Schuldenbremse bröckelt
„Gamechanger“-Investitionspaket: So sehen Experten die GroKo-Pläne
- VonKilian Beckschließen
Union und SPD wollen schuldenfinanzierte Investitionen in Aufrüstung und Infrastruktur. Wirtschaftswissenschaftler loben den Schritt.
Berlin – Ökonominnen und Ökonomen über alle Denkschulen hinweg begrüßten die Einigung von CDU, CSU und SPD, die Schuldenbremse zur Finanzierung von Rüstungsausgaben zu reformieren und ein Sondervermögen für Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit aufzulegen. Die am Dienstag (4. März) angekündigte Reform wäre ein „Gamechanger“, sagte Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), der Nachrichtenagentur Reuters.
Gewerkschaftsnaher Ökonom: Abkehr von der Schuldenbremse ist der Union hoch anzurechnen
Am Dienstagabend hatten Union und SPD eine Einigung verkündet, entgegen einem Wahlversprechen von CDU-Chef Friedrich Merz, dem Bundestag ein milliardenschweres Fiskalpaket vorzuschlagen. Die Zwei-Drittel-Mehrheit zur dafür nötigen Verfassungsänderung haben beide Parteien, die gerade eine Koalition sondieren, noch nicht. Der Union sei „hoch anzurechnen“, dass sie erkannt habe, wie sie sehr die Schuldenbremse der Wirtschaft geschadet habe, sagte Dullien. Unionspolitiker begründeten den Schwenk mit der militärischen Abkehr der USA von Europa und der zugespitzten Sicherheitslage.
Konkret geplant ist ein sogenanntes Sondervermögen, ein schuldenfinanzierter Sondertopf außerhalb des regulären Haushaltes, in Höhe von 500 Milliarden Euro zur Sanierung und Investition in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit. Ein Fünftel des Geldes sollen die klammen Länder erhalten. Die Ausgaben zur Aufrüstung der Bundeswehr sollen ab einer Summe, die mehr als einem Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht, von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Weiter wollen Union und SPD den Ländern einen minimalen Spielraum zur Neuverschuldung ermöglichen.
Das wollen beide Parteien noch vor der Konstituierung des nächsten Bundestages durch das Parlament bringen. Hierzu bräuchte es die Stimmen der Grünen, die bereits Klimaschutzinvestitionen verlangten. Der neue Bundestag solle dann bis Jahresende eine zweite Reform der Schuldenbremse beschließen, hieß es am Dienstag. Im neuen Bundestag bräuchte es für eine Verfassungsänderung durch die demokratischen Kräfte, die Stimmen der Linken.
Ökonomen warnen: Schwarz-Rot darf sich nicht auf Reform der Schuldenbremse ausruhen
Der Chef des arbeitgebernahen Ifo-Institutes, Clemens Fuest, begrüßte das Paket ebenfalls gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Das Paket habe zwar „Schwächen, aber unter dem Strich ist es besser so, als dass gar nichts passiert und unsere Sicherheit gefährdet wird.“ Fuest kritisierte, dass durch die großzügige Ausnahme des Verteidigungshaushaltes von der Schuldenbremse zu viel Spielraum für Umschichtungen im Haushalt geschaffen werde.
Am Wochenende hatte Fuest die Abschaffung des Elterngeldes gefordert. Gleichzeitig ist er Co-Autor eines Papiers, in dem Ökonomen lagerübergreifend zwei Sondervermögen, zu je 400 bis 500 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben und Infrastruktur verlangten.
An dem Papier ebenfalls mitgeschrieben hatte der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. Auch er sah gegenüber Reuters die Einigung der Sondierer als einen „Gamechanger“ und ein „wuchtiges und gutes Paket“. Doch auch er mahnte, dass eine funktionierende Finanzierung noch keine gute Wirtschaftspolitik sei. Im Infrastrukturbereich brauche es eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, um „ein glaubwürdiges Signal in die Privatwirtschaft zu senden, dass der Staat jetzt Ernst macht mit der Investitionsoffensive“. Südekum ist SPD-Mitglied.
Auch die Privatwirtschaft sieht schwarz-rotes Finanzpaket als „historischen Schritt“
Auch aus der Privatwirtschaft gab es positive Stimmen: Der Chefvolkswirt der ING Diba, Carsten Brzeski, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur von einem „historischen Schritt“, der „endlich den Beginn besserer Jahre für die Wirtschaft markieren könnte“. Holger Schmieding, Chefökonom der Hamburger Privatbank Berenberg, sagte, er sei „positiv überrascht“ davon, dass Deutschland seinen Herausforderungen gerecht werde. Es sei ein „exzellenter Start“ für die neue Regierung, so Schmieding zur Agentur.
Sollten Union und SPD mit der Reform der Schuldenbremse und der Einrichtung des Sondervermögens erfolgreich sein, ist es – entgegen einiger Behauptungen neoliberaler Akteure – übrigens nicht so, dass der Staat sich unbegrenzt verschulden dürfte. Die, als Maastricht-Kriterien bekannten, Schuldenregeln der EU von 1997 würden selbstredend weiterhin gelten. Zentral hierfür ist die Begrenzung der jährlichen Neuverschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Deutschland würde also die fiskalpolitischen Spielräume gewinnen, die auf dem ganzen Kontinent seit Jahrzehnten üblich sind. (kb)
Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Kilian Genius
