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Düstere Aussichten: Deutsche Eliten denken nicht strategisch genug in die Zukunft.

Neue Studie

Elitenforscher warnt: Deutschlands Entscheidern fehlt eine Vision für die Zukunft

  • Christiane Kühl
    VonChristiane Kühl
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Deutschland steht im neuen Elite Quality Index der Hochschule St. Gallen auf Rang acht. Unseren Eliten fehlt es aber an strategischem Weitblick. Abgestürzt sind 2023 die Eliten Russlands.

St. Gallen/München – Krisen sind die Stunde der Wahrheit. Dann zeigt sich, ob die Eliten eines Landes gemeinsam mit der Gesellschaft durch eine harte Phase gehen – oder ob sie als Krisengewinner die Lage nutzen, um auf Kosten der Gesellschaft ihre Anteile am wirtschaftlichen Kuchen zu bewahren oder sich sogar zu bereichern. 2022 war ein Jahr der Krisen: Ukraine-Krieg, Energiekrise, hohe Inflation und eine wachsende finanzielle Instabilität „Es gibt immer Eliten, die vom Krieg profitieren“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Tomas Casas von der Schweizer Universität St. Gallen im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Das vollständige Interview lesen Sie hier.

Casas gehört zu einem multidisziplinären Team, das an der Hochschule St. Gallen kürzlich zum vierten Mal den Elite Quality Index (EQx) für 151 Länder vorgestellt hat. Der Index soll ein Maßstab für nachhaltige Wertschöpfung der Staaten sein, denn Eliten – politische, wirtschaftliche und Wissenseliten – sind nach Ansicht der Forschenden entscheidend für Fortschritt und Entwicklung eines jeden Staats. Wenig überraschend ist es daher, dass Russland gegenüber dem EQx vom vergangenen Jahr dramatisch abgestürzt ist, vom zuvor bereits schlechten Rang 67 ging es runter auf Rang 103.

Elite Quality Index: Russland stürzt ab, Ukraine steigt auf

Die Ukraine kletterte dagegen um 13 Plätze auf Rang 73 – unter Druck und in Not habe „das Elitensystem dort sein Wertschöpfungspotenzial gesteigert“, sagt Casas. Auch Indien (59), Brasilien (69) und Südafrika (83) machten große Sprünge nach oben. Die Schweiz verdrängte in diesem Jahr erstmals Singapur von der Spitze. Auf Rang drei liegt Neuseeland, gefolgt von Japan. Die USA (sechs Plätze runter) und China (fünf Plätze rauf) rangieren dieses Jahr fast gleichauf auf Platz 21 beziehungsweise 22.

Deutschland kletterte von Platz elf auf acht. Diesen Aufstieg verdanken die Eliten hierzulande laut Casas vor allem ihrer Fähigkeit, „systematisch Wert im kleinen und mittleren Maß für heute zu schaffen, etwa durch Institutionen, die Fachkräfte ausbilden oder ein sehr kompetentes Gesundheitssystem gewährleisten“. Doch Casas sieht auch ein Problem: Deutschen und auch europäischen Eliten fehle es an Vorstellungskraft, eine Vision für die Zukunft zu gestalten.

Technologie und Künstliche Intelligenz: Keine vorausschauende Strategie

Man denke in Deutschland nicht langfristig genug in den fünf Kernbereichen, die alles andere entscheiden werden, sagt Casas: „Daten, Energie, Sicherheit, Finanzen und Narrative. In zehn Jahren wird die Welt eine ganz andere sein. Vor allem in Technologien wie der Künstlichen Intelligenz (KI) werden die deutschen Eliten künftig vor enormen Herausforderungen stehen.“ Er nennt ein Beispiel: Die deutsche Automobilindustrie werde die Urheberrechte für die Software autonomer Fahrzeuge nicht besitzen, da diese von anderen Unternehmen, vor allem in den USA, entwickelt wird. Die Autobauer werden für diese Software bezahlen müssen. „Daher werden große Profite aus den autonomen Fahrzeugen künftig an KI-Firmen etwa in den USA gehen.“

Elite Quality Index (EQx) 2023

Der EQx misst anhand von mehr als 130 Indikatoren die Macht und die Wertschöpfung von Eliten für ihre Staaten. Je höher diese Wertschöpfung, desto besser ist es für ihr Land. Zu viel Macht aber dürfen vor allem politische Eliten nicht auf sich vereinen – denn dann droht Missbrauch.

Die Universität St. Gallen stellt den EQx kostenfrei als interaktive Simulation bereit; damit kann jeder verschiedene Länder miteinander vergleichen.

Es räche sich in diesem Fall, dass Europa keine eigene Tech-Industrie habe, sagt der Forscher. „Wir in Europa haben – als User – praktisch alle unsere Daten kostenfrei an die großen Techfirmen Amerikas abgegeben.“ Und so könnten die Tech-Eliten in den USA das Potenzial dieser Daten in Wert und Vermögen umwandeln. 

Sicherheit: Deutschland investiert zu wenig

Ein weiteres Problem ist das Thema Sicherheit. Erst durch den Krieg in der Ukraine sei der Wert von Sicherheit vielen bei uns klargeworden, sagt Casas. „Vor allem in Deutschland wurde in der Vergangenheit zu wenig in die Sicherheit investiert.“ Eine große Volkswirtschaft müsse mehr als nur 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) für die Sicherheit ausgeben. Die Nato-Mitgliedsstaaten haben schon vor Jahren vereinbart, dass sie je zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben. Geschafft hat das praktisch kein Land. Deutschland will diese Ausgaben nach Angaben des Verteidigungsministeriums bis 2024 auf 1,5 Prozent des BIP erhöhen und „perspektivisch das Nato-Ziel“ von zwei Prozent erreichen.

*Dieses Bild wurde mithilfe maschineller Unterstützung erstellt. Dafür wurde ein Text-to-Image-Modell genutzt. Auswahl des Modells, Entwicklung der Modell-Anweisungen sowie finale Bearbeitung des Bildes: Art Director Nicolas Bruckmann.