„Politisch sinnvoll“

Merkel verteidigt Nord Stream 2 – „Deal“ mit Russlands Wirtschaft war aber wohl nicht nötig

  • Bona Hyun
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Bereits vor dem Bau galt Nord Stream 2 als umstritten. Altkanzlerin Merkel steht in der Kritik für ihre Russland-Politik – und für das Pipeline-Projekt. Jetzt wehrt sie sich erstmals gegen die Vorwürfe.

London – Schon die erste Ostsee-Pipeline war höchst umstritten. Fertiggestellt wurde Nachfolger Nord Stream 2 trotzdem. Man könnte meinen, dass die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Pipeline-Deal ein schwieriges Vermächtnis hinterließ. Nun verteidigt die Altkanzlerin das Projekt. Doch wäre der Bau von Nord Stream 2 für die deutsche Wirtschaft wirklich nötig gewesen?

„Gas-Deal“ mit Russlands Wirtschaft nötig gewesen? Merkel verteidigt Nord Stream 2

Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland äußerte sich Merkel zum umstrittenen Nord Stream 2 Pipeline-Projekt. Sie habe nach eigener Darstellung während ihrer Amtszeit nicht auf billiges Gas aus Russland verzichtet, weil das der damaligen Wirtschaft geschadet hätte.

Altkanzlerin Merkel steht jüngst in der Kritik für ihre Russland-Politik – und für das Pipeline-Projekt.

Ihr sei wichtig gewesen, neben den politischen Kontakten auch die wirtschaftlichen Verbindungen nicht zu kappen. Sie nehme die Kritik etwa an ihrer Russland-, Flüchtlings-, Corona- und Digitalisierungspolitik zur Kenntnis. Gleichzeitig zeigte sie sich betrübt, „dass oft der Wille fehlt, sich in die Zeit zurückzuversetzen“.

Auch im Spiegel-Gespräch, das anlässlich der für den 26. November vorgesehenen Veröffentlichung ihrer Memoiren geführt wurde, verteidigte Merkel ihre Entscheidung, trotz der russischen Krim-Annexion 2014 das Pipelineprojekt Nord Stream 2 nicht gestoppt zu haben. Sie habe es als einer ihrer Aufgaben gesehen, „für die deutsche Wirtschaft billiges Gas zu bekommen“, sagte Merkel. „Wir sehen jetzt, welche Folgen teure Energiepreise für unser Land haben.“

Kritik an Nord Stream 2: Wäre der Bau für die Gasversorgung nicht nötig gewesen?

Doch wäre der Bau von Nord Stream 2 nötig gewesen? Analysen des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW Berlin zeigten schon im Jahr 2018, dass das geplante Pipelineprojekt Nord Stream 2 zur Sicherung der Erdgasversorgung in Deutschland und Europa nicht notwendig ist. „Die dem Projekt zugrundeliegenden energiewirtschaftlichen Analysen, insbesondere das EU-Referenzszenario, überschätzen den deutschen und europäischen Erdgasbedarf erheblich“, heißt es in einem Abstract.

Auch nach Ansicht von Wissenschaftlern auch nach dem Wissensstand vor Baubeginn für die Gasversorgungssicherheit in Deutschland und Europa nicht zwingend notwendig gewesen. So hatte der Leiter des Bereichs Energiewirtschaft der Prognos AG, Jens Hobohm, im Untersuchungsausschuss des Schweriner Landtags im Jahr 2023 gesagt, dass aus seiner Sicht der Bau nicht nötig war.

In einer aktuelleren Studie des DIW heißt es, dass sogar ein Einfuhrverbot von russischem Erdgas in die EU die Gas-Versorgung in der Europäischen Union nicht gefährden würde. Selbst wenn die Gasnachfrage in der EU bis zum Jahr 2030 hoch bliebe, wäre ein vollständiger Verzicht auf russisches Erdgas möglich, heißt es.

Umstrittenes Nord Stream 2 Projekt liegt auf Eis – wie geht es mit dem Transitvertrag weiter?

Kritiker befürchteten schon vor dem Bau der Nord Stream 2 Pipeline, dass die Abhängigkeit von russischem Gas größer werden könnte. Sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch aus den USA gab es immer wieder Einwände. Die USA wollten die Gaspipeline Nord Stream 2 sogar kurz vor der Fertigstellung stoppen und haben trotz des deutschen Widerstands Sanktionen gegen beteiligte Firmen erlassen. Der erneut zum Präsidenten wiedergewählte Donald Trump hatte 2019 ein Gesetz unterzeichnet, das Sanktionen gegen Nord Stream 2 beinhaltet.

Im Jahr 2021 konnten Deutschland und die USA ihren jahrelangen Streit um die Pipeline beilegen. Die damals verkündete Einigung mit Washington sah vor, dass die Gasleitung durch die Ostsee ohne US-Sanktionen fertiggestellt werden kann. Im Gegenzug soll der Gastransit durch die Ukraine langfristig vertraglich abgesichert werden. Mit Blick auf die aktuelle Situation im Ukraine-Krieg dürfte sich die Verlängerung des Transitabkommens zwischen der Ukraine und Russland erledigt haben. Zudem ist die EU bereit, auch ohne russisches Gas auszukommen und sucht bereits nach Alternativen.

Rubriklistenbild: © Thomas Imo/imago

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