„Krasse Transparenzlücke“
„Netzwerk der Grünen“ – Merz will „wahre Hintergründe“ von habecks Atomausstieg erfahren
VonRebecca Fulleschließen
Die Union bereitet sich auf eine hitzige Woche vor. Im Fokus steht der AKW-Streit. Eine parlamentarische Untersuchung wird immer wahrscheinlicher.
Berlin – Mit einer gehörigen Portion Attacke will die von Friedrich Merz geführte CDU/CSU-Fraktion im Bundestag die aktuelle Sitzungswoche bestreiten. So will die Union „die wahren Hintergründe“ der Abschaltung der Kernkraft erfahren, wie die Bild berichtet. Im Mittelpunkt steht dabei neben Umweltministerin Steffi Lemke auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne). Auch mehrten sich die Rufe nach einer parlamentarischen Untersuchung.
Vorwurf im AKW-Streit an Robert Habeck: Entscheidung über Laufzeitverlängerung „manipuliert“
Ende April hatte das Magazin Cicero darüber berichtet, dass „Netzwerke der Grünen“ die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke „manipuliert“ hätten. Die Atomkraftwerke hätten auch noch länger laufen können. Hinweise von Fachleuten seien nicht zu Habeck durchgedrungen. Das berichtet die Nachrichtenagentur AFP.
Habeck wies diesen Vorwurf im ZDF in der Sendung „Markus Lanz“ Ende April zurück. Er habe den Vermerk eines Referenten über mögliche Einsparungen von Gas bei einem längeren Atombetrieb zwar nicht gesehen, sagte er. Aber genau diese Frage habe er im Ministerium und mit den Betreibern der Atomkraftwerke „rauf und runter“ diskutiert. Der Vorwurf, dass sich die Entscheidung geändert habe, weil ihn etwas nicht erreicht habe, sei „einfach nicht richtig“, heißt es in der Meldung.
Habecks Ministerium wies Anschuldigungen mehrfach zurück
Beide Ministerien weisen die Darstellung zurück, interne Bedenken gegen den damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten Atomausstieg seien unterdrückt worden. Das Magazin Cicero hatte sich Akteneinsicht vor Gericht erstritten, wie die Deutsche Presse Agentur (dpa) berichtet.
Habeck verwies im Gespräch bei Markus Lanz auf ein Schreiben der Atomkraftwerksbetreiber aus der Woche nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine Ende Februar 2022. Die Betreiber hätten selbst angegeben, dass ihre Brennstäbe ausgenutzt gewesen und die Kraftwerke über das Jahresende hinaus nicht mehr leistungsfähig gewesen seien.
Auf die Frage des ZDF-Moderators, ob er anders entschieden hätte, wenn es noch leistungsfähige Brennstäbe gegeben hätte, antwortete Habeck mit Ja – bis die Gasmangellage überwunden gewesen sei. „Der Auftrag war für alle: keine Denkverbote“, sagte er.
AKW-Betreiber widersprechen Habecks Aussagen: Gasspeicher sei leer gewesen
Schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs sei der größte Gasspeicher leer gewesen. „Wenn Atomkraft geholfen hätte, dann hätten wir das sicherlich gemacht.“ Nur habe sie an der Stelle nicht geholfen. Später hätten die Kraftwerksbetreiber gesagt, dass die Brennelemente länger laufen könnten. „Und so ist es dann ja auch gekommen.“ Mittlerweile haben sich AKW-Betreiber zu Wort gemeldet und Habecks Aussagen widersprochen. Auch der Ex-Eon-Aufsichtsratschef kritisierte Habecks Argumente zum Atomausstieg und nannte sie „Unsinn“.
Die Diskussion um die deutsche Energieversorgung war nach dem Angriff von Russlands damals wichtigstem Gaslieferanten Russland auf die Ukraine im Frühjahr 2022 neu aufgeflammt. Als im Sommer die Gaslieferungen aus Russland zunächst gedrosselt und später gestoppt wurden, beschloss die Bundesregierung, die Laufzeiten der drei Kraftwerke bis Mitte April 2023 zu verlängern.
Vermerke sollen gezielt umgeschrieben worden sein
„Bereits aus den bisher vorliegenden Informationen wird aber offenkundig, dass bei der Entscheidung der Bundesregierung zum Kernkraft-Aus bewusst nicht auf die Expertise der Fachebene gehört werden sollte und Vermerke gezielt umgeschrieben wurden“, sagte Unionsfraktionsvize Steffen Bilger (CDU). „Die Minister Habeck und Lemke konnten den Verdacht, dass grünes Parteiprogramm vor Gemeinwohl geht, bislang in keiner Weise entkräften – im Gegenteil.“
Nichts sei verheimlicht worden, alles sei schriftlich nachweisbar, sagte Habeck im April dem ZDF. Er kündigte an, dass dem zuständigen Bundestagsausschuss alle Akten zur Verfügung gestellt würden.
„20 dürre Seiten“ für den Bundestag: Unterlagen fehlen und seien geschwärzt
Die Unionsfraktion im Bundestag fordert weiterhin die Herausgabe der Akten rund um den Automausstieg. Das Magazin Cicero habe wohl zwei dicke Aktenordner, der Bundestag aber nur „20 dürre Seiten“, sagte der klima- und energiepolitische Sprecher der Fraktion, Andreas Jung (CDU), der dpa. Diese „krasse Transparenzlücke“ müsse geschlossen werden.
Steffen Bilger sagte, dass die Auswahl der übermittelten Unterlagen nicht nachvollziehbar sei. Es fehlten Unterlagen in großem Umfang, und sie seien auch umfassend geschwärzt, wie er gegenüber der Bild erklärt.
Auch der Vize-Vorsitzende des CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, spricht gegenüber der Tageszeitung von vielen Ungereimtheiten. „Wenn die Regierung bis Ende der Woche nicht vollständige Transparenz schafft, dann liefert sie selbst den Grund für eine parlamentarische Untersuchung.“ (Rebecca Fulle/dpa/AFP)
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