Analyse

Es gibt nur zwei Ausnahmen: Arbeitspflicht für Flüchtlinge ist „nicht vereinbar mit Grundgesetz“

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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Im thüringischen Saale-Orla-Kreis sind Geflüchtete nun zur Arbeit verpflichtet. Das trage nicht unbedingt zur Integration bei, sagen Experten. Dafür fehle vor allem ein entscheidender Punkt.

Erfurt/Berlin – Der Vorstoß sorgte bundesweit für Diskussionen: Der Thüringer CDU-Landrat Christian Herrgott verpflichtet Asylbewerber zur Arbeit. Im Saale-Orla-Kreis sollen Geflüchtete nun vier Stunden pro Tag arbeiten, für 80 Cent pro Stunde. Wer sich weigert, dem drohen Geldkürzungen.

Bodo Ramelow über Arbeitspflicht für Flüchtlinge: „Mein Weg wäre ein anderer“

Rückendeckung gab es von der Landes-CDU. Deren Chef Mario Voigt sagte: „Wir müssen die Botschaft aussenden: Wer in Deutschland die Solidarität der Gemeinschaft erfährt, muss dafür auch etwas zurückgeben.“ Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow indes hält nichts davon, Geflüchtete für ein „Taschengeld“ arbeiten zu lassen. „Mein Weg wäre ein ganz anderer. Ich möchte, dass Menschen kein Arbeitsverbot mehr bekommen, wie es im Moment bei vielen der Fall ist“, so Ramelow im Interview mit IPPEN.MEDIA.

Jetzt meldete der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Integration und Migration (SVR) Bedenken an. Nach Einschätzung des SVR-Experten Winfried Kluth ist die Regelung nach früherer Rechtsauslegung durch das Bundesverfassungsgericht möglicherweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn dort heißt es in Absatz 12, dass niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. „Es gibt nur zwei Ausnahmen: eine herkömmliche allgemeine, für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht sowie Zwangsarbeit bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung“, so Kluth. „Weder der eine noch der andere Fall liegen hier vor.“

Geflüchtete unter Androhung von Sanktionen zur Arbeit verpflichten? Womöglich Widerspruch zum Grundgesetz

Die Arbeitspflicht für Asylsuchende mit Sanktionsmöglichkeit könne in Anlehnung an frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als Eingriff in die persönliche Freiheit Einzelner verstanden werden, so der Experte. Eine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz sei dann fraglich. Doch auch jenseits juristischer Erwägungen gebe es Zweifel am Sinn der Maßnahme. „Bei der Zuweisung von Arbeit und der gleichzeitigen Androhung von Sanktionen wird ein falsches Verständnis von Gemeinnützigkeit produziert. Dieses könnte sich nach Stimmen aus der Engagementforschung für das erwünschte ehrenamtliche Engagement als hinderlich erweisen“, so Kluth.

Sachverständigenrat zweifelt Integrationsvorteile an

Befürworter der Arbeitspflicht betonen unterdessen, dass damit auch die Integration von Geflüchteten beschleunigt werde. „Es geht natürlich darum, den Flüchtlingen eine Tagesstruktur zu geben und diejenigen, die arbeiten können, auf den ersten Arbeitsmarkt perspektivisch vorzubereiten“, so CDU-Landrat Christian Herrgott über seinen Vorstoß. Beim SVR glaubt man daran nicht unbedingt: „Es ist richtig, dass Beschäftigung einen wichtigen Beitrag zur Integration leistet. Doch ob dies im Zuge einer Arbeitspflicht für Asylsuchende geschehen kann, ist sehr zweifelhaft“, sagte der SVR-Vorsitzende Hans Vorländer. Schließlich würden die vorgeschriebenen Arbeiten „wohl kaum den etwaigen Qualifikationen und auch Interessen der Betroffenen entsprechen“.

Rubriklistenbild: © Harald Tittel/dpa

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