Industrie leidet, Ausland empört
Strompreis-Rekord, Industrie stoppt Produktion: Bundesnetzagentur warnt vor „ähnlich markanten Preisausschlägen“
- VonTheresa Breitschingschließen
Die deutsche Wirtschaft leidet unter dem Strompreis-Wahnsinn. Kritik kommt auch von den Nachbarländern. Auch Robert Habeck kommentiert die aktuellen Strompreise.
Berlin – Die deutsche Wirtschaft leidet unter den hohen Strompreisen, sogar aus dem Ausland hagelt es an Kritik. Für das aktuelle Strompreishoch ist die Dunkelflaute verantwortlich. Denn, wenn keine Sonne scheint und der Wind nicht weht, stehen in Deutschland die Windräder still und die Photovoltaikanlagen erzeugen keinen Strom. Die Konsequenz: Hohe Strompreise, unsaubere Kohlekraftwerke arbeiten auf Hochtouren. Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) muss sich die Industrie künftig auf weitere Preisausschläge einstellen, ein Ende ist nicht in Sicht. Die Industrie reagiert mit Produktionsstopps.
Strompreis-Rekord in Deutschland: Laut Bundesnetzagentur kein Ende in Sicht
Erst vor wenigen Tagen wurde ein neuer Strompreis-Rekord an der Börse geschrieben: 936 Euro pro Megawattstunde. Mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich: Zum einen produzieren die erneuerbaren Energien wegen der Dunkelflaute – zu wenig Wind, Nebel, Woken – nicht ausreichend Strom. Zum anderen hat Deutschland Atomkraftwerke, sowie bereits einige Braun- und Steinkohlekraftwerke stilllegen lassen. Bereits bis spätestens 2038 soll Deutschland komplett aus der Kohleverstromung aussteigen. Und das, obwohl laut dem Statistischen Bundesamt Kohle im Jahr 2023 noch der zweitwichtigste Energieträger für die Stromerzeugung in Deutschland war.
„Es ist nicht ausgeschlossen, dass in den nächsten Wochen ähnlich markante Preisausschläge auftreten“, nimmt die Bundesnetzagentur in einer Aussendung zu den aktuellen Strompreisen Stellung. Die generelle Stromversorgung Deutschlands sei zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen, da man über ausreichend Erzeugungskapazitäten verfüge. „Die Ursache hoher Börsenstrompreise in Deutschland sind typischerweise eine hohe Verbrauchsprognose bei geringer erneuerbarer Erzeugungsprognose“, heißt es.
Industrie leidet unter den hohen Strompreisen und stoppt die Produktion: „Katastrophe“
Deutschlands Industrie leidet unter den hohen Strompreisen, zum Teil muss die Produktion heruntergefahren werden. So etwa auch in der Gießerei Siempelkamp in Krefeld: „Die Preisspitze am Donnerstag hat uns hart getroffen. Wir mussten unsere Produktion um 30 Prozent runterfahren, eine Schicht kürzen und die Leute nach Hause schicken“, berichtet Geschäftsführer Dirk Howe dem Handelsblatt. Der Metall-Betrieb Anke GmbH, der seit 1896 in Essen tätig ist, lässt die Öfen während der Preis-Spitzen abkühlen, berichtet Bild. „Die derzeitigen Strompreise sind unerträglich hoch und haben teilweise auf die Stunde hin gesehen den Faktor 10 im Vergleich zu normalen Preisen erreicht. Solche Tage sind für uns finanziell ,blutrot‘“, berichtet Anke-Geschäftsführer Tobias Wesselow – „volkswirtschaftlich eine Katastrophe, betriebswirtschaftlich auch“.
Ein weiteres Beispiel: Das Elektrostahlwerk der sächsischen Firma Feralpi in Riesa stoppte die Produktion sogar komplett. „Es ist zum Verzweifeln. Unsere Unternehmen und unser Land können sich keine Schönwetter-Produktion leisten. Wir brauchen dringend Kraftwerke, die sicher einspringen können“, wird Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, zitiert.
Habeck ortet kein Problem, denn man habe im Gegenzug auch Wochen mit günstigen Strompreisen
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellt Unternehmen auf weitere Strompreisausschläge ein. „Das sind natürlich extrem hohe Preise“, meint Habeck beim Handelsblatt Industrie-Gipfel. Dies sei unvermeidbar in Phasen mit wenig Sonne und Wind. Doch dafür gebe es im Gegenzug auch 50 Wochen, „in denen die Strompreise günstig sind“.
Auch auf X beschwichtigte das Bundeswirtschaftsministerium nach der Aufregung um die hohen Strompreise: „Es handelt es sich hier um sehr wenige teure Stunden. Sie wirken sich daher nicht nennenswert auf den Jahresdurchschnittspreis von Strom aus“, heißt es. Die „gute Nachricht“ sei, dass sich die Lage zum Wochenende wieder entspannen werde, da die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien wieder zunehmen werde.
Erst kürzlich sprach sich der Chef des Energieversorgers RWE für einen „Backup“-Plan aus, um die Gasversorgung in Deutschland auch während der Wintermonate neben den erneuerbaren Energien sicherzustellen. Dunkelflauten seien normal und werden immer wieder auftreten. Laut RWE-Chef Markus Krebber müsse sich Deutschland auf solche Zeiten besser vorbereiten. „Diese sehr hohen Preise sind eine absolut sichere Indikation für den Zustand der Versorgungssicherheit in Deutschland. Sie sind Ergebnis des zu knappen Angebots.“ Zudem wäre die Dunkelflaute, die Anfang November bereits für hohe Strompreise sorgte, an einem Tag im Januar mit höherer Spitzenlast „nicht zu bewältigen“ gewesen.
Das Gesetz für Back-up-Kraftwerke, das trotz Ampel-Aus umgesetzt werden sollte, scheiterte am Mittwoch vergangener Woche endgültig. Habecks Ministerium teilte mit, dass die Umsetzung des Gesetzes nicht mehr möglich sei, da es nach dem Ampel-Bruch keine erforderliche Mehrheit gibt. Neue Gaskraftwerke sollten Kohlekraftwerke ablösen und in Zukunft bei Dunkelflauten einspringen – daraus wird vorerst nichts.
Kritik an deutschen Strompreisen kommt auch aus dem Ausland
Kritik an den hohen Strompreisen in Deutschland kam auch aus dem Ausland. Denn die Knappheit hierzulande lässt das Strompreisniveau in ganz Europa ansteigen. Die schwedische Energieministerin Ebba Busch kritisierte die deutsche Energiepolitik vehement: „Das Energiesystem Deutschlands ist nicht in Ordnung“. Deutschland selbst sei für die unsichere Stromversorgung verantwortlich. Allerdings: „Wenn der Wind nicht weht, bekommen wir mit diesem gescheiterten Stromsystem hohe Strompreise. Das ist eine Folge der Abschaltung der Kernkraftwerke“, schreibt sie auf der Nachrichtenplattform X.
Die Energieministerin bekommt Rückhalt von Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft, der Verständnis für ihre Kritik zeigt. Die hohen Strompreise seien ein Warnsignal, sagt er dem Handelsblatt. „Die Ungleichgewichte können sich ohne ausreichende steuerbare Kapazitäten in Deutschland weiter verschärfen und haben ganz reale Auswirkungen auch auf ausländische Verbraucher“. Eine Auswertung der Großhandelsstrompreise der Bundesnetzagentur von 2021 bis 12. Dezember 2024 zeigt Schwankungen zwischen Deutschland und den Nachbarländern. So weisen die nordischen Nachbarn wie Dänemark, Norwegen, Schweden oft günstigere Preise im Vergleich mit Deutschland auf.
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