Neun Millionen Frauen

„Stehen schweißgebadet da“: Welche Gruppe uns beim Fachkräftemangel helfen kann

  • Jana Stäbener
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Neun Millionen Frauen in Deutschland sind in den Wechseljahren – und es werden immer mehr. Zeit, dass die Wirtschaft sie besser in den Blick nimmt, findet eine Gynäkologin.

Um den Fachkräftemangel in Deutschland zu bewältigen, gibt es mehrere Strategien. Eine davon ist mehr Zuwanderung, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Auch helfen könnte es, wenn Frauen mit Familie weniger oft in Teilzeit arbeiten. Oder, wenn ihre Arbeitgeber sie ab Mitte 40, also in der Zeit ihrer Wechseljahre, besser unterstützen.

Das legt eine Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (ifaf) nahe. Laut ihr wirken sich Wechseljahrsbeschwerden bei rund der Hälfte aller Frauen auf Karriereentscheidungen aus. So reduzierten 24 Prozent der befragten Frauen schon einmal aufgrund von Wechseljahrsbeschwerden ihre Stundenzahl im Job. 19,4 Prozent der über 55-Jährigen wollen aufgrund der Wechseljahre sogar früher in Rente gehen. Rund die Hälfte aller Befragten fühlt sich mit dem Thema Wechseljahre am Arbeitsplatz alleingelassen.

Wechseljahre und Menopause

Frauen kommen dann in die Wechseljahre, wenn der Eizellenvorrat aufgebraucht ist. Die ersten hormonellen Veränderungen kommen bei manchen bereits Ende 30 bis Anfang 40. Schon da gibt es immer mal wieder Zyklen, in denen kein Ei springt. Im Alter von 45 bis 50 beginnen bei den meisten die Wechseljahre (Perimenopause). Die können bis zu zehn Jahren andauern. Wenn der Eizellenvorrat aufgebraucht ist, kommt dann die Menopause, also die letzte Periodenblutung. Die Zeit danach heißt Postmenopause. Auch hier kann es durch den Östrogenmangel zu Beschwerden kommen.

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Gynäkologin kritisiert, dass „Frauen in den Wechseljahren von der Bildfläche verschwinden“

Rund neun Millionen Frauen in Deutschland sind aktuell in den Wechseljahren. Eine Zahl, die aufgrund des demografischen Wandels weiter steigen werde, sagt die Gynäkologin Judith Bildau zu BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA. Sie behandelt Frauen mit Wechseljahrsbeschwerden. Etwa ein Drittel aller Frauen habe keine, ein Drittel mäßige und ein Drittel starke Beschwerden, sagt sie. Von Hitzewallungen über Herzrasen, Kreislaufprobleme, Osteoporose, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Depressionen und Gelenkschmerzen sei alles dabei.

„Das ist nicht so, dass die Frauen da ein bisschen schwitzen, die stehen schweißgebadet da“, sagt Bildau zu BuzzFeed News Deutschland. „Diese Frauen sind interessante Arbeitnehmerinnen, weil ihre Kinder meist aus dem Haus sind und sie Lust auf Arbeit haben.“ Doch weil die Arbeitswelt nicht angemessen auf ihre Wechseljahrsbeschwerden reagiere, könnten sie diese Lust nicht ausleben.

Frauen in den Wechseljahren werden in Deutschland nicht ernst genommen, findet eine Gynäkologin. Das sollte sich ändern. (Symbolbild)

„Da geht es nicht nur ums Geld, sondern viel mehr um Awareness“, sagt sie. Wichtig seien Arbeitsplätze am Fenster, genug Wasser, Rückzugsbereiche und vor allem Betriebsärzte, die die Menopause auf dem Schirm haben. Auch Wechseljahrsbeauftragte, bei denen sich Betroffene Hilfe holen könnten, seien eine Idee. „Wichtig ist, dass Frauen mit Beschwerden wissen, an wen sie sich wenden können“, sagt Bildau bei BuzzFeed News Deutschland.

Bedeutet das nicht mehr Diskriminierung? Das sei tatsächlich die Angst mancher Frauen, aber nicht langfristig gedacht, sagt Bildau. So wie die Situation momentan sei, werde die Menopause komplett ignoriert und Frauen verabschiedeten sich bei Beschwerden einfach still und leise aus ihrem Job. Für Bildau kein Zustand: „Kein zukunftsorientiertes Unternehmen kann es sich leisten, dass Frauen in den Wechseljahren von der Bildfläche verschwinden.“

Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschand.

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Wechseljahre: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände äußert sich

BuzzFeed News Deutschland fragt bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), ob es tatsächlich ein Problem ist, dass Frauen im Alter von 45 bis 55 Jahren als Arbeitskraft wegfallen oder reduzieren müssen und was sie von Bildaus Forderungen hält. Auf die erste Frage kann uns die Vereinigung keine Antwort geben, da sie solche Zahlen nicht erhebt.

Zum zweiten Punkt teilt sie uns mit: „Selbstverständlich gehört es zur Kultur des betrieblichen Miteinanders, auf Einschränkungen in der Belastbarkeit aller Mitarbeitenden unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft Rücksicht zu nehmen. Dazu zählen auch mögliche gesundheitliche Einschränkungen etwa von weiblichen Beschäftigten, die aufgrund der Menopause auftreten können.“ Sollten solche Beschwerden zu einer Arbeitsunfähigkeit führen, würden die dafür vorgesehenen allgemeinen Regeln gelten. „Führungskräfte sowie Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit dem Thema sensibilisiert werden“, heißt es.

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Menopause-Strategie in Deutschland gefordert

Das passiere zu wenig, findet die Bewegung „Wir sind neun Millionen“, die sich 2023 gegründet hat. Sie fordert, dass das Thema Wechseljahre auf die politische und wirtschaftliche Agenda kommt – ähnlich wie in Großbritannien. Dort erarbeitete eine unabhängige Gruppe eine Menopause Strategie, die Arbeitgeber, Regierung und Gesellschaft zehn Empfehlungen zum Umgang mit Frauen in den Wechseljahren gibt. Sie trat 2022 in Kraft.

Denkbar wäre beispielsweise, dass Frauen im Alter von 35 oder 40 Jahren einen Informationsbrief über die Wechseljahre erhalten, sagt Katrin Schaudig, Gynäkologin und Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft bei einem parlamentarischen Abend von Besins Healthcare. Auch ein Screening ähnlich zur Mammografie hält sie für eine gute Idee. Außerdem könnten Unternehmen ganz viel für ihre Mitarbeiterinnen tun, „indem sie das Thema raus aus der Tabuzone holen“, wie es schon Bildau vorschlägt.

In Deutschland gibt es solch eine Menopause-Strategie bisher nicht. Das Thema „Wechseljahre“ wird im Koalitionsvertrag der Ampel (SPD, Grüne, FDP) nicht erwähnt. Die CDU/CSU stellte im Oktober 2023 eine erste kleine Anfrage an die Bundesregierung und erkundigte sich, welche Maßnahmen sie ergreife, um die gesundheitliche Aufklärung über die Menopause zu fördern. Die verwies auf ein umfassendes Beratungsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

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