Lebenshaltungskosten acht Prozent über EU-Schnitt
Einkommen in Deutschland: So wohlhabend sind Sie im EU-Vergleich
VonUlrike Hagenschließen
Deutschland ist im europaweiten Vergleich immer noch überdurchschnittlich wohlhabend. Das zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft.
Köln – Deutschland zählt im europäischen Vergleich immer noch stabil zu den einkommensstärksten Ländern Europas. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft IW, die am Mittwoch (5. Juni) veröffentlicht wurde. Nach den Berechnungen des arbeitgebernahen Wirtschaftsinstitutes für das Jahr 2021 gehören demnach 50 Prozent zur Mittelschicht, die Armutsgefährdung liegt nach diesem Vergleich mit einer Quote von 14,8 Prozent im EU-Mittelfeld.
So wohlhabend sind Sie im EU-Vergleich: Nutzen Sie den interaktiven IW-Einkommensrechner
Das Studienteam des IW hat im internationalen Vergleich für das Jahr 2021 unter anderem berechnet, in welchem EU-Land die Einkommen am gleichmäßigsten verteilt sind, und wo sich Bürger und Bürgerinnen von ihrem Geld am meisten leisten können. Eine interaktive Grafik des IW ermöglicht den EU-weiten Vergleich auf einen Blick. Jeder kann so das eigene Haushaltseinkommen im EU-Kontext schnell überprüfen und einordnen.
Der Rechner bezieht dabei Kaufkraft der Einkommen in den jeweiligen Ländern mit ein – also wie viel die Menschen sich im Vergleich der EU-Länder für ihr Geld leisten können. Denn mit einem bestimmten Eurobetrag lassen sich in Deutschland weniger Waren und Dienstleistungen kaufen als im Durchschnitt der übrigen EU-Staaten.
„Europaweite Annäherung der Einkommen“ – Studie zeigt: Osteuropa holt auf
„Das spannendste Ergebnis der Erhebung ist sicherlich, dass sich die Einkommen EU-weit angenähert haben“, so IW-Expertin Judith Niehues im Gespräch mit merkur.de von IPPEN.MEDIA. „In den letzten Jahren gab es vor allem in den neueren, osteuropäischen EU-Ländern starke Einkommenszuwächse“. Zwar habe es im ersten Quartal 2024 erstmals wieder einen Anstieg der Reallöhne in Deutschland gegeben, davor jedoch seien diese seit der Coronakrise eher gesunken oder nur minimal gestiegen.
Lebenshaltungskosten in Deutschland acht Prozent über EU-Schnitt
In Deutschland, wo die Lebenshaltungskosten etwa acht Prozent über dem EU-Durchschnitt liegen, betrug das mittlere Nettoeinkommen einer alleinstehenden Person im Jahr 2021 zwar 2097 Euro, kaufkraftbereinigt aber nur 1942 Euro. In Bulgarien hingegen liegt das tatsächliche mittlere Nettoeinkommen bei rund 430 Euro, was kaufkraftbereinigt 802 Euro entspricht. Der EU-Durchschnitt beträgt 1529 Euro, was rund 1651 Euro in deutschen Preisen ausmacht. Diese Zahlen beziehen sich stets auf den Median, das heißt, die Hälfte der Menschen verdient mehr, die andere Hälfte weniger.
Deutschland EU-Schnitt bei Gleichheit von Einkommensverteilung
Bei der Gleichheit der Verteilung der Einkommen führen osteuropäische Länder wie Slowakei, Slowenien und Tschechien das Ranking an. „Vor der EU-Osterweiterung vor zehn Jahren lagen die skandinavischen Staaten noch regelmäßig vorn“, so Niehues. Nach dem Gini-Koeffizienten, mit welchem man die Ungleichheit der Einkommen bemisst – und der von 0 für völlig gleich verteilte Einkommen bis 100 für maximal Ungleichverteilung bemessen wird, liegt Deutschland im Mittelfeld. Innerhalb der EU beträgt hier 2021 der Durchschnittswert 29,6, in Deutschland lag er bei 29,0.
Bericht untersucht Armutsgefährdung: Deutschland demnach unter EU-Schnitt
Die Studie untersucht auch die Armutsgefährdung und die Größe der Mittelschicht in den EU-Staaten, gemessen am mittleren Einkommen des jeweiligen Landes. Laut EU-Definition gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des Mediannettoeinkommens ihres Landes verdient. 2021 waren nur zehn Prozent der Tschechen armutsgefährdet. Deutschland liegt mit 14,8 Prozent im Mittelfeld, unter dem EU-Durchschnitt von 16,5 Prozent.
Verteilungsbericht des WSI: Zunahme der Einkommensungleichheit
„Der Index der Armutsgefährdung ist ein relativer Maßstab – die Höhe oder Entwicklung des Lebensstandards kann man daran nicht ablesen“, erklärt Expertin Niehues dazu. Tatsächlich kommt der Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zu einem anderen Schluss: „Auf Basis des Mikrozensus kommt man für das gleiche Jahr beispielsweise auf eine Armutsquote von 16,9 Prozent für Deutschland, statt 14,8 Prozent auf Basis des EU-SILC“, so WSI-Experte Jan Brülle gegenüber merkur.de.
Danach war bereits im Jahr vor der großen Teuerungswelle neue Kleidung für 17 Prozent unerschwinglich, die „dauerhaft“, also über fünf oder mehr Jahre, unter der Armutsgrenze lebten. Unter denjenigen, die 2021 arm waren, aber nicht durchgehend in allen vier Jahren zuvor, konnten sich gut acht Prozent keine neuen Anziehsachen leisten. 59 Prozent der dauerhaft und gut 34 Prozent der temporär Armen konnten keinerlei finanzielle Rücklagen machen.
Brülle ergänzt: „Die Betrachtung von Europa als ‚ein einziges Land‘, wie es in der Studie vorgenommen wird, ist zwar ein interessantes Gedankenexperiment“. Dabei schlage sich nieder, dass Deutschland im europäischen Vergleich tatsächlich zu den wohlhabenderen Ländern gehört. „Für die Definition von Armut und Reichtum ist es jedoch aus gutem Grund etabliert, Einkommen anhand eines nationalen Standards zu bewerten: So lassen sich Rückschlüsse auf die Teilhabechancen von Menschen im Vergleich zu einem auch im Alltag relevanten gesellschaftlichen Standard ziehen“, so der Forscher vom WSI.
Rubriklistenbild: © Monika Skolimowska/dpa

