Drastische Erhöhung
Neuer CO₂-Preis beschlossen – Politiker befürchten ein „Desaster“ durch erhöhte Energiepreise
VonAmy Walkerschließen
Der für die gesamte EU geltende CO₂-Preis, der ab 2027 gelten soll, wurde neulich auch vom Bundestag gebilligt. Dies dürfte zu deutlich höheren Energiepreisen führen – so dass einige Politiker nun eine Verzögerung in Betracht ziehen.
Brüssel – Als eine ihrer letzten Amtshandlungen vor der Bundestagswahl hat der Deutsche Bundestag die Erhöhung des CO₂-Preises ab 2027 beschlossen. Genau genommen wurde die entsprechende EU-Richtlinie in deutsches Recht überführt, sodass der nationale CO₂-Preis, der bis Ende 2026 läuft, in das neue EU-System überführt wird. Dieses sieht vor, dass der CO₂-Preis nicht mehr politisch festgelegt wird, sondern sich anhand von Angebot und Nachfrage frei am Markt bildet – je mehr CO₂ ausgestoßen wird, desto teurer wird die Abgabe. Damit soll ein Anreiz zum Wechsel auf fossilfreie Möglichkeiten entstehen.
Ab 2027 kommt der neue CO₂-Preis: EU-Politiker wollen es aber verschieben
Doch obwohl schon seit Jahren bekannt ist, dass diese Entwicklung kommt (2005 wurde der EU-Emissionshandel beschlossen, 2021 wurde dann der Pfad ab 2027 konkretisiert), hat die Politik es offenbar versäumt, die EU-Bevölkerung darauf vorzubereiten. Dadurch ist vielen Menschen in der EU nicht bewusst, wie deutlich sich die Energiepreise ab 2027 entwickeln werden, wenn der neue Emissionshandel der EU greift.
Abseits vom Standard: Diese Wärmepumpen-Marken kennen Sie noch nicht




„Ich befürchte, dass die Regierungen sich nicht ausreichend auf den Start von ETS2 [Europäischer Emissionshandel, Anm. d. Red.] vorbereiten“, sagt Conall Heussaff vom Brüsseler Wirtschafts-Thinktank Bruegel gegenüber dem Rechercheportal Correctiv. Aus diesem Grund werden jetzt auch Stimmen laut, die Einführung des neuen CO₂-Preises zu verschieben. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk plädierte im Januar dafür, alle Gesetze des EU Green Deals zu überprüfen. „Wenn die Energiepreise weiter steigen, wird das katastrophale politische Auswirkungen haben“, warnte er.
Steigender CO₂-Preis hat deutliche Folgen für Verbraucher: Bis zu 300 Euro pro Tonne CO₂
Es ist sehr schwer abzuschätzen, wie viel eine Tonne CO₂ ab 2027 in der EU kosten wird – schließlich kommt es ganz darauf an, wie weit wir bis dahin mit dem Klimaschutz gekommen sind. Dennoch versuchen Forscher und Forscherinnen genau das immer wieder zu untersuchen. Die Schätzungen reichen von 100 bis sogar 300 Euro pro Tonne CO₂. Sollte so ein Preis von einem Tag auf den anderen kommen, wird das für viele ein Schock sein.
Aktuell liegt der CO₂-Preis an der EU-Börse bei 80 Euro pro Tonne CO₂. Im Februar 2024 erreichte er seinen bisherigen Tiefstand von 55 Euro pro Tonne, 2023 sprang er zeitweise auf den Höhepunkt von über 100 Euro pro Tonne. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte der Leiter des Bereichs Verkehr beim ADAC, Stefan Gerwens: „Ab 2027 müssen wir davon ausgehen, dass sich der CO₂-Preis im Kraftstoffpreis perspektivisch mindestens verdoppelt – das wären dann insgesamt 35 bis 38 Cent pro Liter“. Das wäre ein Schock an der Tankstelle, der über Nacht eintreten könnte.
CO₂-Preis jetzt doch noch verschieben? Experten fordern endlich ein Klimageld
Michael Bloss, EU-Abgeordneter der Grünen-Fraktion, warnt gegenüber Correctiv davor, den Green Deal jetzt wieder abzuschaffen. „Wir sehen gerade, dass von Seiten der konservativen und der rechten Fraktion im Europäischen Parlament, aber auch von Seiten von Mitgliedstaaten und der Wirtschaft versucht wird, Klimabemühungen abzusägen. Dabei wäre es sinnvoll, sich jetzt damit zu beschäftigen, Programme für die potentiellen Einnahmen aufzusetzen, damit bereits ab 1. Januar 2026 direkt Geld ausgezahlt werden kann. Sonst läuft man Gefahr, dass das ETS-2 ab 2027 zur sozialen Falle wird.“
Teil des neuen Emissionshandels ist nämlich auch der Aufbau eines Klimasozialfonds, in das die Einnahmen aus der CO₂-Steuer fließen und die an die Mitgliedsstaaten anteilig überwiesen werden, damit diese sie an ihre Bevölkerungen auszahlen. Doch wie genau das alles geschehen soll, ist zwei Jahre vor Beginn des ETS II noch unklar.
„Wir müssen eine ernsthafte Diskussion führen, welche sozialen Maßnahmen nötig sind, um die Energiewende sozial gerecht zu gestalten. Sonst werden Bewegungen wie die Gelbwesten in Frankreich wieder aufkommen. Wir schlafwandeln in ein politisches Desaster“, sagt Thomas Pellerin-Carlin von der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament zu Correctiv.
Ampel wollte Klimageld in Deutschland einführen, um den CO₂-Preis abzufedern
Gegenüber IPPEN.MEDIA hat Bernd Weber, Gründer der Denkfabrik Epico, dafür plädiert, den ETS II nicht zu verschieben und stattdessen zügig ein Klimageld einzuführen, das einen „nachvollziehbaren sozialen Ausgleich“ darstellt. Dass die Ampel-Koalition ihr Versprechen nicht eingelöst hat, ein Klimageld einzuführen „stellt jetzt ein Problem dar – in Deutschland und in anderen Ländern“.
Weber verweist aber auch auf den bisherigen Erfolg des CO₂-Preises für die Industrie. „Das Instrument des Emissionshandels mit seiner CO₂-Mengensteuerung und Lenkungswirkung hat bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Die Emissionen im Industrie- und Energiesektor sind um 40 bis 45 Prozent gesunken. Die Entkoppelung von Wachstum und Emissionen gelingt in Europa besser als anderswo.“ Daher sei es klar, dass dieses Instrument auch für Privathaushalte das Potenzial hat, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, wenn es sinnvoll ergänzt wird.
In Deutschland ächzen die Bürger schon jetzt unter hohen Energiepreisen
Zugleich ächzen die Bürgerinnen und Bürger schon jetzt, ohne Einführung des CO₂-Preises, unter den Energiepreisen. Das Immobilienmakler-Netzwerk Remax stellt in einer aktuellen Untersuchung, die IPPEN.MEDIA vorliegt, fest: 20 Prozent der Menschen in Deutschland haben Mühe, ihre Energiekosten zu bezahlen. „Weitere 33 Prozent sagen, dass sie die Rechnungen für Energie zwar bezahlen können, das Geld aber an anderer Stelle einsparen müssen.“
Besonders besorgniserregend in diesem Zusammenhang: Nur 20 Prozent der befragten Immobilieneigentümer wollen in den nächsten fünf Jahren ihr Eigentum so nachrüsten, dass die Energiekosten sinken, zum Beispiel mit einer Wärmepumpe. 34 Prozent wollen eine Solaranlage auf dem Dach installieren, 25 Prozent interessieren sich für effizientere Regenwassernutzung.
Rubriklistenbild: © Wolfgang Maria Weber/IMAGO
