Das EU-„Kabinett“ im Einzelnen

Promis, Premieren und Problemfälle: Das ist Ursula von der Leyens neue EU-Kommission

Informeller EU-Gipfel
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Ursula von der Leyen (Deutschland): Von der Leyen ist zum zweiten Mal EU-Kommissionschefin. Eine ihrer wichtigen Aufgaben ist es, den EU-eigenen Institutionen Gewicht zu verleihen und Kompromisse zu finden – auch im Austausch mit den Staats- und Regierungschefs, im „EU-Rat“. Hier ist sie bei einem informellen Treffen in Budapest zu sehen; im EU-blauen Blazer.
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Kaja Kallas (Estland, Liberale): Sechs Kommissions-Vizepräsidentinnen und -präsidenten hat von der Leyen. Eine davon ist Kaja Kallas. Als Außenbeauftragte der EU ist ihr ohnehin eine besondere Rolle zugedacht. Die Estin gilt als vehemente Unterstützerin der Ukraine und Vertreterin eines harten Kurses gegenüber Wladimir Putins Russland. Ihr großes Ziel: Die 27 Staaten auf eine gemeinsame Position und Stimme zu einen.
Am Ende ist es gutgegangen: Italiens neuer EU-Kommissar Raffaele Fitto und Giorgia Meloni bei einer Militärparade.
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Raffaele Fitto (Italien, EKR): Über die Personalie Fitto wurde im EU-Parlament heftig gestritten. Der Grund: Der Italiener gehört Giorgia Melonis Partei Fratelli d‘Italia an. Er ist der erste Politiker rechts der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der Kommissions-Vizepräsident wird. Vorgeworfen wurden ihm unter anderem Voten zugunsten Ungarns im Rechtsstaats-Streit mit Viktor Orbán. Mit seinem Fach, der Regionalentwicklung in der EU, kennt sich Fitto aber recht gut aus. Er gehörte jedenfalls lange dem zugehörigen Ausschuss an.
Teresa Ribera Rodriguez (Spanien, Sozialdemokraten): Auch für Kommissions-Vizepräsidentin
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Teresa Ribera Rodriguez (Spanien, Sozialdemokraten): Auch für Kommissions-Vizepräsidentin Teresa Ribera war die Bestätigung durch das EU-Parlament kein Spaziergang. Die neue Wettbewerbs-Kommissarin amtierte zuvor als Spaniens Ministerin für „ökologischen Umbau“. Die Konservativen im Land machten ihr Vorwürfe in Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Valencia. Vielleicht auch aus taktischen Erwägungen. Der Streit endete mit einem Kuhhandel: Die Sozialdemokraten ließen Fitto passieren, die EVP Ribera.
Stéphane Séjourné (Frankreich, Liberale)
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Stéphane Séjourné (Frankreich, Liberale): Eher indirekten Theaterdonner gab es um die Nominierung von Industrie-Kommissar und Vizepräsident Sejourné. Eigentlich wollte Emmanuel Macron noch einmal Thierry Breton als Kommissar sehen. Breton hatte in Brüssel polarisiert, unter anderem mit seinem Einsatz für Atomkraft – von der Leyen bat um eine Alternative. Die wurde in Sejourné gefunden. Der amtierte zuvor einige Monate lang als Frankreichs Außenminister.
Henna Virkkunen (Finnland, Konservative) kommissarin technische souveränität
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Henna Virkkunen (Finnland, Konservative): Auch Finnland bekommt eine Vizepräsidentin. Von 2008 bis 2014 war Virkkunen Ministerin in der Heimat – nacheinander für Bildung, öffentliche Verwaltung und (kurz) auch Verkehr. Ab 2014 war die 1972 geborene Konservative EU-Abgeordnete und zuletzt Leiterin der finnischen Delegation in der konservativen EVP. Ihr neuer Posten hat durchaus Relevanz: Als Kommissarin kümmert sich Virkkunen um „Technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie“ – Stichwort Cyberattacken und Desinformation.
Roxana Minzatu (Rumänien, Sozialdemokraten) Kompetenzen Vorsorge Kommissarin
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Roxana Minzatu (Rumänien, Sozialdemokraten): „Menschen, Kompetenzen und Vorsorge“ sind die inhaltlichen Aufgaben der ersten rumänischen Vizepräsidentin in der Geschichte der Kommission. Kleinere Verstimmungen gab es eher zu ihrem Titel als zu ihrer Person: Einige Abgeordnete hätten gerne auch die Worte „Bildung“ und „Beschäftigung“ über ihrem Portfolio gesehen. In der Heimat war Minzatu schon Staatssekretärin und kurzzeitig Ministerin. Beide Male ging es auch um die Verteilung von EU-Mitteln.
Andrius Kubilius litauen konservative verteidigungs kommissar eu
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Andrius Kubilius (Litauen, Konservative): Erstmals gibt es einen EU-Verteidigungskommissar – bemerkenswerterweise kommt er wie die Außenbeauftragte aus dem Baltikum. Kubilius ist in seiner Heimat höchst bekannt. Und in Russland Persona non grata. Kubilius war Litauens Premier, Chef der konservativen Vaterlandsunion und später Berater des damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Der Kreml verhängte ein Einreiseverbot.
Valdis Dombrovskis (Lettland, Konservative) kommissar eu wirtschaft
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Valdis Dombrovskis (Lettland, Konservative): „Sie kennen mich“ hätte Dombrovskis (li.) den EU-Parlamentariern zurufen können – der dritte Balte im Reigen ist schon seit 2014 Kommissar. Zuerst war er für den Euro zuständig, dann für Wirtschaft, ab 2020 schließlich für Handel. Nun heißt sein Portfolio wieder „Wirtschaft“; hinzu kommt „Vereinfachung“. Dombrovskis kennt das Feld und auch viele Minister auf dem internationalen Parkett. Mit einem kleinen Dämpfer muss er aber leben: 2019 noch machte ihn von der Leyen zu einem ihrer Vize. Das ist nun passé.
Dubravka Šuica (Kroatien, Konservative) EU-Kommissarin bei einer Papst-Audienz
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Dubravka Šuica (Kroatien, Konservative): Unter der schönen Überschrift „Neuer Schwung für die Europäische Demokratie“ war Šuica schon Mitglied der Kommission „von der Leyen I“ – Demokratie und Demografie lauteten ihre Aufgaben. Eine Privataudienz beim Papst (im Foto) stand auch auf dem Programm. Die Kroatin hat nun ein taufrisches Amt bekommen: Kommissarin für den Mittelmeerraum. Diesen Posten gab es seit den 90ern nicht mehr. Eng zusammenarbeiten wird Šuica wohl mit der Außenbeauftragten Kaja Kallas. Anders als die ist aber nicht (mehr) Vize-Präsidentin.
  • Florian Naumann
    VonFlorian Naumann
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Die EU hat eine neue Kommission: 27 Köpfe aus 27 Ländern als eine Art EU-Kabinett. Da finden sich naturgemäß Streitfälle.

Eine EU-Kommission zu schmieden mag zu den schwierigsten politischen Aufgaben des Kontinents gehören – jedenfalls was Personalfragen angeht. Entsprechend musste auch Ursula von der Leyen etwas zittern, bis ihr zweites „Kabinett“ die Bestätigung des EU-Parlaments in der Tasche hatte. Gleich mehrere strittige Personalien wollten erstmal durchgeboxt werden. Und eine drohende politische „Geiselnahme“ abgewendet.

Bereits ein Blick auf das Prozedere zeigt, warum die Kommissionsfindung so komplex ist. Denn Kandidaten sucht sich der oder die Kommissionspräsident(in) nicht freihand selbst aus: Die Mitgliedsstaaten nominieren je eine/n Kommissar/in. Wer das wird, hängt nicht zuletzt von den Mehrheitsverhältnissen im jeweiligen Land ab. Die Regierungen schicken natürlich gerne ihnen nahestehende Personen als Amtsträger nach Brüssel.

Ursula von der Leyens zweite EU-Kommission: Kurioses bei der Kommissars-Wahl

Das Verfahren kann teils skurril anmuten: Im ohnehin notorisch regierungskriselnden Belgien etwa war Berichten zufolge das Interesse gering, die Personalie auszuwählen. Am Ende kam das eher kleine liberale „Movement Réformateur“ zum Zuge – und schickte die politische Quereinsteigerin Hadja Lahbib, die als Außenministerin etwas umstritten war. Etwa, weil der Bürgermeister Teherans mit offiziellem Visum in Belgien auftauchte. Oder weil sie in ihrem vorherigen Job als Journalistin mit russischem Visum auf der Krim zu Gast war.

Komplett dem Gutdünken der Staats- und Regierungschefs ist von der Leyen natürlich auch nicht ausgeliefert. Sie weist den Kandidatinnen und Kandidaten ihre Posten zu. Und sie kann jedenfalls mit Nachdruck bitten, eine Personalie zu überdenken. Mit dem Franzosen Thierry Breton (ursprünglich auch 2024 Emmanuel Macrons Favorit) etwa wollte sie offenbar nicht mehr arbeiten. Nach der Europawahl 2024 wies von der Leyen auch höflich darauf hin, dass sie ein mehr oder minder ausgeglichenes Geschlechterverhältnis anstrebt. So ganz klappte das letztlich nicht.

Dafür wollen alle 26 Länder (das Land, das den Präsidenten-Posten besetzt, entsendet keinen weiteren Vertreter in die Kommission) natürlich gewichtige Portfolios. Außenpolitik mag da lieber gesehen sein als „Generationengerechtigkeit“. Und einen Kommissions-Vizepräsidenten oder eine Kommissions-Vizepräsidentin haben alle nationalen Regierungen gerne in ihren Reihen.

Fitto, Várhelyi, Ribera: Die Sorgenkinder in von der Leyens EU-Kommission

Und zu guter Letzt: Einen formalen Koalitionsvertrag, auf den sich die Kommission im EU-Parlament stützen könnte, gibt es nicht. Mehrheiten sind fluide – und gerade deshalb stellt man sich gerne mit allen (demokratischen) Lagern gut. Das kann für weiteren Streit sorgen. So 2024, als von der Leyen den Italiener Raffaele Fitto von Giorgia Melonis Fratelli d‘Italia in den Rang eines Kommissions-Vizepräsidenten hievte.

Möglich, dass das künftig die Zusammenarbeit mit Melonis italienischer Regierung erleichtern wird. Die EVP um CDU und CSU unterstützte den Plan dann auch nach Kräften. Bei Sozialdemokraten und Liberalen, die von der Leyen ebenfalls für Mehrheiten brauchen wird, stieß die Idee hingegen auf Empörung. Am Ende war ein Kuhhandel nötig, um die Kommission durchzubringen: Die Fraktionsspitze der Sozialdemokraten schluckte ihren Zorn über Fittos herausgehobenes Amt herunter – Manfred Webers (CSU) Führung der EVP-Fraktion überging ein Veto ihrer spanischen Delegation gegen die sozialdemokratische Kommissions-Vizepräsidentin Teresa Ribera. Auch das ist EU-Politik.

Ebenso wie ein pikanter anderer Fall: Der ungarische Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi war einigen Parlamentariern nicht nur ein Dorn im Auge, weil sie die Beitrittsbemühungen der Ukraine durch ihn untergraben sahen – Várhelyi beleidigte Abgeordnete zudem bei offenem Mikrofon als „Idioten“. Schlussendlich gehört auch er der neuen Kommission an. Womöglich, weil klar ist: „Einfache“ Kandidaten wird Viktor Orbáns stramm rechte Fidesz nicht nach Brüssel entsenden. Und das Votum des ungarischen Ministerpräsidenten wird die EU noch so einige Male brauchen. Ein Grund, warum es Rufe nach tiefgreifenden Reformen gibt.

Wer ist EU-Kommissar(in)? Ursula von der Leyens neue EU-Kommission im Schnell-Überblick:

Portfolio:Inhaber/in:Land / Partei:bisherige/r Landesvertrer/in:
KommissionspräsidentinUrsula von der LeyenDeutschland / EVP**seit 2019 im Amt
Außenbeauftragte*Kaja KallasEstland / ALDEKadri Simson (ALDE)
Binnenmarkt*Stéphane SéjournéFrankreich / ALDEThierry Breton (parteilos)
Kohäsion*Raffaele FittoItalien / EKRPaolo Gentiloni (SPE)
Technische Souveränität*Henna VirkkunenFinnland / EVPJutta Urpilainen (SPE)
Wettbewerb*Teresa RiberaSpanien / SPEJosep Borrell (SPE)
Bildung und Qualifikation*Roxana MînzatuRumänien / SPEAdina Valean (EVP)
VerteidigungAndris KubiliusLitauen / EVPVirginijus Sinkevičius (parteilos)
KrisenmanagementHadja LahbibBelgien / ALDEDidier Reynders (ALDE)
ErweiterungMarta KosSlowenien / parteilosJanez Lenarčič (parteilos)
Inneres und MigrationMagnus BrunnerÖsterreich / EVPJohannes Hahn (EVP)
MittelmeerDubravka Šuica Kroatien / EVPseit 2019 Mitglied
HandelMaroš ŠefčovičSlowakei / parteilosseit 2009 Mitglied
Internationale PartnerschaftenJozef SíkelaTschechien / EVPVera Jourová (ALDE)
Demokratie und RechtsstaatMichael McGrathIrland / ALDEMairead McGuinness (EVP)
HaushaltPiotr SerafinPolen / EVPJanusz Wojciechowski (EKR)
WirtschaftlichkeitValdis DombrovskisLettland / EVPseit 2014 Mitglied
FinanzdienstleistungenMaria Luís AlbuquerquePortugal / EVPElisa Ferreira (SPE)
ForschungEkaterina SachariewaBulgarien / EVPIliana Iwanowa (EVP)
Verkehr und TourismusApostolos TzitzikostasGriechenland / EVPMargaritas Schinas (EVP)
Energie und WohnenDan JørgensenDänemark / SPEMargrethe Vestager (ALDE)
KlimaschutzWopke HoekstraNiederlande / EVPseit 2023 Mitglied
UmweltJessika RoswallSchweden / EVPYlva Johansson (SPE)
LandwirtschaftChristophe HansenLuxemburg / EVPNicola Schmit (SPE)
Fischerei und OzeaneCostas KadisZypern / parteilosStelle Kyriakides (EVP)
GesundheitOlivér VárhelyiUngarn / parteilosseit 2019 Mitglied
Jugend, Kultur, SportGlenn MicallefMalta / SPEHelena Dalli (SPE)

*Kommissions-Vizepräsident/in, ** Parteiabkürzungen: EVP = Europäische Volkspartei (konservativ), ALDE = Allianz der Liberalen und Demokraten (liberal), EKR = Europäische Konservative und Reformer (nationalkonservativ), SPE = Sozialdemokratische Partei Europas (sozialdemokratisch/sozialistisch).

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