Rentner trinken Sekt am Strand
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Deutschlands Arbeitgeber sowie zahlreiche Ökonomen fordern, die „Rente mit 63“ abzuschaffen, um den Fachkräftemangel zu entschärfen und die Rentenkassen nicht noch stärker zu belasten. (Symbolbild)

„Die Leute brauchen keine Kinder mehr, um im Alter versorgt zu sein“

„Rente mit 63“ im Fokus: „Umverteilung von unten nach oben“

  • Lisa Mayerhofer
    VonLisa Mayerhofer
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Die finanzielle Belastung des deutschen Rentensystems nimmt zu, während die Ampel-Regierung an Reformen feilt. Ein Ökonom untersucht die Situation in Deutschland.

Berlin – Es ist eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen in unserem Land: In Deutschland kommen immer mehr Ruheständler auf immer weniger Erwerbstätige, das Rentensystem gerät finanziell immer stärker unter Druck. Die Ampel-Regierung versucht mit dem Rentenpaket II und weiteren Reformen, das System zu stützen. Dabei gibt es aber auch Kritik an den Vorhaben – stark unter Beschuss steht beispielsweise das Festhalten der Ampel an der sogenannten „Rente mit 63“.

„Rente mit 63“: Ökonom rechnet mit Frührentnern aus der „gehobenen Mittelschicht“ ab

Albrecht Ritschl, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics und langjähriges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, nimmt die Situation in Deutschland in einem Interview mit der Wirtschaftswoche unter die Lupe. Auch er sieht das „ungünstige Verhältnis von Erwerbs- zu Rentenbevölkerung“. Und findet: „Die Rente mit 63 hat diesen Effekt noch verstärkt, anstatt ihn zu dämpfen.“

Die sogenannte „Rente mit 63“, korrekterweise eigentlich „Rente für besonders langjährig Versicherte“, war 2012 eingeführt worden. Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren wurden, konnten mit Vollendung des 63. Lebensjahres abschlagsfrei in Rente gehen, wenn sie 45 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung haben. Mit jedem weiteren Geburtsjahr steigt die Altersgrenze um zwei Monate. Ab Jahrgang 1964 ist dann erst ab 65 Jahren eine abschlagsfreie Rente möglich.

Albrecht Ritschl, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics und langjähriges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Deutschlands Arbeitgeber sowie zahlreiche Ökonomen wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm fordern, die „Rente mit 63“ abzuschaffen, um den Fachkräftemangel zu entschärfen und die Rentenkassen nicht noch stärker zu belasten. Die SPD, darunter Kanzler Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil, sind strikt dagegen. Denn: Menschen in körperlich bzw. psychisch belastenden Berufen wie etwa Krankenpfleger oder Dachdecker sollten die Möglichkeit haben, früher in Rente zu gehen.

Es sei zwar verständlich, dass jemand, der das ganze Berufsleben lang schwer körperlich gearbeitet habe, früher in Rente gehen solle als ein leitender Angestellter oder Lehrer, meint Ritschl dazu. Aber: „Wenn Leute aus der gehobenen Mittelschicht die Rente mit 63 in Anspruch nehmen, um ihren Lebensabend in der Toskana zu verbringen, dann ist das sozialpolitisch schon eine Umverteilung von unten nach oben“, kritisiert der Ökonom.

Deutsches Rentensystem unter Druck: „Die Leute brauchen keine Kinder mehr, um im Alter versorgt zu sein“

Er weist zudem mit Blick auf die Geschichte der Altersrente darauf hin, dass sich die Regeln der Altersvorsorge grundsätzlich geändert haben: „Die Leute brauchen keine Kinder mehr, um im Alter versorgt zu sein“, sagt Ritschl in der Wirtschaftswoche. „Bei uns kommt das Geld scheinbar nicht von den Kindern, sondern vom Staat.“

Aber eben nur scheinbar, da Kinder ja die künftigen Beitragszahler für die künftigen Rentnerinnen und Rentner sind – das ist das Umlageverfahren, auf dem das deutsche Rentensystem beruht. Dieses bedeutet, dass die aktuellen Einnahmen der Rentenversicherungsträger – Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber sowie Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt – für die laufenden Rentenzahlungen verwendet werden, erklärt die Deutsche Rentenversicherung.

Die jüngeren Generationen stemmen also die Renten der Älteren. Doch: Unsere Bevölkerung altert, es werden nicht genug Kinder geboren. Die Geburtenrate in Deutschland ist auf den tiefsten Stand seit 2009 gefallen. Ist die Politik nicht familienfreundlich genug? Ritschl warnt jedenfalls in dem Magazin: „Man darf nicht unterschlagen, dass wer heute Kinder hat, einen erheblichen gesellschaftlichen Nutzen in Form künftiger Steuer- und Rentenzahler produziert, während er die privaten Kosten weitgehend selber tragen muss.“

Er als Wirtschaftswissenschaftler könne auf die Unwucht zwischen privaten Kosten und gesellschaftlichem Nutzen nur aufmerksam machen. Der Professor schlägt aber auch vor, dass die Politik versuchen könnte, beim Ausgleich dieser Kosten zu helfen. „Vorschläge und Ansätze hat es gegeben, sie sind aber stecken geblieben“, so Ritschl. „Der garantierte Kindergartenplatz, die Schule bis in den Nachmittag – im viel gescholtenen England funktioniert beides prächtig.“

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