Das EU-„Kabinett“ im Einzelnen
Promis, Premieren und Problemfälle: Das ist Ursula von der Leyens neue EU-Kommission
VonFlorian Naumannschließen
Die EU hat eine neue Kommission: 27 Köpfe aus 27 Ländern als eine Art EU-Kabinett. Da finden sich naturgemäß Streitfälle.
Eine EU-Kommission zu schmieden mag zu den schwierigsten politischen Aufgaben des Kontinents gehören – jedenfalls was Personalfragen angeht. Entsprechend musste auch Ursula von der Leyen etwas zittern, bis ihr zweites „Kabinett“ die Bestätigung des EU-Parlaments in der Tasche hatte. Gleich mehrere strittige Personalien wollten erstmal durchgeboxt werden. Und eine drohende politische „Geiselnahme“ abgewendet.
Bereits ein Blick auf das Prozedere zeigt, warum die Kommissionsfindung so komplex ist. Denn Kandidaten sucht sich der oder die Kommissionspräsident(in) nicht freihand selbst aus: Die Mitgliedsstaaten nominieren je eine/n Kommissar/in. Wer das wird, hängt nicht zuletzt von den Mehrheitsverhältnissen im jeweiligen Land ab. Die Regierungen schicken natürlich gerne ihnen nahestehende Personen als Amtsträger nach Brüssel.
Ursula von der Leyens zweite EU-Kommission: Kurioses bei der Kommissars-Wahl
Das Verfahren kann teils skurril anmuten: Im ohnehin notorisch regierungskriselnden Belgien etwa war Berichten zufolge das Interesse gering, die Personalie auszuwählen. Am Ende kam das eher kleine liberale „Movement Réformateur“ zum Zuge – und schickte die politische Quereinsteigerin Hadja Lahbib, die als Außenministerin etwas umstritten war. Etwa, weil der Bürgermeister Teherans mit offiziellem Visum in Belgien auftauchte. Oder weil sie in ihrem vorherigen Job als Journalistin mit russischem Visum auf der Krim zu Gast war.
Komplett dem Gutdünken der Staats- und Regierungschefs ist von der Leyen natürlich auch nicht ausgeliefert. Sie weist den Kandidatinnen und Kandidaten ihre Posten zu. Und sie kann jedenfalls mit Nachdruck bitten, eine Personalie zu überdenken. Mit dem Franzosen Thierry Breton (ursprünglich auch 2024 Emmanuel Macrons Favorit) etwa wollte sie offenbar nicht mehr arbeiten. Nach der Europawahl 2024 wies von der Leyen auch höflich darauf hin, dass sie ein mehr oder minder ausgeglichenes Geschlechterverhältnis anstrebt. So ganz klappte das letztlich nicht.
Dafür wollen alle 26 Länder (das Land, das den Präsidenten-Posten besetzt, entsendet keinen weiteren Vertreter in die Kommission) natürlich gewichtige Portfolios. Außenpolitik mag da lieber gesehen sein als „Generationengerechtigkeit“. Und einen Kommissions-Vizepräsidenten oder eine Kommissions-Vizepräsidentin haben alle nationalen Regierungen gerne in ihren Reihen.
Fitto, Várhelyi, Ribera: Die Sorgenkinder in von der Leyens EU-Kommission
Und zu guter Letzt: Einen formalen Koalitionsvertrag, auf den sich die Kommission im EU-Parlament stützen könnte, gibt es nicht. Mehrheiten sind fluide – und gerade deshalb stellt man sich gerne mit allen (demokratischen) Lagern gut. Das kann für weiteren Streit sorgen. So 2024, als von der Leyen den Italiener Raffaele Fitto von Giorgia Melonis Fratelli d‘Italia in den Rang eines Kommissions-Vizepräsidenten hievte.
Möglich, dass das künftig die Zusammenarbeit mit Melonis italienischer Regierung erleichtern wird. Die EVP um CDU und CSU unterstützte den Plan dann auch nach Kräften. Bei Sozialdemokraten und Liberalen, die von der Leyen ebenfalls für Mehrheiten brauchen wird, stieß die Idee hingegen auf Empörung. Am Ende war ein Kuhhandel nötig, um die Kommission durchzubringen: Die Fraktionsspitze der Sozialdemokraten schluckte ihren Zorn über Fittos herausgehobenes Amt herunter – Manfred Webers (CSU) Führung der EVP-Fraktion überging ein Veto ihrer spanischen Delegation gegen die sozialdemokratische Kommissions-Vizepräsidentin Teresa Ribera. Auch das ist EU-Politik.
Ebenso wie ein pikanter anderer Fall: Der ungarische Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi war einigen Parlamentariern nicht nur ein Dorn im Auge, weil sie die Beitrittsbemühungen der Ukraine durch ihn untergraben sahen – Várhelyi beleidigte Abgeordnete zudem bei offenem Mikrofon als „Idioten“. Schlussendlich gehört auch er der neuen Kommission an. Womöglich, weil klar ist: „Einfache“ Kandidaten wird Viktor Orbáns stramm rechte Fidesz nicht nach Brüssel entsenden. Und das Votum des ungarischen Ministerpräsidenten wird die EU noch so einige Male brauchen. Ein Grund, warum es Rufe nach tiefgreifenden Reformen gibt.
Wer ist EU-Kommissar(in)? Ursula von der Leyens neue EU-Kommission im Schnell-Überblick:
| Portfolio: | Inhaber/in: | Land / Partei: | bisherige/r Landesvertrer/in: |
|---|---|---|---|
| Kommissionspräsidentin | Ursula von der Leyen | Deutschland / EVP** | seit 2019 im Amt |
| Außenbeauftragte* | Kaja Kallas | Estland / ALDE | Kadri Simson (ALDE) |
| Binnenmarkt* | Stéphane Séjourné | Frankreich / ALDE | Thierry Breton (parteilos) |
| Kohäsion* | Raffaele Fitto | Italien / EKR | Paolo Gentiloni (SPE) |
| Technische Souveränität* | Henna Virkkunen | Finnland / EVP | Jutta Urpilainen (SPE) |
| Wettbewerb* | Teresa Ribera | Spanien / SPE | Josep Borrell (SPE) |
| Bildung und Qualifikation* | Roxana Mînzatu | Rumänien / SPE | Adina Valean (EVP) |
| Verteidigung | Andris Kubilius | Litauen / EVP | Virginijus Sinkevičius (parteilos) |
| Krisenmanagement | Hadja Lahbib | Belgien / ALDE | Didier Reynders (ALDE) |
| Erweiterung | Marta Kos | Slowenien / parteilos | Janez Lenarčič (parteilos) |
| Inneres und Migration | Magnus Brunner | Österreich / EVP | Johannes Hahn (EVP) |
| Mittelmeer | Dubravka Šuica | Kroatien / EVP | seit 2019 Mitglied |
| Handel | Maroš Šefčovič | Slowakei / parteilos | seit 2009 Mitglied |
| Internationale Partnerschaften | Jozef Síkela | Tschechien / EVP | Vera Jourová (ALDE) |
| Demokratie und Rechtsstaat | Michael McGrath | Irland / ALDE | Mairead McGuinness (EVP) |
| Haushalt | Piotr Serafin | Polen / EVP | Janusz Wojciechowski (EKR) |
| Wirtschaftlichkeit | Valdis Dombrovskis | Lettland / EVP | seit 2014 Mitglied |
| Finanzdienstleistungen | Maria Luís Albuquerque | Portugal / EVP | Elisa Ferreira (SPE) |
| Forschung | Ekaterina Sachariewa | Bulgarien / EVP | Iliana Iwanowa (EVP) |
| Verkehr und Tourismus | Apostolos Tzitzikostas | Griechenland / EVP | Margaritas Schinas (EVP) |
| Energie und Wohnen | Dan Jørgensen | Dänemark / SPE | Margrethe Vestager (ALDE) |
| Klimaschutz | Wopke Hoekstra | Niederlande / EVP | seit 2023 Mitglied |
| Umwelt | Jessika Roswall | Schweden / EVP | Ylva Johansson (SPE) |
| Landwirtschaft | Christophe Hansen | Luxemburg / EVP | Nicola Schmit (SPE) |
| Fischerei und Ozeane | Costas Kadis | Zypern / parteilos | Stelle Kyriakides (EVP) |
| Gesundheit | Olivér Várhelyi | Ungarn / parteilos | seit 2019 Mitglied |
| Jugend, Kultur, Sport | Glenn Micallef | Malta / SPE | Helena Dalli (SPE) |
*Kommissions-Vizepräsident/in, ** Parteiabkürzungen: EVP = Europäische Volkspartei (konservativ), ALDE = Allianz der Liberalen und Demokraten (liberal), EKR = Europäische Konservative und Reformer (nationalkonservativ), SPE = Sozialdemokratische Partei Europas (sozialdemokratisch/sozialistisch).
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