Steigende Fallzahlen
Epidemiologe zu Corona und Grippewelle: „Im Herbst oder Winter wird eine neue Welle kommen“
VonMax Müllerschließen
So schnell Corona da war, so schnell war das Virus auch wieder weg – zumindest gefühlt. Dabei sind nicht alle Gefahren gebannt, sagt Timo Ulrichs. Und dann steht im Winter auch noch eine Grippewelle an.
Aktuelle Corona-Zahlen zu finden, ist gar nicht mehr so leicht. Das Robert Koch-Institut teilt auf seiner Homepage mit, dass das Pandemieradar zum 1. Juli eingestellt wurde. Unvorstellbar, wenn man an die Jahre 2020 bis 2022 zurückdenkt, wo auf nahezu jeder Medienseite eine Corona-Grafik eingebettet war. Klar ist aktuell: Die Zahl der im Labor bestätigten Corona-Fälle in Deutschland steigt wieder. In der ersten Juliwoche wurden rund 1000 Fälle gemeldet, im August waren es 2400 – mehr als eine Verdopplung.
Damit meldet sich Corona langsam aber sicher wieder zurück ins kollektive Gedächtnis. Die Berichte mehren sich über die neue Variante „Eris“. Dazu wurde bekannt, dass der Impfstoff zur Auffrischung wohl bereits ab September verfügbar sein soll. Und dann gibt es neben Corona ja auch noch die „klassische“ Influenzawelle, die laut Experten in diesem Winter besonders heftig ausfallen wird. Epidemiologe Timo Ulrichs von der Berliner Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften beobachtet das alles sehr gründlich. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erklärt er, was wichtig wird in diesem Winter.
Welche Rolle spielt Corona noch – und wie wird es mit Blick auf den Winter?
„Es gibt weiter Covid-Erkrankungen, das merken gerade auch viele im Bekanntenkreis“, sagt Ulrichs. So wirklich genau weiß man es nicht. „Wir können ohne intensivere Testungen nicht erkennen, ob es eine Sommerwelle gegeben hat“, sagt Ulrichs. In dem Zusammenhang ist auch über die Rolle der Kino-Blockbuster „Oppenheimer“ und „Barbie“ spekuliert worden. Es steht der Verdacht im Raum, dass die vielen Besucher sich im Kinosaal angesteckt haben könnten. Ulrichs schließt das zumindest nicht aus.
Sicher ist hingegen etwas anderes. „Im Herbst oder Winter wird eine neue Welle kommen“, sagt Ulrichs, um im nächsten Moment gleich zu beruhigen. „Aber sie hat nicht mehr die Durchschlagskraft, ganz einfach weil die Grundimmunisierung in der Bevölkerung mittlerweile sehr hoch ist.“
Wird Corona irgendwann nicht mehr präsent sein?
Klar ist, was alle Experten schon seit Beginn der Pandemie sagten: Corona wird nicht mehr verschwinden, aber man wird relativ problemlos mit dem Virus leben können. „Es kann auch sein, dass aus anderen Regionen neue Varianten nach Deutschland kommen. Allerdings werden die Auswirkungen überschaubar sein und deshalb werden Kontrollen von Reiserückkehrern nicht nötig“, ist sich Ulrichs sicher.
Dennoch werde es auch weiter schwere Fälle geben. Auch eine Impfung mit dem bisherigen Vakzin oder eine durchgestandene Infektion schützen nicht vollständig davor. „Deswegen sollten sich Menschen mit Vorerkrankungen und über 60-Jährige erneut impfen lassen“, rät Ulrichs. „Darüber hinaus sollten auch diejenigen, die eng in Kontakt mit den Risikogruppen stehen, über eine Auffrischung nachdenken.“
Muss wieder stärker auf Corona getestet werden?
Nein. „Dass sich eine neue Variante ausbreitet, kriegt man auch so früh genug mit“, sagt Ulrichs. „Wichtig ist, dass wir bei den Krankenhauseinweisungen schauen, wie viele Menschen dort mit Covid eintreffen, um dann rechtzeitig reagieren zu können. Aktuell sieht es in der Hinsicht aber entspannt aus.“
Sollte man wieder Maske tragen?
Grundsätzlich sei das nicht angebracht, sagt Ulrichs – mit einer Ausnahme: „Wer im Alten- oder Pflegeheim arbeitet oder jemanden besucht, täte gut daran, eine Maske zu tragen.“ Die gesetzlichen Regelungen dazu sind im Frühjahr 2023 ausgelaufen.
Was hat es mit der neuen Variante „Eris“ auf sich?
Noch ist „Eris“ zwar nicht „besorgniserregend“ – jedoch seit Anfang August „von Interesse“ – so zumindest stuft die Weltgesundheitsorganisation die neue Corona-Variante EG.5.1 ein. Fachleute gehen jedoch nicht von einer besonderen Gefährlichkeit der Variante aus. Auch Ulrichs macht sich wenig Sorgen. „Das wird voraussichtlich im Sande verlaufen. Die Variante ist ansteckender, aber sehr wahrscheinlich nicht gefährlicher“, sagt der Epidemiologe.
Wird es nochmal eine gefährliche Variante geben?
Das ist zumindest sehr unwahrscheinlich, sagt Ulrichs. „Es gibt aber ein kleines Restrisiko.“ Und das wird immer kleiner, je mehr Zeit verstreicht. Denn: „Wir haben mittlerweile eine Grundimmunität in der Bevölkerung, die es dem Virus schwerer macht.“
Sorgen macht Ulrichs eher ein anderes Szenario. „Das Risiko besteht, dass nochmal ein ganz neues Virus auf uns zukommt, das gar nichts mehr mit Corona zu tun hat.“ Insofern gilt für ihn die Devise: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Gerade deswegen seien die Erkenntnisse aus den letzten drei Jahren extrem wertvoll.
Eine weitere Gefahr sieht Ulrichs in der Vogelgrippe. Diese ist zwar bereits als endemisch in Südostasien eingestuft, allerdings ist der Worst Case auch noch nicht eingetreten: eine Übertragung von Mensch zu Mensch. „Wenn das passiert, haben wir es mit einem viel gefährlicheren Szenario zu tun als bei Corona“, sagt Ulrichs.
Was mit der „klassischen Grippe“?
Sie könnte heftig ausfallen. Auf der Südhalbkugel, besonders in Australien, stiegen die Fallzahlen bereits rasant an, was in der Regel als Vorbote für den deutschen Winter gewertet wird. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat vor einer schweren Grippewelle in diesem Herbst und Winter gewarnt. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir auch in diesem Winter wieder eine schwere Influenzawelle bekommen“, sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Auch Epidemiologe Ulrichs treibt das um. „Das Problem dabei ist, dass die Letalität höher als bei Covid sein könnte. Allerdings sind wir da bereits relativ weit mit entsprechenden Impfstoffen, sodass wir viel vorbereiteter sind.“
Wie sollte man sich auf die Grippewelle vorbereiten?
„Man kann sich gegen die Grippe impfen lassen. Damit ist man auf der sicheren Seite und vor einem schweren Verlauf relativ gut geschützt“, sagt Ulrichs. Angesichts erneut drohender Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln für Kinder riet BVKJ-Präsident Fischbach Eltern außerdem zu rechtzeitiger Vorbereitung. „Eltern sollten deswegen eine gut gefüllte Hausapotheke haben“, sagte der Verbandschef. Es gehe nicht darum, Medikamente in großen Mengen zu horten, sondern für den akuten Fall unter anderem mit Fiebermedikamenten ausgerüstet zu sein.