NSA-Untersuchungsausschuss
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Ein Teilnehmer aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags geht am 03.07.2014 zur Tür des Anhörungssaales im Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin.

"Skandal", "Angriff auf die Demokratie"

Doppelagent: Alle Parteien empört über Spionage

Berlin - In der NSA-Spähaffäre sind die Deutschen einiges von den USA gewohnt. Aber der Spionageverdacht im BND übertrifft alles bisher Dagewesene. Entsprechend schlagen die Wogen der Kritik hoch.

Die US-Spionageaffäre sorgt parteiübergreifend für Empörung und lässt den Ruf nach Konsequenzen laut werden. Beim Bundesnachrichtendienst (BND) soll seit zwei Jahren ein Spion der US-Geheimdienste gearbeitet haben. Besonders schwer wiegen Vorwürfe, dass dieser auch geheime Papiere über den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags weitergegeben haben soll.

Quer durch alle Parteien verlangten Politiker Aufklärung und warnten in den Samstagsausgaben der Zeitungen vor den negativen Folgen für das transatlantische Verhältnis. Der SPD-Obmann im Ausschuss, Christian Flisek, sagte dem Bayerischen Rundfunk, sollte sich der Verdacht erhärten, wäre das ein „Skandal“ und „Angriff auf die parlamentarische Demokratie“. Dies müsste Konsequenzen haben, sowohl im Bereich der Zusammenarbeit der Geheimdienste als auch im Bereich der Politik. Er unterminiere alle Bemühungen, das verloren gegangene Vertrauen zwischen Deutschland und den USA wieder aufzubauen, sagte er NDR Info.

Doppelagent soll 218 BND-Geheimdokumente gestohlen haben

"Der Vorgang muss jetzt lückenlos aufgeklärt werden", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), der "Bild"-Zeitung(Samstagsausgabe). "Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass der BND-Mitarbeiter jahrelang als Doppelagent von der amerikanischen Botschaft aus gesteuert wurde, ist das ein riesiger Vertrauensbruch im transatlantischen Verhältnis. In einer ohnehin fragilen Situation würde dieser Spionagefall eine weitere Belastungsprobe für das deutsch-amerikanische Verhältnis darstellen."

Die Affäre um das massenhafte Ausspähen der Kommunikation unbescholtener Bürger durch den US-Geheimdienst NSA überschattet die Beziehungen zu Washington seit mehr als einem Jahr. Im März dieses Jahres hatte der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Arbeit aufgenommen. Er soll nicht nur die Rolle des NSA, sondern auch des BND in der Affäre klären.

Der am Mittwoch festgenommene BND-Mitarbeiter steht nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung", des NDR und WDR im Verdacht, den Untersuchungsausschuss ausspioniert zu haben. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung hat der 31-Jährige zwischen 2012 und 2014 insgesamt 218 BND-Geheimdokumente gestohlen und auf einem USB-Stick gespeichert.

Heftige Kritik: "Ungeheuerlicher Vorgang", "schwerwiegend", ...

Der Grünen-Obmann im Ausschuss, Konstantin von Notz, sprach in den "Ruhr Nachrichten" (Samstagsausgabe) von einem "ungeheuerlichen Vorgang". Es könne nicht hingenommen werden, "wenn der NSA-Ausschuss, der die Ausforschung von Millionen Deutschen aufklären soll, selbst ausgeforscht wird". Ein solcher Vorgang müsste Konsequenzen haben. „Wenn sich die Vorwürfe bestätigen, müsste es auch gegenüber den Amerikanern eine deutliche Reaktion geben. Die Ausforschung eines Bundestagsgremiums ist keine Lappalie.“

Der CSU-Außenexperte Hans-Peter Uhl bezeichnete den Vorgang als "schwerwiegend". Der Austausch von Informationen zwischen befreundeten Nachrichtendiensten sei üblich. "Er erfolgt aber auf kooperative und nicht auf kriminelle Art und Weise", sagte er der "Bild"-Zeitung vom Samstag.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, sagte „Handelsblatt Online“: „Die Verantwortung für die Aktivitäten des BND liegen im Bundeskanzleramt. Wir erwarten, dass die Aufklärung über diesen Vorgang schonungs- und rückhaltlos von höchster Stelle angeordnet wird.“

Riexinger: "Der BND ist auf dem atlantischen Auge blind"

Auch die Linkspartei sieht das Kanzleramt in der Verantwortung. „Alle Finger zeigen auf das Kanzleramt und dessen Chef“, sagte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger der „Rheinischen Post“ (Samstag). „Der BND ist auf dem atlantischen Auge blind“, erläuterte er. Wenn die Spionageabwehr offenkundig noch nach den Mustern des Kalten Krieges funktioniere, stelle sich die Frage nach der politischen Verantwortung für eine Fehlsteuerung.

Riexinger forderte, die Bundesregierung müsse den Amerikanern jetzt „die Zähne zeigen“ und das Parlament parteiübergreifend „gegen diesen Angriff auf seine Freiheit Stellung beziehen“.

Der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Samstag), der Vorgang berühre die Zuverlässigkeit des Bundesnachrichtendienstes. Der BND sei ein Instrument der Bundesregierung. „Und die Bundesregierung ist keine Vasallenregierung der USA oder eines anderen Staates. Deshalb ist ein solcher Vertrauensbruch Landesverrat.“ Zunächst gelte für den Festgenommenen allerdings die Unschuldsvermutung.

Bundestagsvizepräsidentin Pau: "Angriff auf das Parlament"

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) sprach ebenfalls von einem "Angriff auf das Parlament". Die Bundesregierung agiere hilflos, sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstagsausgabe). "Ich erwarte, dass hier mal ernsthaft über Konsequenzen geredet wird und der Generalbundesanwalt den NSA-Komplex übernimmt", sagte Pau. Auch müsse die Bundesregierung mit dem Untersuchungsausschuss mehr kooperieren.

Der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck verwies darauf, dass der "BND ein Instrument der Bundesregierung" sei. "Und die Bundesregierung ist keine Vasallenregierung der USA oder eines anderen Staates", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" (Samstagsausgabe). "Deshalb ist ein solcher Vertrauensbruch Landesverrat."

Prism, XKeyscore & Co. - Chronologie der NSA-Spähaffäre

Prism, XKeyscore & Co. - Chronologie der NSA-Spähaffäre

Snowden
Seit der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Anfang Juni die massiven Überwachungsprogramme verbündeter Geheimdienste enthüllte, beschäftigt die Spähaffäre auch die deutsche Politik. In welchem Umfang der US-Geheimdienst deutsche Bürger auskundschaftet, ist noch immer unklar. Ein Rückblick: © AFP
6./7. Juni: "Guardian" und "Washington Post" berichten über ein geheimes Überwachungsprogramm namens "Prism", mit dem der US-Geheimdienst NSA auf Serverdaten großer Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Microsoft zugreife - und damit potenziell auch auf Daten deutscher Bürger. Quelle der Enthüllungen ist der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden, der seitdem auf der Flucht vor der US-Justiz ist.
6./7. Juni: "Guardian" und "Washington Post" berichten über ein geheimes Überwachungsprogramm namens "Prism", mit dem der US-Geheimdienst NSA auf Serverdaten großer Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Microsoft zugreife - und damit potenziell auch auf Daten deutscher Bürger. Quelle der Enthüllungen ist der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden, der seitdem auf der Flucht vor der US-Justiz ist. © dpa
Angela Merkel will die komplette Amtszeit absolvieren, sollte sie erneut zur Bundeskanzlerin gewählt werden.
10./11. Juni: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnt vor einer "möglichen Beeinträchtigung von Rechten deutscher Staatsangehöriger". © AFP
Barack Obama
19. Juni: US-Präsident Barack Obama versichert nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin, die US-Geheimdienste würden sich künftig eng mit den deutschen Partnern abstimmen. © dpa
In Berlin demonstrierten rund 500 Bürger gegen die Überwachung.
Beim Besuch von Obama in Berlin protestieren etwa 200 Menschen gegen Überwachung. © AFP
29./30. Juni: US-Geheimdienstler spähen nach Informationen des Magazins „Der Spiegel“ auch die Europäische Union aus. In Deutschland sei der Abhördienst NSA besonders aktiv. Politiker reagieren empört.
29./30. Juni: US-Geheimdienstler spähen nach Informationen des Magazins „Der Spiegel“ auch die Europäische Union aus. In Deutschland sei der Abhördienst NSA besonders aktiv. Politiker reagieren empört. © picture alliance / dpa
Außerdem wird die Kanzlerin und CDU-Chefin als "Angela 'Teflon' Merkel" beschrieben, weil vieles an ihr abgleite wie an einer Teflon-Pfanne. 
1. Juli: Merkel weist den Vorwurf zurück, sie habe von der US-Späherei in Deutschland gewusst. © picture alliance / dpa
BND
7. Juli: Snowden beschuldigt den Bundesnachrichtendienst (BND) in einem "Spiegel"-Interview, schon seit langem mit der NSA zusammenzuarbeiten. © picture alliance / dpa
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei der Pressekonferenz nach seinen Gesprächen in Washington.
12. Juli: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht in Washington mit US-Regierungsvertretern. Nach seiner Reise verteidigt er die Überwachungsprogramme. NSA-Informationen hätten Terror-Anschläge in Deutschland verhindert. Oppositionspolitiker kritisieren die Reise als reine "Symbolpolitik"; die erhoffte Aufklärung sei ausgeblieben. © picture alliance / dpa
Eine Demonstrantin lässt sich in Berlin während eines Protest-"Spaziergangs" vor dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes gegen Überwachung von einer Kamera aus Pappe in den Mund "filmen". Zu der Demo hatten Netz-Aktivisten der "Digitalen Gesellschaft" aufgerufen.
15. Juli: Laut „Bild“-Zeitung soll der BND seit Jahren von der NSA-Datenerfassung gewusst und bei Gefahr darauf zugegriffen haben. © picture alliance / dpa
Seinen eigenen trockenen Humor führt er auf seine Großmutter zurück - jüngst antwortete er einem Journalisten auf Fragen, ob er dieses oder jenes ausschließe: „Steinbrück schließt nicht aus, dass er Hundefutter isst“.
14. Juli: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wirft Merkel eine Verletzung ihres Amtseids vor. Unter Merkel und ihrem Geheimdienstkoordinator Ronald Pofalla sei "ein riesiger Schaden für das deutsche Volk entstanden". © dpa
wolf
17. Juli: Ein weiteres „Prism“-Programm soll laut „Bild“ im Kommandobereich der Bundeswehr in Afghanistan zur Überwachung von Terrorverdächtigen eingesetzt worden sein. Regierung und BND versichern, es handele sich um zwei unterschiedliche Programme. © picture alliance / dpa
Merkel
19. Juli: Merkel betont, bei der Überwachung von Daten dürften auch im Kampf gegen den Terrorismus nicht alle technischen Möglichkeiten genutzt werden. „Deutschland ist kein Überwachungsstaat.“ © picture alliance / dpa
NSA-Affäre
21. Juli: Der Verfassungsschutz räumt ein, das NSA-Schnüffelprogramm "XKeyscore" einzusetzen - allerdings nur zu Testzwecken und in beschränktem Umfang. Das Programm soll in 30 Tagen bis zu 41 Milliarden Datensätze von Internet-Nutzern speichern können. © dpa (Symbolbild)
Ronald Pofalla
25. Juli: Als Koordinator der Nachrichtendienste steht Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestages erstmals Rede und Antwort. Er weist Vorwürfe gegen deutsche Dienste im PKG zurück. Es seien von deutscher Seite im Zusammenhang mit einem Entführungsfall nur zwei Datensätze an die USA übermittelt worden. Union und FDP machen die frühere rot-grüne Bundesregierung dafür verantwortlich, dass nach dem 11. September 2001 die Geheimdienstzusammenarbeit mit den USA deutlich ausgeweitet wurde. © dpa
Snowden-Unterstützer demonstrieren in Berlin.
27. Juli: Unter dem Motto "Stop watching us" protestieren bundesweit tausende Menschen gegen Überwachung. © AFP
NSA Überwachung Abhörzentrum
29. Juli: Der "Spiegel" druckt ein Dokument Snowdens, wonach zwei Datensammelstellen ("Sigads") im Dezember 2012 etwa 500 Millionen Daten aus Deutschland abgegriffen hätten. © picture alliance / AP Images
Protest gegen PRISM: Ein Aktionsbündnis mit Vertretern aus Politik, Gewerkschaften und Aktivisten von Anonymous und Blockupy protestiert gegen das jüngst bekannt gewordene Spionageprogramm PRISM des US-amerikanischen Militärgeheimdienstes NSA und die Überwachungspraxis des britischen Nachrichtendienstes GCHQ.
3. August: Die Berichte über die Datenschnüffelei haben die Bundesanwaltschaft auf den Plan gerufen. Möglicherweise werde ein Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zulasten der Bundesrepublik eingeleitet, sagt ein Sprecher der „Mitteldeutschen Zeitung“. © picture alliance / dpa
Der Eingang zum Gelände des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach.
4. August: Der NSA greift dem „Spiegel“ zufolge bei seiner Datenschnüffelei in großem Umfang auf Material des Bundesnachrichtendienstes (BND) zurück. Der BND bestätigt, dass er Metadaten seiner Fernmeldeaufklärung an die NSA übermittelt, personenbezogene Daten von Deutschen aber nur "im Einzelfall". Der Auslandsgeheimdienst vermutet hinter den "Sigads" nun Datenerhebungsstellen in Bad Aibling und Afghanistan. Die Kooperation mit der NSA diene der Auslandsaufklärung in Krisengebieten. © picture alliance / dpa
Steinmeier
7. August: Nach den Worten von Vize-Regierungssprecher Georg Streiter deutet vieles darauf hin, dass es der BND selbst war, der annähernd 500 Millionen Datensätze aus Deutschland an die NSA weitergab. Er verweist auf ein vom damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2002 geschlossenes Kooperationsabkommen. Ungeklärt bleibt weiter die Frage, wie die USA durch "Prism" den europäischen Internetverkehr überwachen. © dpa
So verantwortete der Dienst in den vergangenen Jahren nach Angaben des britischen Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) mehr als 350 Drohnen-Angriffe auf Ziele in Pakistan, Jemen und Somalia.
10. August: Der BND weist den Vorwurf zurück, mit den an die NSA übermittelten Daten Beihilfe zu gezielten Tötungen durch US-Drohnen zu leisten. Die Daten dürften für Folter oder Todesstrafen nicht verwendet werden, erklärt der Dienst. © picture alliance / dpa

AFP/dpa

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