Heftige Kritik an Aussagen

Arbeitgeber fordern erneut spätere Rente und mehr Arbeit: „Bedeutet Maloche bis zum Tode“

  • Marcus Giebel
    VonMarcus Giebel
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Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger wirbt für ein flexibleres Renteneintrittsalter. Die Konter aus der Politik und vom Deutschen Gewerkschaftsbund folgen prompt.

Berlin – Es ist eines der Themen, von denen Politiker lieber die Finger lassen. Gerade im Wahlkampf. Die Rede ist von einer Anpassung des Rentensystems samt Orientierung an der gestiegenen Lebenserwartung. Denn das könnte nur dazu führen, dass die Menschen – zumindest in körperlich weniger anspruchsvollen Berufen – länger arbeiten müssen.

Mit einer solchen Forderung lässt sich allenfalls unter Rentnern Applaus einsammeln. Aber kaum unter den Bürgern im erwerbsfähigen Alter. Den braucht Rainer Dulger auch nicht. Der Arbeitgeberpräsident fordert gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) „eine Dynamisierung des Rentenalters“. Dadurch erhofft sich der 60-Jährige eine stabile Einnahmebasis für die in seinen Augen im Wahlkampf zu kurz kommenden Sozialsysteme.

Renteneintrittsalter anheben? DGB-Vorstand sieht bei diesen Aussichten schwarz

Es ist nicht sein erster Vorstoß in diese Richtung. Und auch dieses Mal gibt es Gegenwind. Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), kontert die Forderung nach einer Anhebung des Rentenalters: „Wenn das im Ernst die großen Ideen der Arbeitgeber für ein zukunftsfähiges Deutschland sein sollen, wären die Aussichten zappenduster.“

Bringt das Thema Renteneintrittsalter wieder auf den Tisch: Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger (r.) erhofft sich eine Diskussion.

Vielmehr sehe das Modell der Zukunft so aus: „Unternehmen gelingt es da, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, wo Beschäftigte in mitbestimmten Betrieben gute Arbeitsbedingungen vorfinden und gesund bis zur Rente arbeiten können und wollen.“ Dulger aber würde „mit der Abrissbirne durch den Sozialstaat“ gehen, was als „Kampfansage an alle Beschäftigten in unsicheren Zeiten“ zu interpretieren sei.

Politiker contra Arbeitgeberpräsident Dulger beim Thema Rente: „Bedeutet Maloche bis zum Tode“

Katja Mast, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, schrieb auf dem Twitter-Nachfolger X in Richtung Dulger: „War absehbar, dass solch eine Forderung kurz vor der Wahl wieder aus der politischen Mottenkiste hervorgezogen wird. Die Menschen arbeiten lang und hart – sie haben Respekt verdient. Wo sind die Impulse, damit alle Menschen bis zur Rente fit arbeiten können?“

Renten-Meilensteine in Deutschland in Bildern – von Bismarck über Riester bis Müntefering

Otto von Bismarck brachte im Juni 1889 nach jahrelanger Debatte das „Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung“ durch den Reichstag.
Der Name Bismarck hallt bis heute nach. Auch weil Otto von Bismarck im Juni 1889 nach jahrelanger Debatte das „Gesetz über die Invaliditäts- und Altersversicherung“ durch den Reichstag brachte. Die Geburtsstunde der Rente in Deutschland. © Photo 12/www.imago-images.de
Der Holzstich zeigt Dreher, Gießer und Former in einer Porzellanfabrik um 1880.
Altersrente gab es damals aber erst ab dem vollendeten 70. Lebensjahr – die Lebenserwartung betrug damals nicht mal 50 Jahre. Der Holzstich zeigt Dreher, Gießer und Former in einer Porzellanfabrik um 1880. © imago stock&people/Imagebroker
Bismarcks politisches Kalkül war klar: Er wollte die Arbeiter besänftigen.
Bismarcks politisches Kalkül war klar: Er wollte die Arbeiter besänftigen. Rentenversichert waren zunächst Arbeiter und „kleine Angestellte“ mit Einkommen bis 2.000 Mark. Die Beiträge zahlten Arbeitgeber und -nehmer zu gleichen Teilen. © IMAGO/GRANGER Historical Picture Archive
Angestellte waren ab 1913 bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte angesiedelt.
Größere Reformen gab es Anfang des 20. Jahrhunderts. Angestellte waren ab 1913 bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte angesiedelt. Sie konnten schon ab 65 Jahren in Rente gehen – anders als Arbeiter. © imago stock&people/Arkivi
Das Bild zeigt verwundete deutsche Soldaten in Frankreich.
Vor dem Ersten Weltkrieg hatten die deutschen Rentenversicherungsanstalten Überschüsse, die sie etwa in Wohnungsbau steckten. Entlassungswellen und Hinterbliebenenrenten änderten das schnell. Das Bild zeigt verwundete deutsche Soldaten in Frankreich. © imageBROKER/GTW
Frauen im Ghetto Warschau bei erzwungener Näharbeit
Im NS-Regime werden Jüdinnen und Juden und andere verfolgte Gruppen aus der Rentenversicherung ausgeschlossen. Millionen von Zwangsarbeitern - im Foto: Frauen 1941 im Ghetto Dambrowa Gornicza bei erzwungener Näharbeit – bleiben ohne Rentenansprüche. Überschüsse der Kassen flossen in Kriegsanleihen. © Imago/Reinhard Schultz
Bundeskanzler Konrad Adenauer (r) gibt in Bonn seine Stimme für die Bundestagswahl 1957 ab
„Keine Experimente“ lautete Konrad Adenauers Slogan zur Bundestagswahl 1957. Bei der Rente wagte er aber eine Reform. Bis dato waren die Renten enorm gering, 50 DM war der Mindestsatz, der Durchschnitt nur unwesentlich höher. Nun änderte sich die Berechnung, Arbeiterrenten stiegen um etwa 60 Prozent. © DB/picture alliance/dpa
Willy Brandt im Jahr 1972.
Die nächste große Neuerung gab es unter Willy Brandt. Seit (dem Wahljahr) 1972 können auch Nicht-Pflichtversicherte in die Rentenversicherung einzahlen – etwa Selbstständige und Hausfrauen. Letzteres war ein Schritt zur Unabhängigkeit von den Ehemännern. Ab 1977 gab es dann auch einen „Versorgungsausgleich“ bei Scheidung. © Imago/Sven Simon
Norbert Blüm klebt Rentenplakat
„Die Rente ist sicher“: Auch mit diesem Satz blieb der mittlerweile verstorbene Arbeitsminister Norbert Blüm in Erinnerung. Auch Blüm kümmerte sich aber um die Lage der Rentnerinnen – er führte 1986 die „Mütterrente“ ein. Seither zählen Kindererziehungszeiten für die Rentenhöhe. © Peter Popp/picture-alliance/dpa
13 09 1985 Berlin Deutsche Demokratische Republik DDR Alte Frauen unterhalten sich
Die nächste große Herausforderung ist die Eingliederung der Bürger der ehemaligen DDR (hier ein Foto aus Ostberlin 1985) in die bundesdeutsche Rentenkasse. Die Deutsche Rentenversicherung preist rückblickend die Stärke des umlagefinanzierten Systems: „Die Rentenversicherung zahlte von einem Tag auf den anderen fast vier Millionen zusätzlicher Renten. Das wäre in einem kapitalgedeckten Rentensystem nicht vorstellbar gewesen.“ © imago stock&people/Franksorge
Kanzler Helmut Kohl (re.), Blüm und Finanzminister Theo Waigel
Die nächste Reform folgt dennoch – Kanzler Helmut Kohl (re.), Blüm und Finanzminister Theo Waigel (li.) müssen sparen, auch angesichts der alternden Bevölkerung. Ab 1992 steigen Altersgrenzen. Frauen und Arbeitslose (bislang bis 62 Jahren) und langjährige Versicherte (bis 63) müssen nun bis 65 arbeiten. Nur noch ein Jahr Kindererziehungszeit ist anrechenbar. © Michael Jung/dpa/picture-alliance
Koalitionsverhandlungen Riester Schröder
Auch Gerhard Schröders Rot-Grün hat ebenfalls Rentenpläne im Gepäck. Arbeitsminister Walter Riester leiht der „Riester-Rente“ seinen Namen – der Staat fördert auf ihrem Wege private Altersvorsorge. Das Modell gilt mittlerweile aber als Flop. Riester arbeitete später auch für Carsten Maschmeyers Finanzdienstleister AWD, dem die Reform gelegen gekommen sein dürfte. © picture-alliance / dpa | Hermann_J._Knippertz
Franz Münterfering und Angela Merkel 2007 im Bundestag.
Heikle Operation: SPD-Vizekanzler Franz Müntefering brachte 2007 die „Rente mit 67“ auf den Weg. Angela Merkels GroKo plante allerdings lange Übergangsfristen, noch bis 2031 dauert die Anhebung des Eintrittsalters an. Für Menschen, die 45 Jahre einzahlten, gab es eine Sonderregel. © Imago/Metodi Popow
Angela Merkel und Andrea Nahles 2017 bei einer Kabinettssitzung.
Müntefering war nicht mehr dabei als Merkels zweite GroKo 2017 das nächste „Rentenpaket“ schnürte. Arbeitsministerin war nun Andrea Nahles. Diesmal ging es um Erleichterungen. Langjährig Versicherte konnten nun ab 63 in Rente, die Mütterrente wurde ausgeweitet. 2018 kamen im „Rentenpakt“ (ohne drittes e) „Haltelinien“ für Beiträge und Rentenniveau hinzu. © Michael Kappeler/dpa/picture alliance
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Fast 35 Jahre wird es gedauert haben – aber ab 2025 werden für die Rente in Ost- und Westdeutschland die gleichen Berechnungsgrößen gelten. Ein durchaus historischer Schritt. Beschlossen wurde er schon 2017. © imago stock&people/Steinach
Arbeitsminister Hubertus Heil – zuständig auch für die Rente – im Bundestag.
Die Evolution der Rente geht weiter: Seit 2021 gibt es die Grundrente als Zuschlag für Menschen, die unterdurchschnittlich verdient haben. Es wird nicht der Schlusspunkt sein: Angedacht – aber umstritten – ist die Aktienrente. Zugleich altert die deutsche Bevölkerung weiter, das Umlagesystem ist unter Druck. Ist die Rente sicher, auch über die Amtszeit von Hubertus Heil hinaus? Die Zukunft wird es zeigen. © Hannes P. Albert/dpa/picture-alliance

Auf dem X-Account der Linke-Gruppe im Bundestag kommt Matthias Birkwald zu Wort. „Die Anhebung des Renteneintrittsalters bedeutet nur Rentenkürzungen durch die Hintertür und für viele hart arbeitende Menschen die Maloche bis zum Tode“, moniert der Obmann des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.

Und weiter: „Wenn die Arbeitgeber weiterarbeiten wollen, können sie es ja gerne selber machen. Aber Wasser zu predigen und Wein zu saufen, das geht gar nicht!“

Arbeitgeberpräsident über Renteneintrittsalter: „Viele würden gerne länger arbeiten“

Der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert seinerseits Anreize zu schaffen, damit Arbeitnehmer über das Renteneintrittsalter hinaus ihrem Job nachgehen. Den Willen dazu nimmt er durchaus wahr: „Viele würden gern länger arbeiten, auch, weil sich Menschen über regelmäßigen Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen freuen. Etwa wenn die Kinder aus dem Haus sind.“

Zweimal Nein zu den Plänen von Rainer Dulger: Katja Mast von der SPD und Linke-Politiker Matthias Birkwald lehnen eine Anhebung des Renteneintrittsalters strikt ab.

Als Beispiel nennt er einen Fliesenleger, der nach 40 Jahren in dem Beruf zwar nicht mehr körperlich hart arbeiten könne. Aber eben viel Erfahrung gesammelt habe, was ideal etwa für die Arbeitsvorbereitung und den Einkauf sei. Eine flexible Jobgestaltung innerhalb einer Firma also. „Auch deswegen bin ich für die Dynamisierung des Renteneintrittsalters - es wird den Menschen besser gerecht“, hält der Unternehmer fest.

Rente in Deutschland: Arbeitgeberpräsident für Koppelung an durchschnittliche Lebenserwartung

Zugleich stellt Dulger klar, es gehe um Flexibilität. Er wolle „keine Diskussion, dass es jetzt X, Y oder Z Jahre bis zum Renteneintritt sein sollen. Wir sollten uns ernsthaft damit auseinandersetzen, die Rente an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln.“

Die aktuelle Regelung in Deutschland sieht vor, dass die Altersgrenze für die Regelaltersrente ohne Abschläge bis 2031 schrittweise auf 67 Jahre angehoben wird. Seit 2024 wird dabei beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1959 in Zwei-Monats-Schritten vorgegangen. Die Regelaltersgrenze von 67 Jahren gilt damit für Versicherte ab dem Jahrgang 1964. (mg)

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