„L’amour toujours“
Eklat auf Sylt: Auch in Hessen häufen sich die Fälle – LKA ermittelt in zwölf Fällen
VonNiklas Hechtschließen
In Hessen laufen zwölf Ermittlungsverfahren wegen rassistischer Gesänge zu „L‘amour toujours“. Seit dem Sylt-Video häufen sich die Vorfälle weiter.
Frankfurt – Das Video vom rassistischen Vorfall auf Sylt schlägt weiter hohe Wellen. Am Mittwoch (5. Juni) befasste sich der Innen- und Rechtsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags mit der Skandalsequenz, die in einer Bar auf der Nordseeinsel aufgenommen worden war. Deutschlandweit war die Empörung groß, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die rassistischen Gesänge als „eklig“.
Auch auf Sylt demonstrierten in den vergangenen Tagen hunderte Menschen gegen Rechtsextremismus. Das Video ist aber kein Einzelfall, auch in Hessen kam es in den vergangenen Monaten vermehrt zu ähnlichen Szenen.
So laufen in Hessen derzeit zwölf Ermittlungsverfahren wegen mutmaßlich volksverhetzender Gesänge zum Party-Klassiker „L’amour toujours“. Das teilte eine Sprecherin des Landeskriminalamtes (LKA) auf Anfrage von IPPEN.MEDIA mit. Demnach ereignete sich der erste bekannte Fall in Hessen in der Diskothek „Copa“ im osthessischen Kalbach. Ähnlich dem Vorfall auf Sylt vergangenen Monat hatten in Kalbach am 26. November Disco-Besucher die rassistische Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gegrölt. Ab dem 26. Juni müssen sich aufgrund der Affäre sechs Personen im Alter zwischen 18 und 29 vor dem Jugendgericht verantworten.
TikTok befeuert auch in Hessen rechte „Trends“
Ähnliche Vorfälle wiederholten sich laut LKA zu Beginn des Jahres auf Tanzveranstaltungen in den nordhessischen Ortschaften Lichtenfels-Goddelsheim (Kreis Waldeck-Frankenberg), Zimmersrode (Schwalm-Eder-Kreis) und Alheim-Obergude (Kreis Hersfeld-Rotenburg). Doch nicht nur auf Partys in Hessen wurde der rechtsextreme Songtext zum Pop-Klassiker von Gigi D’Agostino gesungen. Nach Angaben der Ermittler kam es auch am Studienzentrum der Finanzverwaltung und Justiz Rotenburg a.d. Fulda und an der Gesamtschule Bad Hersfeld zu ähnlichen rassistischen Entgleisungen.
Dass gerade Jugendliche und Schüler volksverhetzende Inhalte verbreiten, hat seinen Ursprung laut LKA Hessen zum Teil auf der chinesischen Social-Media-Plattform TikTok. So ermittelte der Staatsschutz in den vergangenen Monaten auch gegen zwei 16-jährige Schüler aus dem Lahn-Dill-Kreis, die mutmaßlich wegen eines TikTok-Trends fremdenfeindliche Äußerungen getätigt hatten.
„Gerade rechtsextremistische Gruppierungen nutzen die sozialen Medien, um ihre rassistischen oder fremdenfeindlichen Ideologien mit hoher Reichweite unter jungen Menschen zu verbreiten. Hierbei nutzen sie gezielt Trends, die gerade bei Kindern oder Jugendlichen ‚in‘ sind“, erklärte damals das hessische LKA. Viele Jugendliche seien sich der Tragweite solcher Aktionen nicht bewusst. Unbedarftheit und das Bedürfnis, einer Gruppe anzugehören, führten dazu, dass Jugendliche unüberlegt bei rechten „Trends“ mitmachten.
Seit dem Bekanntwerden des Sylt-Videos am 23. Mai hat die Schlagzahl an „L’amour toujours“-Vorfällen in Hessen noch einmal zugenommen. So ermitteln die Behörden auch gegen Teilnehmer einer Gartenparty am 30. Mai in Kirtorf (Vogelsbergkreis) sowie einer Gartenparty am 2. Juni in Lohfelden, gegen Festzelt-Besucher des Viehmarktes in Hofgeismar am 1. Juni und gegen Insassen eines Pkw in Fulda, die ebenfalls am 30. Mai mutmaßlich „Ausländer raus“-Rufe gegrölt haben sollen.
Rassistische „L‘amour toujours“-Vorfälle in ganz Hessen
Geografisch ist bei den laufenden Ermittlungsverfahren ganz Hessen vertreten. Auch in Südhessen gab es Anfang Juni laut LKA zwei Verdachtsfälle der Volksverhetzung, in privaten Räumlichkeiten in Darmstadt und auf dem Kerwe-Platz in Heppenheim. Der Musikverlag ZYX aus Merenberg (Kreis Limburg-Weilburg), bei dem die Rechte des Gigi-D’Agostino-Songs liegen, hatte bereits vor mehreren Monaten angekündigt, den Missbrauch des 2000er-Klassiker nicht mehr länger hinzunehmen und Anzeige gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Limburg erstattet.
Vor November 2023 seien dem LKA keine rechten Vorfälle in Zusammenhang mit „L’amour toujours“ bekannt, teilte die Sprecherin weiter mit. Daher könne durchaus von einer „Häufung“ der mutmaßlichen Taten in jüngerer Vergangenheit gesprochen werden. Darüber hinaus seien dem hessischen LKA seit September 2023 vier Sachverhalte ohne Bezug zu Gigi D’Agostinos Song bekannt, bei denen ebenfalls der Verdacht volksverhetzender Äußerungen im Zuge des Abspielens rechten Liedguts bestehe, oder aber volksverhetzende Parolen geäußert beziehungsweise gerufen wurden. (nhe)
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