Analyse
„Russland muss immer Partner in Europa bleiben“? – Experte erklärt Wagenknechts EU-Wahlerfolg
VonPeter Siebenschließen
Anne-Christine Merholzschließen
Mit einer Mischung aus konservativer und linker Politik gewinnt das BSW Wähler. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident warnt vor der neuen Partei.
Sahra Wagenknecht kann feiern. Sie hat es mit eher unbekannten Spitzenkandidaten und einer rudimentären Organisation in gerade mal sechs Monaten seit Gründung auf bundesweit knapp sechs Prozent geschafft. Damit wäre sie und ihr Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auch im Bundestag vertreten. Anders als bei der Europawahl gibt es hier die Fünf-Prozent-Hürde.
Den Erfolg erklärt Prof. Jürgen Falter (Uni Mainz) gegenüber IPPEN.MEDIA: „Das BSW hat ein symbolisch relativ zugkräftiges Programm. Eine Mischung aus eher konservativer und rechter Gesellschaftspolitik und linker Programmatik, was Sozial- und Wirtschaftspolitik angeht.“ Das scheint bei einer breiten Bevölkerungsschicht gut anzukommen, insbesondere „bei Arbeitern und unteren Angestellten, die sich von den etablierten Parteien und der Ampelkoalition nicht mehr vertreten fühlen, insbesondere von Teilen der SPD und der Linken, von deren Wokeness sich viele zurückstoßen fühlen, weil diese ganz und gar nicht ihrer Lebenswelt entspricht“, so Falter weiter.
Bündnis Sahra Wagenknecht nach Europawahl: Hinweise auf Erfolg bei Landtagswahlen
Vor der Bundestagswahl im Herbst 2025 stehen aber in wenigen Wochen schon die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen an. Schaut man sich die Ergebnisse der Europawahl in den ostdeutschen Bundesländern, einschließlich Berlin an, erzielte das Bündnis etwa 13 Prozent der Stimmen und landete auf dem dritten Platz, nach der AfD und der Union. Ein Hinweis, dass es auch bei den drei Landtagswahlen einen großen Erfolg für Sahra Wagenknecht und ihre Partei geben könnte.
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnt bei IPPEN.MEDIA vor dem BSW: „Wenn auf Basis individueller Interessenlagen neue Parteien entstehen, wie es bei dem BSW von Sahra Wagenknecht der Fall ist, liegt darauf kein Segen. Ohnehin haben Parteigründungen meist zu Enttäuschungen geführt, da sie häufig an sich selbst scheitern. Die Gefahr sehe ich auch bei dem BSW, und deshalb wünsche ich mir, dass es möglichst keine Rolle spielt.“
Achtungserfolg bei Europawahl zeigt: BSW gehört wohl zum politischen Deutschland
Der Achtungserfolg bei der Europawahl zeigt hingegen, dass die Partei wohl ab jetzt zum politischen Deutschland gehört. So sieht es auch der BSW-Spitzenkandidat zur Europawahl, Thomas Geisel. Er freue sich über das „objektiv tolle Ergebnis“ – wirklich überrascht habe es ihn aber nicht. „Wir haben unser selbst gestecktes Ziel erreicht“, sagte Geisel gegenüber unserer Redaktion. Die Nähe zu Russland, die Parteichefin Sahra Wagenknecht hat, ist auch beim Spitzenkandidaten zu spüren. Frieden sei ein Ziel seiner neuen Partei. „Der Ursprung von Europa ist Gemeinschaft. Und Russland muss immer unser Partner in Europa bleiben.“ Mit einem wie Putin sei das schwer zu machen, aber mittelfristig brauche es eine Wiederannäherung. „Gorbatschows Vision vom Haus Europa, die ich teile, beinhaltet auch Russland.“
Wagenknecht-Partei konnte AfD wenig Wähler abspenstig machen
Ein anderes großes Ziel hat das BSW unterdessen verfehlt. Sahra Wagenknecht hatte im Vorfeld immer wieder betont, dass es zum Kernanliegen ihrer Partei gehöre, der AfD Stimmen abspenstig zu machen. Und auch Thomas Geisel hatte vor wenigen Monaten im Interview mit IPPEN.MEDIA erklär, möglichst viele potenzielle AfD-Wähler „abholen“ zu wollen. Das ist nicht gelungen, tatsächlich hat die Wagenknecht-Partei eher woanders gefischt. Der Politologe Prof. Falter: „Das BSW hat besonders von der Linken Wähler abgezogen, aber auch von der SPD. Es ist nicht eingetreten, was viele erhofft hatten: Dass AfD Wähler in hellen Scharen zur BSW wechseln würden.“
Mit Blick auf die Wahlen in Brandenburg, Thüringen, Sachsen, bedeutet das, dass die Mehrheitsfindung für eine Regierung extrem schwer wird. Aktuell liegt die AfD bei allen drei Ländern auf dem ersten Platz, die CDU auf dem zweiten. Eine Koaliton zwischen BSW und CDU wird es aber wohl nicht geben. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erklärte: „Wenn das Wahlergebnis am Ende bedeutet, dass mit den demokratischen Parteien keine Mehrheitsbildung möglich ist, wir aber gegen die AfD eine Regierung bilden müssen, dann müssen wir bereit sein, Gespräche zu führen. Koalitionen stehen aber weder mit der Linkspartei noch mit dem BSW zur Debatte.“
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