„Bündniskanzler“ Habeck mahnt

„Fetzen werden fliegen“: Habeck warnt vor Österreich-Situation nach Bundestagswahl 2025

  • Fabian Hartmann
    VonFabian Hartmann
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Angesichts des Scheiterns der Regierungsbildung in Österreich ruft Habeck die Parteien im Wahlkampf zur Einigkeit auf. Anstatt ihre Differenzen zu betonen, sollten sie sich auf Gemeinsamkeiten konzentrieren.

Berlin/Wien – Hinter der österreichischen Politik und seinen Akteuren liegen turbulente Tage. Am Freitag nämlich fanden die seit Mitte November geführten Koalitionsverhandlungen zwischen konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und liberalen NEOS ein jähes Ende, als letztere überraschend ihren Ausstieg erklärten. Der Grund: Beide Volksparteien hätten zu wenig Reformwillen gezeigt. Anschließend führten ÖVP und SPÖ die Gespräche alleine weiter, doch auch das erwies sich wenig überraschend als erfolglos. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge waren zu viele „rote Linien“ erkennbar. 

ÖVP-Chef Karl Nehammer verkündete darauf seinen Rücktritt als Kanzler. Den Parteivorsitz soll der bisherige Generalsekretär Christian Stocker übernehmen. Nun gibt es zwei Optionen: Neuwahlen oder Koalitionsverhandlungen mit der rechts gerichteten FPÖ – letzteres aber wollten die übrigen Parteien eigentlich dringlichst verhindern. Die gescheiterte Regierungsbildung im Nachbarland veranlasste indessen auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck dazu, sieben Wochen vor der Bundestagswahl 2025 mit Blick auf Österreich Lehren für die eigene Koalitionsverhandlungen abzuleiten.

Im Wahlkampf werden Habeck zufolge „ein paar Fetzen fliegen“ – Parteien sollte Nähe zueinander suchen

Nach drei Jahren Ampel-Koalition inklusive langwieriger Debatten um Energiewende-Vorhaben, einem Hin und Her beim Heizungsgesetz und seinen Förderungen sowie enormen Problemen bei der Einigung auf einen Bundeshaushalt, sind festgefahrene rote Linien zwischen Regierungspartnern auch hierzulande bestens bekannt. Und auch, wie diese zu einem völligen Bruch der Regierung führen können, wenn bis zuletzt ohne Bereitschaft für Kompromisse auf eigenen Standpunkten verharrt wird: Stichwort Schuldenbremse.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Grünen-Kanzlerkandidat

Im kurzen Wahlkampf zwischen Olaf Scholz’ (SPD) gescheiterter Vertrauensfrage im Bundestag und der anstehenden Neuwahl am 23. Februar mahnte nun auch der noch amtierende Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sich für die Regierungsbildung nach der Wahl auf gemeinsame Werte statt auf Bruchlinien zu berufen. „Österreich ist ein Beispiel, wie es nicht laufen darf“, erklärte Habeck der Welt.

Zwar gehe es im Wahlkampf um politische Differenzen der Parteien, da sie nun mal Konkurrenten innerhalb eines harten Wettbewerbs sind. „Da werden auch mal ein paar Fetzen fliegen“, räumte Habeck ein. Dennoch aber appellierte er an die gemäßigten Parteien, bei potenziellen Koalitionsverhandlungen die Nähe zueinander zu suchen und Offenheit für eine mögliche Zusammenarbeit nach der Bundestagswahl zu zeigen.

Habeck bereit, „Verantwortung für eine bündnisorientierte Politik zu übernehmen“

Der Grünen-Politiker fügte hinzu: „Ich warne davor, in ein Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen.“ Wenn die Parteien der Mitte einander feindselig gegenüberstünden und sich gegenseitig verklagten, helfe das der Stabilität der Demokratie kaum. Unter dem Strich gebe es nur eine Möglichkeit, Verhandlungen aufrechtzuerhalten, um letztendlich doch zu wichtigen Einigungen zu gelangen: „Da muss man cool bleiben.“

Die Bundesvorsitzenden der Grünen: Von Jürgen Trittin bis Ricarda Lang

Krista Sager und Jürgen Trittin von den Grünen
Im Dezember 1994 traten Krista Sager und Jürgen Trittin als Doppelspitze des noch jungen Zusammenschlusses namens „Bündnis 90 / Die Grünen“ an. Beide wurden zu Sprecherin und Sprecher des Bundesvorstands der Partei gewählt. Gemeinsam lenkten sie die Geschicke der Partei für zwei Jahre bis 1996. © Sepp Spiegl/imago-images
Jürgen Trittin blieb Sprecher der Grünen, von 1996 bis 1998 aber mit neuer Kollegin an seiner Seite: Auf Krista Sager folgte Gunda Röstel.
Jürgen Trittin blieb Sprecher der Grünen, von 1996 bis 1998 aber mit neuer Kollegin an seiner Seite: Auf Krista Sager folgte Gunda Röstel. © Jürgen Eis/imago-images
Gunda Röstel blieb für zwei weitere Jahre Sprecherin des Bundesvorstands der Grünen. Antje Radcke ersetzte den scheidenden Jürgen Trittin.
Gunda Röstel (l) blieb für zwei weitere Jahre Sprecherin des Bundesvorstands der Grünen. Antje Radcke ersetzte den scheidenden Jürgen Trittin. Von 1998 bis 2000 wurde die Partei damit von zwei Frauen an der Spitze geführt. © Sven Simon/imago-images
Fritz Kuhn und Renate Künast wurden zu Sprecher und Sprecherin des Bundesvorstands.
Im Jahr 2000 tauschten die Grünen ihr Führungspersonal komplett aus. Fritz Kuhn und Renate Künast wurden zu Sprecher und Sprecherin des Bundesvorstands. Ihre Amtszeit hielt aber nur ein Jahr bis 2001. © imago stock&people
Fritz Kuhn und Claudia Roth
Aus Bundesprechern wurden bei den Grünen im Jahr 2001 Bundesvorsitzende. Die ersten Beiden, die dieses Amt bekleideten, waren Fritz Kuhn und Claudia Roth. © Sven Simon/imago-images
Reinhard Bütikofer und Angelika Beer
Nur ein Jahr später der nächste Wechsel an der Spitze der Grünen. Reinhard Bütikofer und Angelika Beer rücken auf und bilden den Bundesvorstand der Partei von 2002 bis 2004. © imago-images
Claudia Roth als Vorsitzende der Grünen zurück - an der Seite von Reinhard Bütikofer
2004 kehrte Claudia Roth als Vorsitzende der Grünen zurück - an der Seite von Reinhard Bütikofer. Das Duo blieb bis 2008 im Amt. © Sven Simon/imago-images
Claudia Roth und diesmal Cem Özdemir das Führungsduo der Grünen
Claudia Roth blieb insgesamt bis 2013 im Amt. Ab 2008 mit neuem Co-Vorsitzenden: Cem Özdemir. © Jan Huebner/imago-images
Cem Özdemir blieb Parteivorstand. Von 2013 bis 2018 führte er die Grünen gemeinsam mit Simone Peter.
Cem Özdemir blieb Parteivorstand. Von 2013 bis 2018 führte er die Grünen gemeinsam mit Simone Peter. © Rüdiger Wölk/imago-images
nnalena Baerbock und Robert Habeck als Führungsduo den Vorstand der Grünen
Im Jahr 2018 übernahmen Annalena Baerbock und Robert Habeck als Führungsduo den Vorstand der Grünen. Nach dem Einzug der Grünen in die Bundesregierung legten sie ihre Ämter nieder und schlossen sich dem Kabinett von Bundeskanzlern Olaf Scholz an. © Chris Emil Janssen/imago-images
Omid Nouripour und Ricarda Lang
Es folgten Omid Nouripour und Ricarda Lang. Sie übernahmen den Vorsitz des Bundesvorstands der Grünen im Jahr 2022. Zwei Jahre später verkünden beide ihren Rücktritt als Reaktion auf zahlreiche Wahlschlappen ihrer Partei. Wer die Umweltpartei künftig führt, ist noch offen. © dpa

Nach der deutschen Bundestagswahl am 23. Februar müsse es eine Regierung geben, für die jede Partei Zugeständnisse mache. „Wenn wir die Bereitschaft zu demokratischen Bündnissen nicht aufbringen, drohen uns Instabilität und Handlungsunfähigkeit. Das kann Deutschland sich nicht leisten und wir können es Europa nicht zumuten“, betonte der Grünen-Politiker. „Ich bin bereit, Verantwortung für eine bündnisorientierte Politik zu übernehmen, die nicht sich selbst, sondern unser Land im Blick hat“, fügte er an.

Die Grünen um „Bündniskanzler“ Habeck suchen Nähe zur Union – doch es gibt Gegenwind

Sieben Wochen vor der Bundestagswahl 2025 steuern die Grünen allerdings auf ein ernüchterndes Wahlergebnis zu. Zumindest, wenn es nach aktuellen Umfragen wie der am Wochenende veröffentlichten Sonntagsfrage des Umfrageinstitutes Insa im Auftrag der Bild-Zeitung geht. Dort sind die Grünen mit 13 Prozent (+1 Prozent) Wählerzustimmung nur viertstärkste Partei hinter CDU/CSU (31 Prozent), AfD (20 Prozent) und SPD (16 Prozent). Die FDP dagegen dürfte mit 4 Prozent (+ 0,5 Prozent) um den Einzug in den Bundestag bangen müssen.

Auch deshalb ist es nicht überraschend, dass die Grünen ihre Rolle als möglicher Bündnispartner für die Union im diesjährigen Bundestagswahlkampf besonders betonen. Kurz vor dem Wahlkampfauftakt am Montag in Lübeck starteten die Grünen eine Kampagne, bei der sie Habeck in verschiedenen deutschen Großstädten mit dem Schlagwort „Bündniskanzler“ an Fassaden projizieren.

Im Gegensatz zu seinem Unionskollegen Markus Söder (CSU), schließt CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine potenzielle Koalition mit den Grünen übrigens nicht kategorisch aus. Und auch Grünen-Chefin Franziska Brantner erklärte, eine schwarz-grüne Regierung als Koalitionsoption weiter ins Auge zu fassen. Als Schwierigkeit entgegenschlagen dürften Union und Grünen dabei allerdings ihre mitunter sehr verschiedenen Standpunkte bei Themen im Zuge der Energiewende. In der ARD-Sendung Maischberger kündigte Merz so etwa im Vormonat an, das von Habeck initiierte Heizungsgesetz im Falle eines Wahlsiegs der Union „kippen“ zu wollen. (fh)

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