Kritik am Ampel-Haushalt: Die Linke-Chefs Janine Wissler und Martin Schirdewan.
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Kritik an der Ampel: Die Linke-Chefs Janine Wissler und Martin Schirdewan fordern in ihrem aktuellen Strategiepapier umgehende Neuwahlen.

„Angriff auf die Superreichen“

Linke kritisiert die Ampel und fordert Neuwahlen – die Hoffnungen liegen im Osten

  • Karsten-Dirk Hinzmann
    VonKarsten-Dirk Hinzmann
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Die Linke will die Verschärfung der sozialen Kluft stoppen: mit einer Erhöhung des Mindestlohnes, dem Abschöpfen Superreicher – und Neuwahlen.

Berlin – Die Vorsitzenden der Linkspartei rufen die Revolution aus, schrieb die taz: „Revolution für Gerechtigkeit und Demokratie“ lautete die Überschrift über dem Strategiepapier mit Vorschlägen, wie die Linke ihre Rolle neu definieren kann, um Wählende und Mitglieder zurückzuerobern. Das war 2016.

Zum Jahresauftakt 2024 steht die Partei so schlecht da wie nie zuvor; und gibt sich wieder kämpferisch. „Ich glaube, dass die Ampel tatsächlich politisch abgewirtschaftet hat und dass das mit jeder Umfrage immer deutlicher wird und dass daraus natürlich auch Konsequenzen zu erfolgen haben“, sagte Parteichef Martin Schirdewan am Freitag (12. Januar) in Berlin. Wie auch die CDU fordert die Linke vorgezogene Neuwahlen zum Bundestag noch in diesem Jahr.

Die Nachfolgeorganisation der PDS ist nach der Abspaltung des Flügels um die Abgeordnete Sahra Wagenknecht noch mit 28 Abgeordneten im Bundestag vertreten und müsste mit Umfragewerten von um die vier Prozent bei Neuwahlen derzeit um den Wiedereinzug bangen. Das ergibt die aktuelle „Sonntagsfrage“ von infratest-dimap. Schirdewan und seine Co-Vorsitzende Janine Wissler legten zum Jahresauftakt ein Papier mit ihren bereits bekannten Kernzielen vor, darunter eine Vermögensabgabe und eine stärkere Besteuerung sehr hoher Vermögen und sogenannter Übergewinne sowie eine Abschaffung der Schuldenbremse. Das soll Investitionen ermöglichen und Kürzungen im Bundeshaushalt abwenden. „Niemand braucht Milliardäre“, heißt es in dem Papier, über das zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete.

Forderung: Anhebung Mindestlohn, Preisdeckel für Lebensmittel und Energie

Auf ihrem Parteitag im November hatte sich die Partei um eine neue Ausrichtung bemüht: Als eine „Linke für alle“, wie das Parteichef Martin Schirdewan formulierte, will die Partei bei der Europawahl und den drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen 2024 Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen. Wie schon im Programm zur Bundestagswahl 2021 bekämpft die Partei die nach eigenem Verständnis wachsende soziale Kluft im Land.

Das aktuelle Strategiepapier beinhaltet die Forderung nach einem Mindestlohn von 15 Euro – statt derzeit 12,41 Euro – , einen Preisstopp für Grundnahrungsmittel und ein Preisdeckel für Strom und Heizung. Ein Klimageld von 200 Euro monatlich für alle Menschen mit einem Einkommen von bis zu 4000 Euro brutto soll Mehrkosten des steigenden CO2-Preises ausgleichen. Die Sparpolitik der Ampel führe in eine „gesellschaftliche Katastrophe“, meint Schirdewan. „Die treten in der Sackgasse noch aufs Gas“, kritisiert er. Die taz sieht in diesem forschen Start ins Jahr einen „Angriff auf die Superreichen“, wie sie schreibt.

Ziel: Ablösung der Ampel-Regierung durch vorgezogene Neuwahl

Einig ist sich die Linke in ihrer Kritik an der Ampel mit der bürgerlichen Opposition: CDU-Chef Friedrich Merz hatte angesichts der Unterdeckung des Haushalts auf einen raschen Wechsel hin zu einer unionsgeführten Bundesregierung gedrängt. Er und CSU-Chef Markus Söder seien sich „einig, dass wir so schnell wie möglich diese Regierung ablösen wollen“, sagte der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur. Falls die Ampel scheitere, ziehe er dafür eine vorgezogene Bundestagswahl am 9. Juni in Betracht, den Tag der Europawahl. 

Die Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP kommen derzeit in Umfragen zusammen auf nur gut 30 Prozent, haben aber im Bundestag eine deutliche Mehrheit der Mandate. Weit vorne lägen nach aktuellem Stand CDU/CSU und AfD. Neuwahlen wären möglich, würde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage stellen. Das hatten bereits drei SPD-Kanzler gemacht: Willy Brandt (1972), Helmut Schmidt (1982) und Gerhard Schröder (2001 und 2005). Wenn sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen Scholz ausspräche, könnte Scholz dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Der Bundespräsident hätte dann ebenfalls den Neuwahlen zuzustimmen; diese müssten dann innerhalb von 60 Tagen abgehalten werden.

Für die Linke ist das allerdings Zukunftsmusik. Die Linksfraktion im Bundestag hatte sich am 6. Dezember 2023 aufgelöst. Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, schnellstmöglich solle der Gruppenstatus für die Linken-Abgeordneten beantragt werden. Bartsch sieht die Auflösung der Linken-Bundestagsfraktion als Chance für die Linkspartei. Er sagte im ZDF-Morgenmagazin, die Linke sei nicht tot. Es liege aber an ihr, dass sie einen Aufbruch hinbekomme, was sie jetzt gerade versucht. Hintergrund der Auflösung war der Austritt von Sahra Wagenknecht und neun weiteren Abgeordneten aus der Partei. Dadurch hatte die Linke mit 28 verbliebenen Mitgliedern die Mindestgröße für eine Fraktion verloren. Als parlamentarische Gruppe würde die Linke weniger Rechte und Geld haben. Der parlamentarische Einfluss sinkt.

Plan: Platzhirsch im Osten werden und neue Wähler ansprechen

An Wählerstimmen hatte die Linke spätestens im vergangenen Bundestagswahlkampf verloren durch den Linksruck der SPD aufgrund der Anhebung des Mindestlohnes und die Attraktivität der Grünen im städtischen Umfeld; die Grünen hatten gegenüber der Linken an Boden gutgemacht über das Thema Migration. An ihrem Anspruch, eine Partei für alle sein zu wollen, sei die Linke wahrscheinlich auch gescheitert, urteilt Jan Emendörfer für das Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Eine Partei, die alles vertritt – von der sozialen Gerechtigkeit über Klimaschutz und Seenotrettung für Geflüchtete bis hin zum Asylrecht, wie es derzeit noch besteht –, spricht ganz unterschiedliche Wählerinteressen in Ost und West an, die möglicherweise schwer unter einen Hut zu bringen sind.“

Die Forderung nach Neuwahlen klingt insofern genauso inkonsistent, was ein Blick in das Parteiprogramm offenbart: Die Partei will in zwei Jahren fit sein für einen Neustart. Neuwahlen noch in diesem Jahr kämen also deutlich zu früh für eine Partei, die noch auf der Suche nach ihrer neuen Markenbotschaft zu sein scheint – und dabei ihren Schlingerkurs sogar noch zu verstärken droht, wie auf dem Europaparteitag in Augsburg klar wurde, als der ehemalige Fraktionschef Dietmar Bartsch vom Osten der Republik als der „Herzkammer“ der Partei sprach. „Unsere ostdeutsche Herkunft ist ein großes Plus, und wir müssen in besonderer Weise die Interessen der Ostdeutschen vertreten. Das haben wir in den letzten Jahren vernachlässigt“, sagte Bartsch vor Journalistinnen und Journalisten.

Pikant ist diese Äußerung vor dem Hintergrund der drei in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen jeweils am 1. September, und Brandenburg am 22. September. Laut einer vom Spiegel in Auftrag gegebenen Umfrage im Dezember 2023 könnte die AfD im Osten deutlich punkten: „Die Auswertung der Meinungsforscher stützt die Beobachtung, dass die AfD in allen neuen Ländern die 30-Prozent-Marke erreicht hat und damit unter den Parteien deutlich die höchsten Anteile auf sich vereinigt. Bislang ist es der AfD noch nie gelungen, bei einer Landtagswahl stärkste Kraft zu werden. Dies könnte sich im September 2024 ändern.“

Kritik: Die Linken im Bundestag hinterlassen keine Lücke

Für sich gewinnen will die Linke verstärkt Menschen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Initiativen, Verbänden, Kirchen, sozial engagierte Menschen, Künstler, Arbeiter und Angestellte. Drei Kernforderungen will sie durchsetzen.

Der Linken ist die Schuldenbremse ein Dorn im Auge und soll aus dem Grundgesetz entfernt werden; auch für das laufende Jahr will sie statt weniger Schulden zu machen, beispielsweise in den Ausbau der Infrastruktur investieren, die Folgen des Ukraine-Krieges sowie die Inflation abfedern und Energie subventionieren. Geld hereinholen möchte sie von den Superreichen des Landes über eine Vermögensabgabe. Dazu fordert die Linke eine „einmalige, progressiv ausgestaltete“ Abgabe „auf Vermögen von mehr als zwei Millionen Euro“. Sie soll einmalig erhoben werden und könnte nach Berechnungen der Partei mehr als 300 Milliarden Euro einbringen. Weiterhin kämpft sie für einen Mindestlohn von 15 Euro.

Am Mindestlohn ist abzulesen, dass sich die Ampel auf die Forderungen der Linken zubewegt – wenn auch vielleicht langsam. Obwohl Olaf Scholz die Schuldenbremse 2024 wieder treten will, darf bezweifelt werden, dass neue Schulden vermeidbar sind. So kommt die Neue Zürcher Zeitung zu einem vernichtenden Urteil über die Zukunftsfähigkeit der Linken: „Die Partei versucht, ihr Scheitern allein Sahra Wagenknecht anzulasten. Das ist billig, denn weltfremde Politik und permanente Streitereien haben die Wähler vertrieben. Das Ende der Linken im Bundestag hinterlässt keine Lücke.“ (Karsten Hinzmann)