Eon kritisiert Argumentation bei Atom-Aus

„Mit Verlaub, das ist Unsinn“ – Wirbel um Habecks Geheimpapiere zum Atomausstieg

  • Lars-Eric Nievelstein
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Die Diskussion um Robert Habecks geheime Nuklear-Akten reißt nicht ab. In der Industrie herrscht Unverständnis. Habeck will die Akten offenlegen.

Berlin – Haben Beamte im von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (die Grünen) geleiteten Ministerium die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken manipuliert? Seitdem das Magazin Cicero Ende April genau diese Frage aufgeworfen hatte, gibt es fast täglich neue Einschätzungen und Enthüllungen dazu. Das Ministerium habe die Öffentlichkeit gezielt desinformiert, um den Atomausstieg zu besiegeln. Habeck sagte dazu, die Energie-Industrie habe seine Meinung geteilt. Dem widerspricht nun ein einst für den Energie-Riesen Eon tätiger Experte.

Ex-Eon-Aufsichtsratschef kritisiert Argumente zum Atomausstieg – „Beides ist Unsinn“

Der Hintergrund ist bekannt: Im Zuge der Debatte um den Atomausstieg hatte das Magazin Cicero erfolgreich die Herausgabe bestimmter Akten eingeklagt, die aus den für den Ausstieg zuständigen Ministerien für Wirtschaft und Umwelt stammen. Diese legten offen, dass Fachleute um den Wirtschaftsminister Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (ebenfalls Grüne) schon im Frühjahr 2022 eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke empfohlen hatten. Cicero zufolge hatten verschiedene Beamte diese Einschätzungen aus ideologischen Gründen unterdrückt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 26. April im Deutschen Bundestag (Symbolfoto). Die Diskussion um Robert Habecks geheime Nuklear-Akten reißt nicht ab. In der Industrie herrscht Unverständnis.

Karl-Ludwig Kley, der zwischen 2016 und 2023 als Aufsichtsratsvorsitzender des Energiekonzerns Eon gearbeitet hatte, widerspricht Habecks derzeitiger Darstellung, die Branche sei mit dem Abschalten der Kernkraftwerke einverstanden gewesen, vehement. Gegenüber n-tv gab er an, dass das Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium bereits im März 2022 kräftig desinformiert hätten. „Zusammengefasst steht da drin (ein damals veröffentlichter Vermerk der Ministerien, Anm. d. Red.), dass erstens deren 4,4 Gigawatt Kraftwerksleistung keinen relevanten Beitrag zur Energieversorgung leisten würden. Und zweitens, dass aufgrund der regulatorischen Hindernisse die Laufzeitverlängerung gar nicht möglich sei. Mit Verlaub, beides ist Unsinn“, sagte Kley.

15 Millionen Tonnen CO₂ – so hoch wäre die Einsparung gewesen

Diese 4,4 Gigawatt, die die Kernkraftwerke noch hätten liefern können, schätzte Kley als „außerordentlich relevante Menge“ ein. „Damit hätten zum Beispiel die CO₂-Emissionen der Kohlekraftwerke um mindestens 15 Millionen Tonnen verringert werden können.“ Die Stromkosten wären ebenfalls niedriger ausgefallen, da Kernkraftwerke ihren Strom im direkten Vergleich mit Gaskraftwerken deutlich billiger produzieren können. „Wenn das nicht relevant ist, weiß ich auch nicht weiter“, sagte der ehemalige Aufsichtsratsvorstand. Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) hatte hier jedoch eine Gegendarstellung geliefert, nach der die Abschaltung der Atomkraftwerke die Strompreise nicht hochgetrieben habe.

Genauso verhalte es sich mit den „regulatorischen Hindernissen“, die die Bundesministerien angegeben hatten. Unter anderem hatten die Ministerien eine sogenannte periodische Sicherheitsprüfung für zwingend notwendig gehalten, was Kley nicht bestätigen konnte. „Eventuelle Sicherheitsrisiken würden bei den sowieso laufenden kontinuierlichen Prüfungen sofort entdeckt werden“, erklärte der Experte, der auch den TÜV-Verband und „relevante Vertreter“ der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit auf seiner Seite sieht. Eon hatte sehr früh eine deutliche Position: Die Ministerien würden nicht nach technischen Kriterien, sondern nach politischen entscheiden.

„Sehr bedenklich“ – Wirtschaftsweise zeigt sich besorgt

Während andere Länder Europas (wie erst kürzlich auf dem Atomgipfel geschehen) wieder mehr Ressourcen in die Kernenergie stecken, legt die Bundesrepublik das Thema zu den Akten. „Ich selbst halte das angesichts der Kombination von Ukrainekrieg, Wirtschaftskrise und Energiewende für verantwortungslos“, kritisierte Kley. Deutschland müsse wenigstens in der Forschung zur Kernkraft stark bleiben.

Die jüngsten Entwicklungen um die „Geheimpapiere“ aus Habecks Ministerium hatten auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm auf den Plan gerufen. Diese zeigte sich erschüttert: „Wenn die Expertise der Fachleute im Wirtschaftsministerium tatsächlich nicht zu Robert Habeck durchgedrungen ist, dann wäre das sehr bedenklich“, sagte Grimm gegenüber dem Focus. Der Minister müsse Expertise aus mehreren Quellen einholen, nicht nur von Parteianhängern. „Wie soll er denn abwägen, wenn wichtige Informationen gar nicht bei ihm ankommen?“

Robert Habeck hatte zuletzt alle Vorwürfe zurückgewiesen und gab an, dem zuständigen Bundestagsausschuss alle Informationen und Akten übersenden zu wollen. Den Vermerk eines Referenten über mögliche Einsparungen von Gas bei einem längeren Atombetrieb habe er nicht gesehen, genau diese Frage jedoch bereits „rauf und runter“ diskutiert. Laut der Nachrichtenagentur AFP hatte Habeck auf ein Schreiben der Atomkraftwerksbetreiber verwiesen, die ihn vor ausgenutzten Brennstäben gewarnt hätten. Über das Jahresende 2022 hinaus wären die Reaktoren „nicht mehr leistungsfähig“ gewesen. Allerdings gab Habeck zu, dass er sich anders entschieden hätte, wenn es noch leistungsfähige Brennstäbe gegeben hätte.

(mit Material von AFP)

Rubriklistenbild: © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

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