Dauerstreit

Experte Fratzscher kritisiert Populismus: „Bürgergeld war ein Schritt in die richtige Richtung“

  • VonMax Schäfer
    schließen

Die Einführung des Bürgergelds war laut DIW-Präsident Marcel Fratzscher ein positiver Schritt. Trotzdem sieht er Reformbedarf und kritisiert den aktuellen Diskurs. Wie sieht seine Vision für die Zukunft des Bürgergelds aus?

Berlin – Die Ampel-Koalition streitet über das Bürgergeld und setzt Reformen um. Besonders angesichts des Haushaltsstreits drängt die FDP auf weitere Spaßmaßnahmen bei der Sozialleistung – und erhöht den Druck auf die Koalitionspartner SPD und Grüne. Die oppositionelle Union will das Bürgergeld dagegen gleich abschaffen und durch eine neue Grundsicherung zu ersetzen. Besonders im Fokus sind dabei sogenannte „Totalverweigerer“, welchen die CDU die staatliche Unterstützung komplett streichen will.

In einer Kolumne für die Wochenzeitung Zeit hat sich nun auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), nun in den Streit um Reformen oder die von der CDU geforderte Abschaffung des Bürgergelds eingeschaltet: „Die Einführung des Bürgergelds war ein Schritt in die richtige Richtung, vor allem weil es einen stärkeren Fokus darauf legt, Menschen dauerhaft und in gute Arbeit zu bringen.“

Streit um Bürgergeld-Abschaffung: DIW-Chef kritisiert Populismus und Falschbehauptungen

Fratzscher kritisierte dabei die Art, wie das Bürgergeld diskutiert wird. „Was es nicht braucht, ist der Populismus, der die Debatte dominiert, die Gesellschaft spaltet und auf drei falschen Behauptungen beruht“, schrieb er in einem Linkedin-Beitrag. Er wehrte sich gegen den Mythos, dass die knapp 5,4 Millionen Bezieherinnen und Bezieher nicht arbeiten wollten. Dabei seien etwa 1,8 Millionen davon Kinder und Jugendliche; zwei Millionen stünden dem Arbeitsmarkt „nicht für (weitere) Arbeit zur Verfügung“, wie die 800.000 Aufstocker, die arbeiten, aber deren Lohn nicht ausreicht, oder Alleinerziehende, denen es an Betreuungsplätzen für ihre Kinder fehle.

Der Staat muss laut DIW-Chef Marcel Fratzscher besser werden, die 1,7 Millionen arbeitsfähige Bürgergeld-Beziehende in den Arbeitsmarkt zu bringen. (Montage)

Es sei auch falsch, dass die übrigen 1,7 Millionen Menschen, die prinzipiell arbeiten könnten, nicht arbeiten wollen. Von ihnen „verweigert nur eine kleine Minderheit der Arbeit“, erklärte Fratzscher. Tatsächlich zeigen auch Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, dass etwa im Februar 2024 2000 Menschen deshalb sanktioniert worden sind. Insgesamt sind das etwa 16.000.

Fratzscher: Große Mehrheit der Bürgergeld-Beziehenden für kleine Minderheit in „Kollektivhaftung“ genommen

„Dies sind 16.000 zu viel, aber sie sind mit 0,4 Prozent eben eine verschwindende kleine Minderheit aller Bürgergeldbezieher“, schrieb Fratzscher in der Zeit-Kolumne. „Auch daher ist der Populismus gegen Menschen im Bürgergeld so perfide: Es wird eine große Mehrheit in Kollektivhaftung für eine kleine Minderheit genommen und ihre legitimen Bedürfnisse dadurch delegitimiert.“

Bei der großen Mehrheit sei das Problem, dass knapp zwei Drittel keinen Berufsabschluss, in vielen Fällen auch keine Schulausbildung hätten, „und die meisten haben gesundheitliche Probleme“. Potenzielle Arbeitgeber stellen diese Menschen häufig nicht ein, weil die Kosten und Risiken zu groß seien, erklärte Fratzscher das „Hauptproblem für deren Integration in den Arbeitsmarkt“.

Die Bürgergeld-Reformen hätten mit der Abschaffung des Vermittlungsvorrangs dabei angesetzt. Es gehe nicht mehr darum, so schnell wie möglich eine passende Arbeit zu suchen, sondern eine, die eine realistische und dauerhafte Perspektive biete. Darauf wies auch Sozialaktivistin Helena Steinhaus im April bei IPPEN.MEDIA bei der Debatte um Bürgergeld-Sanktionen hin. „Jobs werden in der Regel sehr selten abgelehnt. Wenn es doch dazu kommt, stimmen die äußeren Rahmenbedingungen nicht.“

Immer wieder erklären Kritikerinnen und Kritiker des Bürgergeldes zudem, dass durch die Erhöhungen der Lohnabstand nicht mehr groß genug sei. „Die Behauptung ist schlichtweg falsch, denn auch Menschen mit Niedriglohn stehen Sozialleistungen zu und haben dadurch immer und in jeder Konstellation – von einem Single bis hin zu einer Großfamilie – mehr Geld als Menschen im Bürgergeld“, widersprach Fratzscher. Seit Einführung des Mindestlohns 2015 seien Einkommen im Niedriglohnbereich sogar schneller gewachsen als Bezüge im Bürgergeld.

DIW-Präsident Fratzscher fordert Reformen beim Bürgergeld

Dennoch spricht sich auch der DIW-Ökonom für Reformen des Bürgergeldes aus. „Auch wenn das Bürgergeld richtige und kluge Veränderungen umgesetzt hat, so braucht es weitere Reformen, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen und aus der Abhängigkeit vom Sozialstaat zu lösen“, schrieb Fratzscher in der Zeit.

Fratzscher erklärte in seiner Kolumne, dass der Staat besser darin werden müsse, das Potenzial der etwa 1,7 Millionen, die arbeiten können, zu nutzen. Für ausländische Arbeitslose müssten zudem Hürden abgebaut werden, damit diese arbeiten können. Konkret geht es dem DIW-Chef etwa um die Anerkennung von Qualifizierungen, Wohnsitzauflagen und Sprachkenntnissen.

Fratzscher will Mitwirkungspflichten verbessern und Sanktionsmöglichkeiten beim Bürgergeld stärken

Konkreter forderte Fratzscher zudem, Mitwirkungspflichten der Bezieherinnen und Bezieher zu verbessern. Das sei bisher ein Schwachpunkt. Auch Sanktionsmöglichkeiten für Totalverweigerer sollten gestärkt werden. Daran arbeitet die Bundesregierung bereits.

Seit Ende März kann das Bürgergeld vollständig gestrichen werden, wenn Arbeitslose innerhalb von zwölf Monaten zweimal ein zumutbares Jobangebot verweigern. Im Wachstumspaket hat sich die Ampel-Koalition zudem geeinigt, dass nun auch eine tägliche Pendelzeit zur Arbeit von bis zu drei Stunden als zumutbar gilt. Auch eine Kürzung um 30 Prozent für drei Monate als Sanktion bei Fällen einer abgelehnten Arbeit ist dabei enthalten.

Etwa aus Kreisen der SPD gibt es dafür Kritik an der Ampel-Koalition. Sie sehen die verschärften Regeln als eine Abkehr vom Bürgergeld und eine Rückkehr zu Hartz IV an.

Rubriklistenbild: ©  Jens Kalaene/Annette Riedl/dpa

Mehr zum Thema