Instinktive Elternschaft

Nur mit Intuition erziehen? Die Pros und Cons im Überblick

  • Jasmina Deshmeh
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Bedürfnisorientiert, streng oder instinktiv? Welche Vorteile und Risiken es haben kann, Kinder nur nach Gefühl zu erziehen.

Beiträge in Sozialen Medien, gutgemeinte Ratschläge von Freunden und Verwandten und reihenweise Erziehungsratgeber: Eltern steht heute eine Fülle an Informationen zum Thema Erziehung zur Verfügung. Von bindungsorientierter Koala-Erziehung, über Panada-Eltern, die ihren Kindern möglichst viel Freiraum lassen wollen, bis hin zu Rasenmäher-Eltern, die sogar die Hausaufgaben ihrer Kinder erledigenErziehungsstile gibt es viele und den passenden für die eigene Familien zu finden, fällt vielen Eltern nicht leicht. Einige sind auch der Meinung, keine Einflüsse von außen zu benötigen, um gute Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. Sie vertrauen allein auf ihr Gespür und erziehen ihre Kinder instiktiv. Welche Vorteile, aber auch Nachteile das haben kann.

Was zeichnet instinktive Elternschaft aus?

Sich bewusst für einen bestimmten Erziehungsstil entscheiden oder einfach auf seine Intuition hören?

Die Grundidee der instinktive Elternschaft ist, dass Eltern bereits ein gutes Gefühl dafür haben, was ihr Kind braucht und was ihm guttut. Dafür benötigen sie nach eigener Auffassung keine Ratschläge von außen. Zudem gäbe es in ihrem Erleben keine allgemeingültigen Erziehungsregeln, da jede Familie, jedes Kind und jeder Elternteil individuell ist, beschreibt es die Autorin Lauryn Higgins in einem Beitrag des Magazins parents.com.

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In der Praxis kann sich das etwa durch den Beschützerinstinkt äußern (Eltern erkennen Gefahren und versuchen, sie abzuwenden) oder indem Eltern sofort auf die Bedürfnisse und das Verhalten ihres Kindes reagieren – zum Beispiel es füttern, wenn es hungrig ist, egal, welche Vorgaben ihnen dabei gemacht wurden (Thema Stillen). Auch körperliche Nähe („Bonding“) kann als Teil instinktiver Elternschaft verstanden werden. Ein weiteres Merkmal ist das große Vertrauen, das instinktiv erziehende Eltern in ihre Fähigkeiten als Eltern haben.

Die Ohrfeige war bis in die 80er verbreitet: Wie sich die Erziehung verändert hat

Schulklasse, die gemeinsam etwas erarbeitet.
Stillsitzen – das wurde früher noch regelmäßig in der Schule gefordert. Beim Kirchenbesuch oder den Großeltern lief es ähnlich ab. Hibbeln oder wippeln, immer etwas in den Händen zu haben war selten irgendwo gern gesehen. Heute ist das anders. Studien zeigen, dass Bewegung zwischendurch das Lernen unterstützt und auch insgesamt sind sich Experten einig: Mehr Bewegung, auch über die Schule hinaus, wäre wünschenswert. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder in der Kirche oder einem feinen Restaurant umherrennen sollten – das wann und wo ist auch heute noch wichtig. (Symbolbild) © Wavebreak Media Ltd/Imago
Ein Kind balanciert auf einem Stamm am Meer.
Balancieren, auf einem Bein stehen, rückwärts gehen – bei Vorschuluntersuchungen fällt immer wieder auf, dass Fünfjährige immer öfter Probleme bei diesen Aufgaben haben. Besonders in größeren Städten sind bis zu 40 Prozent der Kinder motorisch etwas unterentwickelt. In der Grundschule selbst werden Seil- oder Stangenklettern im Sportunterricht seltener, weil immer weniger Kinder dies können. Aber das ist in der Regel kein Grund zur Besorgnis, denn in dem Alter kann viel aufgeholt werden. (Symbolbild) © Cavan Images/Imago
Ein Kind bindet seinen Schuh mit einer Schleife.
Wissen Sie noch, wie alt Sie waren, als Sie das Schleife binden lernten? Vor gut 20 Jahren wetteiferte man im Kindergarten darum, wer das noch vor der Einschulung fertigbringt. Heute kann sich gerade mal die Hälfte der Vier- bis Fünfjährigen ohne Hilfe anziehen, inklusive Schuhe binden. Einige Grundschulen haben darauf reagiert – und verbieten Schnürsenkel. Die Lehrenden haben einfach Besseres zu tun, als den ganzen Tag Schleifen an Kinderschuhen zu binden. (Symbolbild) © eyevisto/Imago
Ein Junge wäscht ab.
Wussten Sie, dass nur 23,5 Prozent der Haushalte 1983 Spülmaschinen besaßen? Heute sind es knapp 72 Prozent. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Kinder heute nicht mehr überall beim Abwasch helfen müssen. Auch beim Staubsaugen wird immer weniger Unterstützung gefordert, schließlich gibt es in immer mehr Familien Saugroboter. Trotzdem: Kinder können – und sollen – durchaus im Haushalt helfen. Das steht sogar im Gesetz (§ 1619 BGB). In welchem Maße bleibt natürlich den Eltern überlassen, aber häufig sind Hilfe beim Tischdecken/-abräumen oder das Einräumen der Spülmaschine üblich, auch für Kinder ab drei Jahren. (Symbolbild) © Valentina Barreto/Imago
Junge versteckt sich ängstlich unter einem Tisch.
Prügel, Schläge, Angst – früher war der Rohstock im Klassenzimmer weit verbreitet. In der DDR wurde er (und damit die Prügelstrafe) 1949 aus der Schule verbannt. Langsam folgte auch der Rest Deutschlands, in Teilen von Bayern wurde aber bis Anfang der 1980er Jahre immer noch auf diese Art durchgegriffen. Und erst seit 2000 gilt, laut Gesetz, endlich auch zu Hause: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ (§ 1631 BGB, Abs. 2) (Symbolbild) © Vasily Pindyurin/Imago
Ein Kind versteckt sich, es sind nur die Augen und die Mütze zu sehen.
„Gib‘ der Tante mal die Hand, Kind“ – der Spruch klingt nicht nur verstaubt, er ist es zum Glück auch. Da heute mehr auf die Kinder und ihre Bedürfnisse eingegangen wird, muss keiner mehr irgendwem die Hand oder ein Küsschen geben, wenn er oder sie das nicht möchte. Eine Wohltat, vor allem für schüchterne Sprösslinge. (Symbolbild) © Pawel Opaska/Imago
Junge allein im winterlichen Wald.
Mittagessen für die Geschwister machen, alleine zu Hause oder draußen sein: Viele Kinder mussten vor einigen Jahrzehnten diese Erfahrungen früh machen. Auch, wenn sie dafür vielleicht noch zu jung und von der Verantwortung überfordert waren. Heute haben Eltern mehr Zeit für ihre Kinder oder sorgen für entsprechende Betreuung und das Alleinsein kommt vergleichsweise spät. Das ist auf der einen Seite sehr löblich und gut, passierten doch früher auch oft Unfälle. Aber ein bisschen traurig ist es auf der anderen Seite auch, denn manchmal birgt ein kleiner Waldabschnitt viel mehr Möglichkeiten für Fantasie und Abenteuer als der moderne Spielplatz um die Ecke. (Symbolbild) © Frank van Delft/Imago

„Ein instinktiver Elternteil vertraut sowohl auf seine eigenen Fähigkeiten als Eltern als auch auf das inhärente Streben des Kindes, sich in seinem eigenen Tempo zu entwickeln“, erklärt Joseph Laino, Psychologe am NYU Langone Health, gegenüber parents.com. Sie widersetzen sich aktuellen Erziehungstrends, wenn diese nicht mit dem eigenen instinktivem Gespür übereinstimmen.

Welche Vor- und Nachteile kann instinktive Elternschaft haben?

Wie vieles im Leben sei instinktive Erziehung nicht ausschließlich positiv oder negativ zu sehen, so der Psychologe Laino. Doch es gäbe einige Vorteile:

  • Instinktive Eltern reagieren einfühlsam und empathisch auf die Bedürfnisse und Verhaltensweisen des Kindes. Auch wenn es gerade einen Wutanfall oder andere starke Gefühle durchlebt. Das kann die Eltern-Kind-Bindung stärken.
  • Instinktive Erziehung ist so individuell wie die Eltern und das Kind selbst. Kinder instinktiver Eltern könnten sich besonders gesehen und verstanden fühlen.
  • Instinktive Elternschaft kann Eltern dahingehend entlasten, jede neue Entwicklung auf dem Gebiet der Erziehung berücksichtigen zu müssen und sich mit teils widersprüchlichen Meinungen auseinandersetzen zu müssen.

Ebenso kann diese Form der Erziehung aber auch Nachteile haben, abhängig von der Vorgeschichte eines Elternteils. Etwa, wenn Erfahrungen und Erziehungsmuster aus der eigenen Kindheit unreflektiert übernommen werden. Ist ein Elternteil in einem toxischen oder traumatischen familiären Umfeld aufgewachsen, braucht es möglicherweise externe Hilfe, um das eigene Kind anders zu erziehen.

Weitere Nachteile sind:

  • Da instinktive Erziehung aus dem Bauch heraus erfolgt, sind die Reaktionen der Eltern auf das Verhalten des Kindes möglicherweise nicht konsistent und für das Kind verwirrend.
  • Instinktiv erziehenden Eltern könne laut Laino auch der Anker fehlen, was zu einem Gefühl der Unsicherheit, zu Druck und Hilflosigkeit führen kann.

Auf die Gefühle des Kindes eingehen, Routinen und feste Regeln etablieren

Natürlich besteht auch die Möglichkeit, instinktive Erziehung mit externen Erziehungsimpulsen zu vereinen. Schließlich sind viele Erziehungsentscheidungen komplex und nicht immer gibt es „die eine Lösung“. Eltern sollten deshalb keine Scheu haben, sich Unterstützung zu suchen, wenn das Bauchgefühl keine Antwort liefert. Zum Beispiel von einer Fachkraft, wie einer Psychologin oder eines Psychologen oder von Kinderärzten, rät Autorin Lauryn Higgins. Ratschläge aus dem Umfeld müssten schließlich nicht alle befolgt werden, es sei aber hilfreich, verschiedene Optionen zu kennen.

Wichtig sei auch, mit dem Kind in Kontakt zu sein, um effektiv auf Spannungen und Konflikte zu reagieren. Vorhersehbare Routinen und Alltagsregeln geben dem Kind Sicherheit und lassen es wissen, welches Verhalten von ihm erwartet wird.

Rubriklistenbild: © Cavan Images/Imago