Terror der Hamas
Kein Wort über die Toten: China verärgert Israel nach verheerendem Hamas-Terrorangriff mit Plattitüden
VonSven Haubergschließen
Außer hilflosen Plattitüden und der Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung kommt bisher wenig aus Peking. Chinas Anspruch hinkt der Wirklichkeit weit hinterher.
Mitgefühl sieht anders aus. „China ist tief besorgt über die derzeitige Eskalation der Spannungen und der Gewalt zwischen Palästina und Israel“, verkündete das Außenministerium in Peking am Sonntag hölzern. „Wir rufen die betroffenen Parteien auf, Ruhe zu bewahren, Zurückhaltung zu üben und die Feindseligkeiten sofort zu beenden, um die Zivilbevölkerung zu schützen und eine weitere Verschlechterung der Lage zu vermeiden.“
Kein Wort über die vielen Toten, kein Wort der Kritik an den Terroristen der Hamas, die seit Samstag mit einer überraschenden Großoffensive Hunderte Menschen in Israel ermordet und Tausende verletzt hat. Stattdessen wiederholte Peking routiniert seine Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung. Diese sei „der grundlegende Ausweg aus dem Konflikt“, tönte es nüchtern aus dem Außenamt. Woraufhin Yuval Waks, ein hochrangiger Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Peking, vor Journalisten erklärte, er hätte sich eine „stärkere Verurteilung“ der Hamas gewünscht. Und: „Wenn Menschen auf den Straßen ermordet und abgeschlachtet werden, ist dies nicht der richtige Zeitpunkt, um eine Zwei-Staaten-Lösung zu fordern.“
Wie im Ukraine-Krieg: China gibt sich neutral, wählt aber eine Seite
Auch Chinas Staatsmedien weigern sich, die Gewalt der Hamas zu verurteilen. Dass sich Israel nach dem Angriff verteidigt, ist etwa für die Global Times eine „Vergeltungsmaßnahme, die zwangsläufig zu mehr Blutvergießen und einer Eskalation der Gewalt führen wird“. Schuld an der Eskalation sei ohnehin nicht die palästinensische Terrorgruppe, sondern die USA. „Die Voreingenommenheit und Einmischung westlicher Länder, allen voran der USA, in die israelisch-palästinensische Frage ist seit langem offensichtlich“, behauptete das Propagandablatt. China hingegen sei ein verantwortungsvoller, weil neutraler Akteur.
Es ist ein Narrativ, das stark an Chinas Rolle im Ukraine-Krieg erinnert. Auch hier gibt sich Peking offiziell neutral – unterstützt aber den Aggressor Russland. „Chinas moralischer Bankrott ist vergleichbar mit seiner Reaktion auf die Ukraine“, schrieb Tuvia Gering, ein israelischer Experte für chinesische Außenpolitik, auf X (ehemals Twitter). „Ist Neutralität das Beste, was Peking zu bieten hat? Dann ist der moralische Kompass Chinas zerbrochen.“
Jenseits aller moralischer Fragen manövriert sich China gerade sehenden Auges in eine schier ausweglose Lage. Noch im Juni, als Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas Peking besuchte, gab sich China als möglicher Friedensstifter in Nahost. China sei bereit, „eine baldige, umfassende, gerechte und dauerhafte Lösung der Palästina-Frage zu fördern“, versprach Staats- und Parteichef Xi Jinping seinem Gast. Wie er das anstellen wolle, verriet Xi nicht. Stattdessen verwies er auf eine Zwei-Staaten-Lösung für Israel und den traditionellen Verbündeten Palästina und stellte vage eine internationale Friedenskonferenz in Aussicht.
China will im Nahen Osten vermitteln
Offenbar war man in Peking berauscht vom eigenen Erfolg: Im April hatte China eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran verkündet, nachdem Vertreter der beiden Erzfeinde in Peking zu Verhandlungen zusammengekommen waren. Es war eine spektakuläre Abkehr vom Prinzip, sich nicht in Konflikte anderer Staaten einzumischen. „Wir sind eine Kraft für Versöhnung, Frieden und Harmonie im Nahen Osten“, behauptete damals Chinas Außenamtssprecherin Mao Ning. „Es ist an der Zeit, dass wir in der Welt eine zentrale Rolle spielen und einen größeren Beitrag für die Menschheit leisten“, hatte Xi Jinping bereits 2017 selbstbewusst verkündet. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern indes sitzt Peking bislang nur am Katzentisch, Analysten bewerten den Einfluss Chinas als gering.
Dabei geht es Peking im Nahen Osten auch darum, die weltweite Vormachtstellung der USA zurückzudrängen. Nun ist es aber Washington, das Kriegsschiffe und Kampfjets ins östliche Mittelmeer verlegt, dem israelischen Militär Munition und „die notwendigen Mittel zur Selbstverteidigung“ zur Verfügung stellen will, wie US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte. China hingegen schaut zu, verurteilt, gibt Ratschläge, die derzeit niemandem helfen.
Peking engagiere sich im Nahen Osten, um von seiner Untätigkeit im Ukraine-Krieg abzulenken, schreibt der Politikwissenschaftler Wen-Ti Sung von der Australian National University auf X. Deswegen habe China zwischen dem Iran und Saudi-Arabien vermittelt und auch Israel und die Palästinenser an einen Tisch bringen wollen. Dass Peking ausgerechnet jetzt aber keine klaren Worte finde, „stellt all das infrage“.