Haushaltsstreit in Berlin

Ampel-Chaos um die Schuldenbremse: FDP sieht sie als „Erziehungsmaßnahme“ für Politiker

  • Lars-Eric Nievelstein
    VonLars-Eric Nievelstein
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Die Debatte um die Schuldenbremse wird für die Ampel zur Zerreißprobe. Kritiker fordern eine Reform. Die FDP sperrt sich.

Berlin – In Berlin tobt der Kampf um die Schuldenbremse. Kritiker wollen sie abschaffen oder reformieren, weil sie angeblich wichtige Investitionen verhindert und Deutschland wirtschaftlicher Chancen beraubt. Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, steht dagegen voll hinter der Schuldenbremse. Wäre eine Reform machbar?

FDP steht hinter der Schuldenbremse – „Erziehungsmaßnahme“ für Politiker

Nicht aus Sicht von Teilen der FDP-Fraktion. Die „Junge Gruppe“ der FDP im Bundestag, die einen größeren Teil der FDP-Mandate auf sich vereint, hatte damit gedroht, die Ampel-Koalition zu verlassen, sollte Lindner die Schuldenbremse fallen lassen. Auslöser dafür waren Aussagen vonseiten der SPD gewesen, dass die Partei sich gegen Haushaltskürzungen in sozialen Bereichen stelle.

Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen, im Bundeskanzleramt (Symbolfoto). Die Debatte um die Schuldenbremse wird für die Ampel zur Zerreißprobe. Kritiker fordern eine Reform. Die FDP sperrt sich.

Das grundlegende Problem hinter all dem ist der Bundeshaushalt für das Jahr 2025, bei dem die einzelnen Ressorts einen regelrechten Kleinkampf darüber begonnen hatten, wo Einsparungen stattfinden sollten und wo nicht. Aktuell klafft ein 25 Milliarden Euro großes Loch im Haushalt – entsprechend eifrig ist Christian Lindner dabei, nach Einsparpotenzial zu suchen. Gegenüber der Bild sprach Jens Teutrine, Vorsitzender der jungen Liberalen, davon, dass die Schuldenbremse eine „Erziehungsmaßnahme“ für Politiker sei, die „endlos Steuergeld auf Pump ausgeben“ wollten.

Ausnahmen bei der Schuldenbremse – wäre eine Reform machbar?

In seinem Kampf um den Haushalt kann sich Christian Lindner auf das Grundgesetz berufen, denn dieses legt die Schuldenbremse fest. Konkret geht es um den Artikel 109 im Grundgesetz, der unter anderem besagt, dass die Haushalte von Bund und Ländern „grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“ sind. Dabei gibt es jedoch Ausnahmen. Bund und Länder können zum Beispiel bei einer „abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ oder bei „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen“ bestimmte Ausnahmeregelungen treffen. Dafür müssen sie jedoch zugleich „entsprechende Tilgungsregelungen“ vorsehen.

Das heißt im Klartext: Wenn sich die Wirtschaft schwächer entwickelt als erwartet oder beispielsweise eine Flutkatastrophe Deutschland heimsucht, könnte die Regierung die Schuldenbremse ein Stück weit aufweichen.

Laut der SPD und Grünen ist Lindners Beharren auf die Schuldenbremse für die Stagnation im deutschen Wirtschaftswachstum verantwortlich. Was aber eine höhere Neuverschuldung auch bringt, zeigte jüngst das Beispiel Frankreich. Die Grande Nation hatte 2023 ein Defizit von 5,5 Prozent zu verzeichnen, was im Nachgang ein Defizitverfahren der EU-Kommission nach sich zog. Neuverschuldung ist zudem kein Garant für einen starken Wachstums-Boost: Frankreichs Bruttoinlandsprodukt war 2023 um weniger als ein Prozent gewachsen, ähnlich sah es bei Italien aus. „Die Ampel vernachlässigt – wie dies auch schon die große Koalition unter Angela Merkel getan hat – die Investitionen und legt das Schwergewicht auf den Konsum“, kritisierte Ökonomin Dorothea Siems in der Welt.

Reform der Schuldenbremse – IW sieht Spielraum von 35 Milliarden Euro

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sieht mehrere Möglichkeiten dafür, die Schuldenbremse nicht direkt abzuschaffen, sondern zu reformieren. Drei verschiedene Modelle könnten dafür sorgen, dass größere Finanzmittel frei werden, um das Haushaltsloch zu stopfen. Dazu gehören:

NettoinvestitionsregelErlaubt neue Kredite für den Bau von Investitionen – zum Beispiel neue Straßen oder Wasserstoffpipelines. Kann problematisch werden, wenn die Politik definiert, was als Investition durchgeht.
Atmende SchuldenregelIn wirtschaftlich schlechten Zeiten darf der Staat mehr Schulden aufnehmen, in guten dagegen weniger.
AusgabenregelErlaubt steigende Ausgaben analog zum BIP-Wachstum. Das Verhältnis von Ausgaben zum BIP muss konstant bleiben.

Das IW geht davon aus, dass je nach Variante abzüglich der aktuell möglichen Verschuldung im Rahmen der Schuldenbremse ein „zusätzlicher Verschuldungsspielraum“ in Höhe von bis zu 35 Milliarden Euro jährlich möglich sei. Die Reformvorschläge könnten auch in Kombination stattfinden. Auch die Wirtschaftsweisen hatten bereits eine Reform der Schuldenbremse gefordert.

Wie Schuldenregeln die Wirtschaft stützen

Das ifo-Institut sieht das anders. Der ifo-Präsident Clemens Fuest und Niklas Potrafke, Leiter des ifo Zentrums für Öffentliche Finanzen, plädieren für eine Beibehaltung der deutschen Schuldenbremse. Studien hätten belegt, dass wirksame Schuldenregeln „erhebliche ökonomische Vorteile“ mit sich brächten. Im Schnitt hätten Länder mit Schuldenregeln ein um 0,5 Prozentpunkte höheres Wirtschaftswachstum als Länder ohne entsprechende Regeln.

Außerdem würden Schuldenregeln die Risikoprämien von Staatsanleihen reduzieren. Länder mit Schuldenregeln müssten weniger Zinsen für ihre Anleihen bezahlen als andere. „Dies bedeutet, dass die Finanzpolitik weniger öffentliche Mittel zur Zinstilgung auf Staatsschulden bereitstellen muss und die Mittel für andere Vorhaben verwendet werden können, wie beispielsweise Investitionen in den Klimaschutz“, schrieb das ifo-Institut dazu.

Rubriklistenbild: © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

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