chameneis Geburtstag? Krieg mit Israel könnte für Iran fatale Folgen haben

  • Florian Neuroth
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Der Iran wartet auf die Reaktion Israels auf den Luftangriff vom Wochenende. Religionsführer Chamenei will einen Krieg wohl vermeiden, denn dieser könnte das Regime gefährden.

Teheran – Die Wirkung war sowohl groß als auch klein. Zum ersten Mal überhaupt hat der Iran am Samstagabend (13. April) Israel direkt angegriffen und einen großen Krieg in Nahost damit wahrscheinlicher gemacht. Mehr als 500 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper sollen in Richtung Israel geflogen sein – das Ziel erreichten aber die wenigsten. Rund 99 Prozent der Flugkörper haben Israel und seine Verbündeten laut israelischer Armee abgefangen.

Der befürchtete Gegenschlag der Israelis könnte Religionsführer Ari Chamenei, den mächtigsten Mann im Staat, kurz vor seinem 85. Geburtstag in dieser Woche nun in die Bredouille bringen. Fachleute mutmaßen, dass ein Krieg mit Israel fatale Folgen für die Islamische Republik haben könnte – womöglich könnten sie sogar das Überleben des Staates gefährden.

Irans Oberster Führer Ali Chamenei wird in dieser Woche 85 Jahre alt. Mit dem Angriff auf Israel sei er „ein hohes Risiko“ eingegangen, sagen Experten. Denn innenpolitische Stabilität gibt es im Land nach den Protesten von vor eineinhalb Jahren nicht.

Fachleute sieht „tiefe Legitimitätskrise“ im Iran – zerstört Krieg das Lebenswerk des Religionsführers?

Das sagt Ali Fathollah-Nejad, Gründungsdirektor der Berliner Denkfabrik Center for Middle East and Global Order (CMEG), im Tagesspiegel. Das Regime durchlebe eine „tiefe Legitimitätskrise“, zitiert die Zeitung den Nahost-Experten. Chamenei riskiere die Zerstörung seines Lebenswerkes.

Denn die jahrzehntelang vor allem verbal oder über Stellvertreter geführte Feindschaft zwischen dem Iran und Israel droht zu einer Zeit zu eskalieren, in der das Mullah-Regime scheinbar den Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat. Mit der autoritären Staatsführung und ihrer Sittenpolizei, die streng auf die Einhaltung der islamischen Kleiderordnung achtet und Verstöße drakonisch ahndet, können sich die meisten Iraner nicht mehr identifizieren.

Stiller Protest im Alltag: Laut Umfrage lehnt Mehrheit der Iran das repressive Herrschaftssystem ab

Mehrere Monate lang protestierten ab Herbst 2022 täglich unzählige Iraner auf der Straße gegen das repressive Regime, sein islamisches Herrschaftssystem und vor allem gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran. Die Staatsführung reagierte hart. Zehntausende Menschen wurden eingesperrt, Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehr als 700 Hinrichtungen allein im Jahr 2023.

Mittlerweile sind die Demonstrationen abgeflaut, aber der stille Protest im Alltag ist geblieben. Trotz aller Repressalien und Strafen weigerten sich viele Frauen weiterhin kein Kopftuch zu tragen, berichtete die Tagesschau zu Beginn des Jahres und beschrieb die Stimmung mit einfachen Worten: lethargisch mit wenig Hoffnung auf zeitnahe Besserung. Wie groß die Ablehnung des Regimes ist, ist schwer zu sagen: Im Dezember 2022 sprachen sich laut einer Online-Umfrage des niederländischen Forschungsinstituts Gamaan 81 Prozent der Menschen im Iran gegen die Islamische Republik aus.

Iran laut Expertin in kritischer Übergangszeit – klassisches Dilemma um Chamenei-Nachfolge

Im Land werde über die Zukunft des Herrschaftssystems debattiert, doch nicht immer öffentlich, meldete die dpa dieser Tage. Insider sähen Chamenei inzwischen in die Ecke gedrängt. Bei den Protesten vor eineinhalb Jahren riefen die Menschen auch „Tod dem Diktatur“, zur Parlamentswahl im vergangenen Monat kamen historisch niedrige 41 Prozent der Wahlberechtigten. Stattdessen könnten die ohnehin sehr mächtigen Revolutionsgarden, die ideologischen Elitestreitkräfte, die Macht auf sich konzentrieren – ein neuer Religionsführer könnte nur eine symbolische Rolle spielen.

Politikwissenschaftlerin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht das Land in einer kritischen Übergangszeit, wie sie der Agentur sagte. „Solche Phasen können schnell mit Instabilität einhergehen. Hier steigt das Risiko von verschärften Machtkämpfen, Umsturzversuchen oder einem Staatsstreich.“ Sie spricht von einem klassischen Nachfolgedilemma. Ernennt der Machthaber einen Nachfolger, sei möglich, dass der Herrscher noch während seiner Amtszeit an Macht und Einfluss verliert. Bestimmt er niemanden, kann es verschärfte Konflikte geben, „weil sich jede Gruppe noch Hoffnung darauf machen kann, dass sie die Macht übernimmt.“

Einen klaren Nachfolger gebe es nicht, schrieb die Neue Zürcher Zeitung noch im November 2023. Der Religionsführer sei gesundheitlich geschwächt – im Falle seines Todes drohe ein offener Nachfolgestreit oder ein gefährliches Machtvakuum. Dieses Machtvakuum könne die Bevölkerung nutzen. An sich könnten die Proteste das Regime zwar nicht ins Wanken bringen, ihm aber gefährlich werden.

Iran eigentlich nicht an größerem Krieg mit Israel interessiert

Ein militärischer Konflikt mit Israel kommt Chamenei da wohl ungelegen. „Die iranische Führung hat eigentlich kein Interesse daran, in einen größeren regionalen Konflikt hineingezogen zu werden,“ bestätigte Nahost-Experte Andreas Böhm von der Universität St. Gallen jüngst im Interview mit fr.de von IPPEN.MEDIA. So seien die Geschosse in der Nacht von Samstag auf Sonntag zu einem guten Teil symbolischer Natur gewesen. Nach dem Angriff Israels auf die iranische Botschaft in Damaskus musste Teheran reagieren, wollte Israel aber keinen Anlass geben, massiv zurückzuschlagen.

Wie die Antwort des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ausfallen wird, ist unklar. Während die USA und europäische Staatenlenker Israel um Zurückhaltung bitten, gibt es laut einem Bericht der Tagesschau vom Mittwoch (17. April) Spekulationen, dass Israel im Hochtechnologiebereich zurückschlagen könnte: mit Cyber-Angriffen auf Infrastruktur wie Atomanlagen.

Expertin: „Iran ist mit Angriff auf Israel höheres Risiko gegangen als sonst“

Das habe Israel in den vergangenen Jahren schon öfters gemacht, schreibt der Tagesspiegel. Die Israelis schickten Computer-Viren in geheime iranische Netze und töteten gezielt Atomwissenschaftler. Im Jahr 2018 hätten israelische Agenten sogar brisante Unterlagen zum Atomprogramm aus einem Geheimarchiv gestohlen. Geheimdienstler und Kampfjets hätten häufig bewiesen, dass sie die iranischen Verteidigungslinien fast nach Belieben überwinden können. Gelinge es Israel wieder, den Iran schwach aussehen zu lassen, hätte sich Chamenei verzockt – nach 35 Jahren an der Spitze des Staates.

Politikwissenschaftlerin Zamirirad sagte dem Blatt, der Revolutionsführer laufe Gefahr, nach den überstandenen Massenprotesten und scharfen Sanktionen sich selbst zu überschätzen. „Durch den Angriff auf Israel ist der Iran ein deutlich höheres Risiko eingegangen als sonst, durch das die Islamische Republik viel zu verlieren hat“, zitiert der Tagesspiegel die Expertin. „Denn außenpolitisch war Iran eigentlich im Aufwind. Jetzt steht man so nah an der Klippe wie nie zuvor.“

Sollte Chameneis Zeit als Revolutionsführer enden, dann hinterlasse er einen „repressiven Staat ohne Rückhalt in der Bevölkerung“ mit massiven ökologischen und wirtschaftlichen Problemen. Und ein Land, das sich am Rande eines Krieges befinde, der die gesamte Region in Mitleidenschaft ziehen könnte. (flon)

Rubriklistenbild: © ZUMA Wire/Imago

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