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„From the River to the Sea“: Geschichte und Kontext der antisemitischen Palästina-Parole
VonKilian Beck
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„From the River to the Sea“ ist eine antisemitische Parole. Vom Hintergrund und der Wirkung des auch in Deutschland weit verbreiteten Spruchs.
Berlin – Zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer liegen Israel, die besetzten Palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland und der Gaza-Streifen. Soweit der Status Quo. Wer „From the River to Sea – Palestine will be free“, also vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein, skandiert, möchte das ändern. Seit einer Woche ist bekannt, dass die Berliner Staatsanwaltschaft wegen der israelfeindlichen Demonstrationen prüft, ob es sich dabei um Volksverhetzung handelt. Außerdem wird geprüft, ob es in bestimmten Kontexten um eine Befürwortung der Massaker der Hamas an mehr als 1.400 Jüdinnen und Juden in Südisrael ist.
„From the River to the Sea“, bedeutet ein Palästina ohne Israel
Im Gegensatz zu vielen Ländern ist die absolute Grenze des politisch Sagbaren in Deutschland das Strafrecht. Dann ist da noch die anhaltende Kritik an der Parole: Bereits 2021 sagte die damalige Israelische Generalkonsulin in München Sandra Simovichder Frankfurter Rundschau: „Free Palestine“, also ein freies Palästina klinge erstmal gut, „aber wenn Leute ein freies Palästina ‚from the River to the Sea‘ fordern, dann meinen sie ein Palästina ohne Israel“. Und das seien dann „antisemitische Ansichten“. Eine klare antisemitische Vernichtungsfantasie gegen den jüdischen Staat. Genau wegen dieser Analyse ermittelt die Staatsanwaltschaft in Berlin. Hier läuft, aus Simovichs Perspektive, also die Grenze zwischen Solidarität mit Palästina und Antisemitismus.
Eine Spurensuche nach dem Ursprung der Parole, und dem Antisemitismus dahinter, unternahm kürzlich die New York Times. Entstanden sein soll der Spruch in den 1960ern als Parole der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unter Jassir Arafat. Damals wie heute repräsentierte er vor allem eines, palästinensischen Nationalismus. „Es ist das Beharren auf der Einheit von Palästinensern und palästinensischen Land“, sagte Maha Nassar, Historikerin an der Universität von Arizona, der NYT. Maha Nassar gehört zum postkolonialen Lager der Geschichtswissenschaft, dem unkritisches, gar naives Verhältnis mit Gruppen, die man als „Freiheitskämpfer“ sieht, nachgesagt wird.
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
Heutiger Kontext: Geopolitik, Autoritarismus und Demokratie im Nahen Osten
Die Parole versteht sich stets im heutigen geopolitischen Kontext: Das Westjordanland wird von der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas verwaltet. Er schuldet seinem Volk seit einem Jahrzehnt eine Wahl und ihm wird Korruption nachgesagt. Unter der inzwischen Jahrzehnte andauernden israelischen Besatzung kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe von extremistischen Siedlern gegen Palästinenserinnen und Palästinensern. Im Gaza-Streifen herrscht die islamistische Hamas seit mehr als einem Jahrzehnt totalitär.
Israel hingegen ist ein demokratischer Rechtsstaat mit Bürgerrechten für alle. Und Israel ist Schutz- und Rückzugsraum für. Jüdinnen und Juden weltweit. Der Staat Israel ist eine Konsequenz des modernen Antisemitismus und insbesondere der Verbrechen der Nationalsozialisten an den europäischen Juden. „From the river to the sea“ sei vor allem eine „Vision ohne jüdischen Staat in der Region“, sagte der jüdische New Yorker Politikwissenschaftler Peter Beinart, der NYT. Offen lasse die Parole, was mit den Jüdinnen und Juden der Region passierte. Ahmad Kalidi, ehemaliger Berater von Arafat, sagte der NYT, dass die Parole nicht ausschließe, dass „Juden in der Region“ genauso frei sein sollen.
Hamas verwendet „From the River to the Sea“ seit 2107
Seit 2017 verwendet laut NYT auch die islamistische Hamas die Parole und am 7. Oktober hat die Terrororganisation gezeigt, was mit Jüdinnen und Juden zwischen Jordan und Mittelmeer passiert, wenn Israel nicht fähig ist, sie zu schützen. „Der schlimmste Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoa“, sagte Israels Präsident Jitzchak Herzog in den Tagen nach den Massakern, in denen immer noch Leichen Orten wie Kfar Aza oder Be‘eri geborgen worden.
Meron Mendel: Juden werden für Israel in antisemitische „Sippenhaft“ genommen
Seit Beginn des Kriegs in Israel und der bisher grundsätzlich völkerrechtskonformen Gegenreaktion Israels eskaliert global der Antisemitismus. Der Direktor der Bildungstätte Anne Frank, Meron Mendel, sprach von „Sippenhaft“ für die Juden weltweit. In Berlin wurden Häuser mit Davidsternen markiert und ein Brandanschlag auf eine Synagoge knapp verhindert. Die Jüdische Allgemeine liefert ihre Zeitungen nur noch in neutralen Umschlägen aus, nachdem es zu Übergriffen durch Zusteller gekommen war. In Lyon wurde eine Jüdin niedergestochen, in ihrer Wohnungstür wurde ein Hakenkreuz geritzt. In Deutschland zählt das Bundeskriminalamt aktuell mindestens 80 antisemitische Straftaten und verweist auf ein großes Dunkelfeld.
„Kindermörder“, „Genozid“: Mehr antisemitische Parolen und Kampfbegriffe
Auf den pro-palästinensischen und antiisraelischen sowie meist antisemitischen Demonstrationen in Deutschland und der Welt steht „From the River to the Sea“ häufig auch neben anderen Parolen. „Kindermörder Israel“ wurde in den letzten Tagen auch immer wieder gerufen. Der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn sagte dem Bayerischen Rundfunk, diese „Hassparole“ schließe an „mittelalterliche Stereotype“ aus der christlichen Judenfeindlichkeit an.
Ein weiterer Kampfbegriff lautet „Stoppt den Genozid“, also die Behauptung, Israel begehe Völkermord an den Menschen im Gazastreifen. Die ist völkerrechtlich schlicht falsch. Die Genfer Konvention definiert einen Genozid als Gräueltaten, mit dem Ziel, eine Gruppe aus rassistischen, ethnischen und religiösen Gründen auszulöschen. Vor internationalen Gerichten ausjudiziert wurde diese Definition besonders nach den Jugoslawienkriegen und dem Völkermord am Volk der Tutsi in Ruanda in den 1990er Jahren.
Kein Hinweis auf Völkermord in Gaza
Lisa Wiese, Völkerrechtlerin von der Universität Leipzig sagte dem Stern zum Geist der Urteile: „Das Ziel der Auslöschung muss für den Tatbestand nicht erfüllt werden“, aber seit einem Urteil aus den Jugoslawienkriegen sei auch klar: „Die Zerstörung der Gruppe muss das einzige Handlungsziel des Täters sein.“ Und Israel mache aktuell in Gaza von seinem völkerrechtlich verbrieften Selbstverteidigungsrecht gegen die Hamas in Gaza Gebrauch. Daher kein Hinweis auf Völkermord. (kibe)