Letzte Woche demonstrierten Apotheker in Norddeutschland (hier in Hannover) – nun folgt der Westen.
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Letzte Woche demonstrierten Apotheker in Norddeutschland (hier in Hannover) – nun folgt der Westen.

Protest im Westen

Apotheken-Protest: Was das mit der Lauterbach-Reform zu tun hat – und mit fehlenden Medikamenten 

  • Max Müller
    VonMax Müller
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Lieferengpässe und Apothekensterben: Wohl dem, der gerade keine Medikamente braucht. Zu allem Überfluss dürfte sich die Lage in den nächsten Jahren auch noch verschärfen.

Manchmal gibt es zwei Entwicklungen, die in einer optimalen Welt niemals zeitgleich auftreten sollten. So sind gerade viele Medikamente, darunter Antibiotika, nicht lieferbar. Seit 2013 erhebt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, wie viele Präparate fehlen. Aktuell sind es 515. Die Branche ist alarmiert. „Es gibt jetzt wirklich Fälle, wo wir Leute wegschicken“, sagte Olaf Behrendt, Vorsitzender des Apothekerverbandes, der Deutschen Presse-Agentur. Er hoffe, dass es jetzt keine große Erkältungswelle gebe. Dabei rollt genau die gerade an. Etwa 7,1 Millionen Menschen hatten laut Robert-Koch-Institut vergangene Woche eine akute Atemwegserkrankung. Damit ist jeder elfte Deutsche derzeit krank.

Obendrein bleiben am Mittwoch auch noch viele Apotheken im Westen des Landes geschlossen. Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung und für höhere Honorare wollen Apothekerinnen und Apotheker in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland am Mittwoch auf die Straße gehen. Es gibt allerdings den Apotheken-Notdienst – wie sonst an Wochenenden.

Bis 2030 geht fast jeder zweite Apothekenleiter in Rente

Im laufenden Jahr ist die Zahl der Apotheken nach Angaben des Deutschen Apothekerverbands unter die Marke von 18.000 gefallen – der niedrigste Stand seit mehr als 40 Jahren. Im ersten Halbjahr gab es gerade einmal 28 Neueröffnungen, aber 250 Schließungen, davon viele auf dem Land. Dabei ist dort der Bedarf an Arzneien aufgrund einer älteren Bevölkerung besonders hoch. Und Prognosen verheißen nichts Gutes – im Gegenteil. Laut einer Hochrechnung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände geht bis 2030 fast jeder zweite Apothekenleiter in Rente.

Damit sich die Situation entspannt, will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) künftig Zweigstellen von Apotheken zulassen. Dort müssten dann keine Apotheker, sondern nur pharmazeutisch-technische Assistenten anwesend sein. Für weitergehenden Beratungsbedarf könnte ein Apotheker aus der jeweiligen Hauptfiliale virtuell konsultiert werden. Dazu müssten Zweigapotheken keine Labore sowie Nacht- und Notdienste anbieten. Weniger Pflichten führen zu weniger Kosten – und das dann zu mehr neuen Apotheken, so geht zumindest Lauterbachs Logik.

Reform der Apotheken: „Oder man stellt Automaten auf“

Mit diesem Ansatz hat Wolfgang Greiner seine Probleme. „Wenn wir mehr Apotheken haben wollen, dann wird keine generelle Lösung helfen“, sagt der Gesundheitsökonom zu Ippen.Media. „Man kann nicht jede Apotheke gleich behandeln. In Städten müssen bestimmte Medikamente vorgelagert werden – ganz einfach, weil der Bedarf höher ist. Gleichzeitig brauche ich auf dem Land tatsächlich nicht überall einen Apotheker, da kann man viel mit moderner Kommunikation lösen. Oder man stellt einen Automaten mit Videoverbindung zum Apotheker auf, so wie es das in anderen Ländern schon gibt.“

Dass der Druck in den Apotheken hoch ist, wirkt sich indirekt auch auf das Angebot aus. Viele Apotheker klagen über den Mehraufwand, den fehlende Medikamente erfordern. So müssten sie viel telefonieren und organisieren, um alternative Präparate zu besorgen. Laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände beläuft sich der Gesamtaufwand pro Jahr auf 5,62 Millionen Stunden. Dazu ist das Problem nicht gelöst, sobald ein alternatives Medikament beschafft ist. Denn: Vor allem ältere Patienten und solche, die seit Jahren dasselbe Medikament nehmen, brauchen mehr Beratung. Auch bei der Verschreibung von Antibiotika ist Vorsicht geboten. Nicht jeder Mensch verträgt jedes Präparat.

Medikamente wieder in Europa produzieren

Und so reißen die Berichte über Medikamenten-Engpässe nicht ab. Besonders im vergangenen Winter war die Situation dramatisch, als nach einer Infektionswelle viele Kindermedikamente fehlten – unter anderem Fieber- und Hustensäfte. Auch für diesen Winter rechnet der Verband der Kinderärzte wieder mit einer Verschärfung der Arzneimittelknappheit. Mitte September hat Karl Lauterbach reagiert und einen „5-Punkte-Plan zur Kinderarzneimittel-Versorgung“ vorgelegt. Doch ein wichtiger Aspekt taucht darin nicht auf: die Produktion der Medikamente.

Deutschland ist nämlich abhängig von ausländischer Produktion. Rund 70 Prozent aller Medikamente enthalten Wirkstoffe aus China. Auch Indien ist ein wichtigster Hersteller für Europa. Das will Lauterbach ändern. Aber wie? Immerhin haben Rabattverträge dafür gesorgt, dass es vor allem um den Preis geht. Bei Rabattverträgen schreiben Krankenkassen die Herstellung eines Medikaments aus. Der Clou: Wenn sie nur mit einem Hersteller einen Deal abschließen, liefert der Produzent besonders günstig. Die Krankenkasse verpflichtet sich im Gegenzug, ausschließlich bei diesem Hersteller einzukaufen. Die Folge ist ein enormer Kostendruck, was die Produktion in Deutschland praktisch unmöglich macht.

Für Gesundheitsökonom Greiner liegt die Lösung auf der Hand: „Es darf künftig nicht nur um den Preis gehen, sondern auch um das Produktionsland. Dazu sollte man die gesetzliche Möglichkeit schaffen, das in den Ausschreibungen der Krankenkassen zu berücksichtigen. Es wird dann zwar teurer, ist aber nötig, wenn wir wieder mehr heimische Industrie und die Abhängigkeit von Asien beenden wollen.“