Zahl der Bürgergeldempfänger steigt
„Jobturbo“ unter der Lupe – Ampel-Koalition justiert Bürgergeld neu
VonLars-Eric Nievelsteinschließen
Funktioniert der „Jobturbo“ nicht? Es scheint, als würde die Ampel-Koalition unruhig. Sie nimmt wichtige Änderungen am Bürgergeld zurück.
Berlin – Im Oktober 2023 hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den „Jobturbo“ angekündigt, eine Maßnahme, die Geflüchtete „effizient und nachhaltig“ in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren sollte. Um das zu erreichen, sollte die Bundesregierung mit den Arbeitsagenturen und Jobcentern, mit den Kommunen und Ländern zusammenarbeiten. Bei einer Reise durch Baden-Württemberg machte sich der Minister ein Bild davon, wie diese Anstrengungen in der Praxis anlaufen. Gleichzeitig aber schraubt die Ampel am Bürgergeld.
„Jobturbo ist ein stotternder Motor“ – Immer mehr Ausländer brauchen Bürgergeld
Ein Bericht zum Zwischenstand des Jobturbos hatte nicht unbedingt große Erfolge aufgezeigt. Kleinere Fortschritte gab es durchaus: Wie die Welt berichtete, hatten seit November 2023 rund 123.000 Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Einreiseländern eine Arbeit gefunden. Allerdings seien viele Anstellungsverhältnisse nicht von Dauer gewesen, außerdem habe der Zuzug angehalten. Dementsprechend habe es bei der Beschäftigungsquote keine nennenswerten Veränderungen gegeben.
Mehrere Probleme erschweren es den frisch Migrierten, in Deutschland einen Job zu finden. Die fehlende Kinderbetreuung ist einer davon, allerdings schrecken Unternehmen auch davor zurück, Menschen mit geringen Sprachkenntnissen einzustellen. Das hatte die Bundesagentur für Arbeit berichtet. „Heils Jobturbo ist keine Erfolgsgeschichte, sondern ein stotternder Motor“, hatte die Welt Stephan Stracke, den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der CSU-Fraktion im Bundestag, zitiert. Pro Monat würden nur rund 5.000 Ukrainer in den Arbeitsmarkt vermittelt, etwa 850.000 Ukrainer im erwerbsfähigen Alter seien gemeldet.
All das sorgt für einer steigenden Zahl von Bürgergeldempfängern. Im Mai hatten über vier Millionen als erwerbsfähig eingestufte Empfänger diese Sozialleistung erhalten – ein Plus von 82.000 gegenüber dem Mai 2023. Die Hälfte davon seien Ausländer. Auf seiner Reise durch Baden-Württemberg hatte Hubertus Heil abgestritten, dass die Höhe des Bürgergelds sowie die geldwerten Leistungen etwas damit zu tun haben. Der Minister ließ sich an verschiedensten Orten und Arbeitsplätzen zeigen, inwiefern die Unternehmen Flüchtlinge in Arbeit gebracht hätten.
„Wachstumsinitiative“ schraubt Anpassungen zurück – Heil spricht von „Nachsteuern“ beim Bürgergeld
In Berlin aber hatten die Spitzen der Ampel-Koalition zuletzt Konsequenzen gezogen. Am 7. Juli hatten Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) strengere Regelungen beim Bürgergeld verkündet. Zum Beispiel soll künftig ein längerer Arbeitsweg zumutbar sein, das Ablehnen einer zumutbaren Arbeit zieht höhere Leistungskürzungen nach sich und Schwarzarbeit kann ebenfalls zu Kürzungen führen. Das Papier zur sogenannten „Wachstumsinitiative“ soll langfristig die deutsche Wirtschaft stärken.
Hubertus Heil hatte sich diesbezüglich verständnisvoll gezeigt. „Ich glaube, dass das auch nach der Haushaltseinigung möglich ist, dass wir die Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik in ausreichendem Maße zur Verfügung haben“, zitierte die Deutsche Presse-Agentur den Minister am Dienstag (9. Juli). Die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter hätten ausreichend Möglichkeiten, um Arbeitnehmer zu qualifizieren, weiterzubilden und in Jobs zu vermitteln. „Das war mir immer wichtig“, sagte Heil, „und der Spielraum ist jetzt nach den Haushaltseinigungen auch da.“
Für Menschen, die in Not geraten, sei das Bürgergeld nach wie vor eine Grundsicherung. Heil sprach davon, ein „Nachsteuern“ an einzelnen Punkten sei der richtige Weg, und es sei vor allem dann vertretbar, wenn „es um die Bekämpfung von Schwarzarbeit geht.“ Er wolle nach wie vor mehr Menschen in ein Beschäftigungsverhältnis bringen. Dafür seien meistens keine Sanktionen notwendig, sondern nur „konkrete Angebote und Hilfen“. Die Bundesregierung hatte außerdem eine „Anschubfinanzierung“ angekündigt, die Langzeitarbeitslosen eine Prämie einbringen soll, sobald sie Arbeit aufnehmen.
Jobcenter an der „Belastungsgrenze“ – Hat die Ampel die Mittel gekürzt?
Wirkliche Begeisterung hatten die Anpassungen bei den Jobcentern nicht ausgelöst. „Unsere Kollegen sind an der Belastungsgrenze“, hatte ein Mitarbeiter mitgeteilt. „Wenn uns noch mehr Aufgaben gegeben werden sollen, muss das auch finanziert werden.“ Und auch die SPD ist nicht vollumfänglich zufrieden – Heil sagte dazu auch, dass Kompromisse eingegangen werden müssten. „So ist das, wenn man Koalitionspartner hat.“
Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, fürchtet jetzt eine Kürzung der Mittel für die Jobcenter. Ohne Geld für neue Fördermaßnahmen würde die Vermittlung schlechter, vor allem unter Flüchtlingen. Trotz Zuwächsen bei den Bürgergeldempfängern soll der Topf, aus dem die Regierung die Maßnahmen und Verwaltungsausgaben bezahlt, gleich groß bleiben. Die Jobcenter setzen das mit einer Kürzung der Mittel gleich. (Laernie mit dpa)
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