Deutschlands Rentensystem unter Druck
Deutschland auf den Spuren Schwedens? So könnte unsere Rentenversicherung umgestaltet werden
VonLennart Schwenckschließen
Schweden zeigt, wie Rente zukunftssicher gestaltet werden kann: ein Mix aus Aktienfonds und Reformen. Doch ist das Modell auch für Deutschland geeignet?
München – Deutschlands Rentensystem gerät durch die in Rente gehende Babyboomer-Generation und den Fachkräftemangel zunehmend unter Druck. Bis 2036 treten rund 16,5 Millionen Erwerbstätige in den Ruhestand, was den Arbeitsmarkt, insbesondere in systemrelevanten Branchen wie der Pflege, dem Handwerk und dem Bauwesen, stark belastet. Lösungsansätze sind gezielte Zuwanderung, eine stärkere Einbindung von Frauen und ein längerer Verbleib älterer Fachkräfte im Beruf.
Bereits 2012 wurde in Deutschland eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre beschlossen. Dieser Prozess, der bis 2029 abgeschlossen sein wird, zielt darauf ab, die Rentenkassen zu entlasten. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter lag 2005 noch bei 63,2 Jahren.
Durch die Anpassung könnte die Erwerbstätigenquote älterer Menschen steigen. Doch die Maßnahme ist umstritten: Während sie einerseits die finanzielle Stabilität der Rentenkasse fördert, bedeutet sie für Arbeitnehmende in körperlich anstrengenden Berufen eine erhebliche Belastung. Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick über den Tellerrand der Staatsgrenzen. So hat Schweden ein fulminant anderes Rentensystem, als das Deutsche: Es beruht auf Staatsfonds. Doch wie realistisch ist es, dessen Elemente auf Deutschland zu übertragen?
Kapitalgedeckte Rente: Ein Blick auf das Erfolgsrezept Schwedens
Das schwedische Rentensystem basiert, laut Gesamtverband der Versicherer, auf drei Säulen: der staatlichen umlagefinanzierten Rente, der Betriebsrente und der privaten Vorsorge. Ein zentraler Unterschied zum deutschen Modell ist die sogenannte Prämienrente. Von den 18,5 Prozent, die schwedische Arbeitnehmende für ihre Rente abführen, werden 2,5 Prozent in Aktienfonds investiert.
Hierbei können die Versicherten aus etwa 500 Fonds wählen oder sich für den staatlichen Fonds AP7 entscheiden, der standardmäßig als Anlageoption dient. Laut Gesamtverband der Versicherer erzielte der AP7 in den vergangenen Jahren hohe Renditen, da er bis zum Alter von 55 Jahren vollständig in Aktien investiert. Anschließend wird das Risiko schrittweise reduziert, indem ein wachsender Anteil in festverzinsliche Wertpapiere umgeschichtet wird.
Ein weiterer Aspekt des schwedischen Systems ist die automatische Anpassung an die Lebenserwartung. Das bedeutet, dass die Höhe der ausgezahlten Rente von der durchschnittlichen Lebenserwartung der Rentnerjahrgänge abhängt. Steigt die Lebenserwartung, sinkt die Rentenhöhe entsprechend. Dadurch bleibt das System finanziell stabil, was es gegenüber rein umlagefinanzierten Modellen widerstandsfähiger macht.
Es ist nicht alles Schwarz-Rot-Gold, das glänzt: Vor- und Nachteile des schwedischen Modells
Das schwedische Rentensystem bietet einige Vorteile. Einer der wichtigsten ist die Transparenz: Rentnerinnen und Rentner erhalten jährlich eine Mitteilung, die „orangefarbener Umschlag“ genannt wird. Sie gibt detailliert Auskunft über Rentenansprüche und die Auswirkungen eines späteren Renteneintritts. Dies hilft den Bürgerinnen und Bürgern, fundierte Entscheidungen zu treffen, wann sie in Rente gehen möchten. Zudem hat die Investition in Aktienfonds die Renditen der Rentenbeiträge deutlich erhöht. Ole Settegren von der Rentenbehörde betont im NDR: „Manche Probleme hat Schweden mit diesen Maßnahmen gelöst. Ich denke, das sollte sich auch Deutschland genauer anschauen.“
Allerdings birgt dies auch Risiken: Während der Finanzkrise 2008 verlor der AP7 erheblich an Wert. Kritikerinnen und Kritiker weisen darauf hin, dass ein solches Modell in wirtschaftlich unsicheren Zeiten für die Rentnerinnen und Rentner problematisch sein könnte. Zudem sind Frauen im schwedischen Modell benachteiligt, da die Rentenhöhe auf dem gesamten Erwerbsleben basiert und Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten. Auch Menschen in körperlich belastenden Berufen haben Schwierigkeiten, ein ausreichendes Rentenniveau zu erreichen, da sie oft nicht bis zum regulären Rentenalter arbeiten können.
Rentenpaket II und mehr: Kann Deutschland von Schweden lernen?
Die Diskussion über eine Reform des deutschen Rentensystems hin zu einem kapitalgedeckten Modell wie in Schweden ist komplex. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Deutschland mit einer deutlich größeren Bevölkerung und einer geringeren Rücklage in der Rentenversicherung startet. Zusätzlich ist die kulturelle Einstellung zu Aktien in Deutschland historisch bedingt skeptischer als in Schweden.
Renten-Experte Florian Blank von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sieht das schwedische Modell jedoch kritisch: „Wichtig ist, das Gesamtbild des schwedischen Rentensystems in den Blick zu nehmen und sich nicht einzelne Rosinen herauszupicken“, erklärt er im NDR. Er hebt hervor, dass Betriebsrenten und öffentliche Renten in Schweden stärker von Arbeitgebern finanziert werden als in Deutschland. Zudem verweist Blank auf OECD-Studien, wonach schwedische Rentner finanziell nicht besser dastehen: „Wir sollten gar nicht so viel nach Schweden schauen. Unser Rentensystem ist erstaunlich flexibel.“
Auch innerhalb Schwedens gibt es, laut Gesamtverband der Versicherer, Kritik an seinem System. Seit 2015 existieren keine staatlichen Anreize mehr zur privaten Vorsorge, was eine Lücke für Personen mit niedrigen Einkommen darstelle. Auch die automatische Anpassung der Rentenhöhe an die Lebenserwartung wird als ungerecht empfunden, da sie vor allem jüngere Generationen belaste.
Aufgrund des aktuellen Bundestagswahlkampfs zur Wahl am 23. Februar 2025, können derzeit auch schlecht Prognosen über das eigentlich geplante Rentenpaket II abgegeben werden, da die zukünftige Bundesregierung hier und da einige Stellschrauben neu einstellen könnte. Die ehemalige Ampel-Allianz erörterte unter anderem einen Gesetzesvorschlag zur Neugestaltung der privaten Rentenversicherung. (ls)
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