Geleakter Abschlussbericht

„Sehr enttäuschend“: Was die Kommission beim Thema Schwangerschaftsabbruch vergisst

  • Jana Stäbener
    VonJana Stäbener
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Eine Kommission empfiehlt, Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen zu legalisieren. Doch wer ist gut genug ausgebildet, um die durchzuführen?

Sollten Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden? Ja, findet die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin. Am kommenden Montag, 15. April 2024, veröffentlicht sie ihren Abschlussbericht, der dem Spiegel bereits vorliegt. Ihm zufolge will die Arbeitsgruppe die generelle Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Wochen empfehlen.

Ein Mitglied dieser Arbeitsgruppe ist die Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung, Daphne Hahn. Sie hat die Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer in einer Studie untersucht, die am 10. April vorgestellt wird. Im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA geht sie auf ein Thema ein, dass in der Kommission eher wenig zu Sprache kam: der Schwangerschaftsabbruch in der Facharztausbildung.

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Zehn Prozent aller Gynäkologen lernen Schwangerschaftsabbrüche

Der Schwangerschaftsabbruch ist bisher nicht als Thema in der Ausbildung vorgeschrieben. „Zehn Prozent der angehenden Gynäkologen und Gynäkologinnen lernen in der Facharztausbildung nicht die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen, in katholischen Krankenhäusern sind es sogar 49 Prozent“, sagt Hahn BuzzFeed News Deutschland. Wenn, dann führen Gynäkologen solche Verfahren in ihrer Ausbildung im Rahmen von Fehlgeburten durch.

Das Problem: Wer mit Schwangerschaftsabbrüchen in der Ausbildung nicht in Berührung kommt, traut sich scheinbar weniger zu, sie anzubieten. Das legen die Ergebnisse der Studie nahe: 91 Prozent der Ärzte und Ärztinnen, die heute Schwangerschaftsabbrüche anbieten, haben sie in der Facharztausbildung praktisch erlernt. Bei denen, die Schwangerschaftsabbrüche nicht anbieten, sind es nur 65 Prozent.

Außerdem zeigt die Studie: 76 Prozent der Befragten, die in der Ausbildung die operative und medikamentöse Methode erlernt haben, bieten später auch beide an. Von denen, die nur die operative Methode erlernt haben, führen später nur 27 Prozent beide Methoden durch. „Erlernen junge Gynäkologen also beide Methoden, ist es dreimal wahrscheinlicher, dass sie später auch beide Methoden anbieten“, erklärt Hahn.

Abtreibungen durchzuführen, ist nicht verpflichtender Teil der gynäkologischen Facharztausbildung. (Symbolbild)

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Medizinstudentin findet Situation bei Schwangerschaftsabbrüchen „sehr enttäuschend“

Im September 2023 gab die Bundesregierung bekannt, dass der Schwan­gerschaftsabbruch über den Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) ab 2025 verbindlicher Teil der ärztlichen Approbationsordnun wird. Die Medizinstudentin Fiona Franz ist stellvertretende Vorsitzende von ProFamilia und Mitgründerin von Medical Students for Choice (MSFC) Hamburg. Sie begrüßt diesen Schritt, hat jedoch Bedenken, ob er an der Situation wirklich etwas ändert.

An ihrer Universität steht das Thema Schwangerschaftsabbruch bereits im Lehrplan. Vor kurzem habe MSFC eine Umfrage unter den Studierenden durchgeführt, ob der Stoff wirklich unterrichtet werde. Das Ergebnis: „Sehr enttäuschend. Wir mussten, nachdem das Modul, in dem die Lehre eigentlich angepasst werden sollte, zweimal stattgefunden hat, feststellen, dass keine Änderung im Lernstoff bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen wahrgenommen wurde“, sagt die 26-Jährige BuzzFeed News Deutschland.

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Die Universität Hamburg bestätigt auf BuzzFeed News-Anfrage, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch seit einigen Semestern eine verpflichtende Thematik im Modul D2 des Medizinstudiums sei. „Dazu wird von den Studierenden ein Referat erstellt, das anschließend in der Gruppe mit dem Dozenten besprochen und ergänzt wird. Zusätzlich ist das Thema Teil der Vorlesung“, sagt ein Sprecher. Mit den Medical Students for Choice habe man hierzu schon Kontakt aufgenommen.  

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Schwangerschaftsabbrüche sind kein Nischenthema

„Lediglich ein Ethikseminar und ein siebenminütiger Studierendenvortrag, der als Prüfungsleistung zählt, schneidet das Thema sehr kurz an.“ Dabei ist es kein Nischenthema: Etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche gibt es in Deutschland jedes Jahr, im September 2023 ist die Zahl sogar gestiegen. Auf rund 27.000 Frauenärzte kommen etwa 11.000 Augenärzte in Deutschland. „Trotzdem lernen wir im Studium eher eine Augen-OP an Schweineaugen, als einen Schwangerschaftsabbruch“, kritisiert Franz.

Um hier Abhilfe zu schaffen, organisiert sie mit MSFC sogenannte Papaya-Workshops, bei denen Medizinstudierende mit dem Eingriff in Berührung kommen. All dies sei jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein: „Wenn die Klinik, in der man die Fachweiterbildung in der Gynäkologie macht, keine Abbrüche durchführt, wird man es auch nicht lernen“, sagt Franz. Deswegen müsse der Schwangerschaftsabbruch vor allem in der Facharztausbildung verpflichtend sein.

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