„Absolute Sicherheit ist Illusion“

Längere Grenzkontrollen: Grünen-Experte winkt ab – „Kann keinen Effekt auf Asylzahlen haben“

  • Florian Naumann
    VonFlorian Naumann
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Wieder einmal werden längere Grenzkontrollen gefordert. Der Grüne Erik Marquardt sieht keinen Effekt auf Migration – dafür aber Gefahren.

Straßburg/Berlin – Auch im Sommer 2024 erklingt ein bekannter Ruf: der nach Verlängerung von Grenzkontrollen in Deutschland. „Ich halte Grenzkontrollen auch an europäischen Binnengrenzen für ein wichtiges und probates Mittel, insbesondere dort, wo es gehäuft zu illegalen Einreisen kommt“, sagte Schleswig-Holsteins Landeschef Daniel Günther (CDU) am Wochenende. Auch auf Schleuserkriminalität gebe es Auswirkungen, meinte er – und erhielt Schützenhilfe von den CDU-Innenministern.

Vehementen Widerspruch gegen die Forderungen legt indes Erik Marquardt ein: Der Migrationspolitiker und neue Chef der deutschen Grünen-Delegation im EU-Parlament sieht mehrere Denkfehler. Er erwartet keinen Effekt von Grenzkontrollen etwa auf Asylzahlen – und sieht das Problem bei der Schleuserkriminalität tiefer liegen. „Irreguläre Migration ist praktisch nichts anderes, als dass jemand beispielsweise aus Syrien an der Grenze ankommt und Asyl beantragt“, erklärte er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA: „.Das Recht auf einen Asylantrag haben Menschen auch bei einer Grenzkontrolle.“

Kontrolliert wird derzeit nicht nur an den Grenzen zu Österreich, Schweiz, Tschechien und Polen – sondern wegen der Olympischen Spiele auch zwischen Deutschland und Frankreich. Bereits während der Kontrollen zur Fußball-EM vollstreckte die Bundespolizei in Bayern 390 Haftbefehle. Zudem entdeckte sie 2100 unerlaubte Einreisen und 144 Schleuser. Gut 1000 Menschen wurden an den Grenzen abgewiesen; eine niedrigere Zahl als die der unerlaubten Einreisen.

Schleuser-Problem liegt tiefer: „Irreguläre Migration wird in einem Rechtsstaat nicht gestoppt werden“

„Es ist nicht so, dass Grenzkontrollen einen Effekt auf die Asylantragszahlen haben können“, betonte Marquardt. „Wenn wir den Gedanken nähren, dass es das Ziel sein muss, die Grenzen zu schließen, dann verwirren wir die Bevölkerung.“ Gleiches gelte für Rufe nach „Asylpausen“, „Obergrenzen“ oder Gedankenspiele, das Asylrecht einzuschränken. „Seit Jahren behaupten wir, irreguläre Migration werde gestoppt. Sie wird in einem Rechtsstaat aber nicht gestoppt werden“, fügte er hinzu. „An der Zahl der Menschen, die nach Europa migrieren, lässt sich gar nicht so viel ändern. Aber im Umgang mit ihnen.“

Grenzkontrolle zwischen Salzburg und Freilassing – CDU-Politiker Daniel Günther und der Grüne Erik Marquardt haben dazu sehr unterschiedliche Standpunkte.

Auch den Verweis auf Schleuserkriminalität sieht der Grüne kritisch. Schlepper verdienten „nicht daran, dass es Asylsuchende gibt“, sondern daran, dass an den EU-Außengrenzen Gewalt herrsche und es vielerorts nicht möglich sei, Asylanträge zu stellen, erklärte Marquardt. Mit Blick auf die Außengrenzen sagte er: „Kontrolle muss man rechtsstaatlich schaffen – sonst wird die Schleuser-Mafia dafür sorgen, dass an den Grenzen niemand mehr auftaucht. Dass Leute bestochen werden und Parallelsysteme entstehen.“

Grüner gegen mehr Grenzkontrollen: Absolute Sicherheit „Illusion“ – und Gefahr für Projekt Europa

Marquardt warb für den offenen Schengen-Raum. „Auf der einen Seite geben Staaten die Rechtsstaatlichkeit an den Außengrenzen auf, auf der anderen Seite gibt es aber auch diese riesige Errungenschaft eines offenen Schengen-Raums, der auch viel wirtschaftlichen Erfolg in Europa gebracht hat“, betonte er. Diese drohe, leichtfertig geopfert zu werden, „wenn man sagt, wir wollen jetzt auch jahrelange Binnengrenzkontrollen“.

„Wir sind als Teil Europas Teil eines großen Projekts, das zerfallen wird, wenn immer mehr Staaten sagen, jetzt ist auch mal gut, wir machen die Schotten mal dicht“, warnte Marquardt. Fakt sei zugleich, dass es jährlich eine Milliarde Einreisen in den Schengenraum gebe. Nur bei 0,1 Prozent davon würden Asylanträge gestellt. Viele geschähen zudem visumsfrei: Niemand kümmere sich darum, wer da genau komme und warum.

„Absolute Sicherheit ist eine Illusion, auch wenn wir die 0,1 Prozent extrem gut kontrollieren“, mahnte Marquardt. „Wer fordert, man möchte doch bitte kontrollieren, dass sich niemand unerlaubt in Deutschland bewegt, müsste alle überwachen lassen. Das ist, glaube ich, vielen nicht bewusst.“ Es sei indes „total illusorisch, personell und finanziell, dass man eine lückenlose Überwachung aller Personen in Deutschland sicherstellt, da muss man sich nichts vormachen“. (fn

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