Innovation muss umgesetzt werden

„Das deutsche Mindset muss sich verändern“ – Der Grund für das Produktivitätsdefizit gegenüber den USA

  • Lars-Eric Nievelstein
    VonLars-Eric Nievelstein
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Die Produktivitätslücke zwischen Deutschland und den USA nimmt zu. Dies ist unter anderem auf Energie zurückzuführen. Was könnte Deutschland verbessern?

Den Haag – Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. Ihre Schwäche sei „chronisch geworden“, hatte Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, dazu gesagt. 2024 war die Wirtschaft geschrumpft, der Trend hält nun schon zwei Jahre lang an. Zuletzt hatte es 2002/2003 zwei Rezessionsjahre in Folge gegeben. Gleichzeitig droht mit Amerika einer der wichtigsten internationalen Partner in die Isolation zu entschwinden. Deutschland und Europa suchen nach Wegen, um sich auf der globalen Bühne zu behaupten.

„Das bremst Europa aus“ – Gefahren aus dem Energiesektor und aus dem Osten

Dabei besteht jedoch eine Reihe an Problemen. Eines davon ist die Frage nach der Produktivität. Um vorne mitzuspielen, müsse Deutschland sich dahingehend dringend ändern, findet Jacob Vijverberg, Portfolio-Manager beim Vermögensverwalter Aegon Asset Management, der unter anderem eine Vertretung im niederländischen Den Haag unterhält. Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA verrät er, wo Deutschlands Schwächen liegen und was besser laufen müsste.

In einer Analyse hatten Sie bei Aegon Asset Management festgestellt, dass das Produktivitätsgefälle zwischen den USA und Europa wächst. Inwiefern hat das mit der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Energie zu tun?
Werfen wir einen Blick zurück: Zwischen 2000 und 2006 war die Energieproduktion innerhalb der USA rückläufig. Dann haben die Amerikaner mit ihren Schiefer-Fracking-Aktivitäten begonnen und die Energieproduktion innerhalb des Landes stieg deutlich an. Aktuell produzieren die USA mehr Öl als Saudi-Arabien und fast doppelt so viel Gas wie Russland. Das ist gleichzeitig ein gewaltiger Schub für die Produktivität in den USA. Uns ist aufgefallen, dass das durchaus in der Populärpresse erwähnt wird, aber manchmal gerät diese Thematik in Vergessenheit. In Europa ist das anders. Wir hatten den Zugang zu billigem russischen Gas, der jetzt versperrt ist, wir haben eine sehr begrenzte Produktion unserer fossilen Brennstoffe. Europa ist also in hohem Maße von Energieimporten abhängig. Das bremst Europa aus.
„Das deutsche Mindset muss sich verändern“ – Was hinter dem Produktivitätsgefälle zu den USA steckt
Welche sind die größten Risiken für Deutschland hinsichtlich seines Einflusses als auch bei der Produktivität?
Das politische Umfeld hat sich in den letzten Jahren ziemlich verändert. Die politische Situation in den USA deutlich anders, und man kann sich in Bezug auf die Sicherheit nicht mehr voll und ganz auf die USA verlassen. Gleichzeitig glaube ich, dass Europa klar wird, was für eine Bedrohung China darstellen kann. Es ist nicht mehr nur ein großer Markt, den man erschließen möchte. Der Einfluss wird im Wesentlichen von der Größte der Wirtschaft bestimmt. Zum Beispiel umfasst das, wie viel Geld die Regierungen für Verteidigung ausgeben können, wie viel Einfluss sie auf den Handel haben können oder wie der technologische Fortschritt aussieht.

„Größe der europäischen Gemeinschaft ist signifikant“ – Europa müsste zusammen stehen

Das klingt, als hätte Deutschland als vergleichsweise kleines Land schlechtere Chancen.
Das Beispiel Taiwan zeigt, dass man flächenmäßig nicht groß sein muss. Auch, wer technologisch fortgeschritten ist, hat Einfluss. Der Chiphersteller TSMC in Taiwan zum Beispiel ist ein Faktor für den Schutz des Landes, weil das Unternehmen in der Weltwirtschaft so wichtig ist. Die Stärke der Wirtschaft hängt dennoch grundsätzlich davon ab, wie groß die Bevölkerung ist und wie produktiv die Arbeiter sind. Weil Deutschland relativ klein ist, kommt es innerhalb Europas aber mehr auf die Zusammenarbeit an. Leider war die Produktivitätszunahme innerhalb Europas und Großbritanniens zuletzt eher gering. Das hat an unserem Einfluss auf der globalen Bühne genagt. Eine Menge geopolitischer Entwicklungen haben dafür gesorgt, dass Europa weniger relevant wird als es vielleicht war.
Also brauchen wir für mehr Einfluss mehr Zusammenhalt zwischen den EU-Staaten.
Ja. Die Größe der europäischen Gemeinschaft ist immer noch signifikant und der Kontinent könnte durchaus mit den USA und China in Wettbewerb treten. Allerdings gibt es bekanntlich das Problem, dass Europa keine kohäsive Kraft darstellt. Es gibt viele verschiedene Meinungen und Ansätze, was es Akteuren wie den USA oder China einfacher macht, einzelne Länder von einem EU-Konsens wegzubringen. Das passiert zum Beispiel durch vorteilhafte Deals, wie es zum Beispiel mit China und Ungarn passiert ist. Die jüngsten Wahlen haben außerdem gezeigt, dass die politische Polarisierung innerhalb der EU sogar noch zunimmt.
Jacob Vijverberg, Portfolio Manager bei Aegon Asset Management.
Was machen die USA besser als Deutschland, was die Produktivität angeht?
Nur, um das kurz klarzustellen: Die Produktivität setzt sich daraus zusammen, wie effizient man Kapital und Arbeitskraft in einem Business zusammenbringt. Wir haben schon über die Energie gesprochen, das ist der eine große Faktor. Der zweite ist die technologische Umsetzung von Innovation im Geschäftsbetrieb. Die USA sind da einfach schneller, was für einen höheren Produktivitätszuwachs sorgt. Einfach nur innovativ zu sein und beispielsweise neue Chips zu entwickeln, reicht nicht aus – das muss dann auch noch ins Business implementiert werden. Hier geht es in der näheren Zukunft um künstliche Intelligenz, um moderne IT-Systeme, Breitbandzugang und das Internet der Dinge.

Deutsche Statik in der Wirtschaft – Obwohl es innovative Unternehmen gibt

Warum sind wir in Deutschland langsamer damit?
Hier läuft das alles statischer ab. Die Unternehmen brauchen da ein anderes Mindset. In den USA sind die Leute auch eher bereit, einfach den Job zu wechseln, es gibt eine ganz andere Dynamik. Hier in Europa bleiben viele Leute einfach im Job, weil es Sicherheit bringt. Das ist auch ein Faktor, der Innovation limitiert.
Gibt es auch etwas, was Deutschland und Europa besser machen als die USA?
Deutschland war schon einmal der „kranke Mann“ Europas, damals um die Zweitausenderjahre. Danach gab es einen Wandel, der Mittelstand hat sehr stark performt. Jetzt gibt es dagegen jede Menge Negativität über das deutsche Wachstum. Meiner Meinung nach ist einer von Deutschlands Vorteilen das stabile politische System, aller Polarisierung zum Trotz. Ich glaube außerdem, dass Deutschland jede Menge kleine und mittelgroße, sehr wettbewerbsfähige Unternehmen mit viel Potenzial für Innovation hat. Das ist ein großer Selling Point. Weiterhin – und ja, das ist ein wenig wie ein zweischneidiges Schwert – haben Europa und Deutschland einen größeren Regierungssektor. Das kann positiv sein, zum Beispiel, weil viele Herausforderungen eine starke Regierung verlangen, andererseits kann das auch die Wirtschaft nach unten ziehen. Das passiert vor allem dann, wenn es um Ineffizienzen geht, aber ich sehe Europa da eher in der Balance als die USA.
Um das mit der Wahl zu verknüpfen: Was müsste die neue Regierung tun, damit wir in Sachen Produktivität zu den USA aufschließen?
Das Mindset hinsichtlich der Technologie müsste sich verändern. Und dann gibt es da noch die Energiesituation – auch, wenn das nichts ist, was sich per Knopfdruck lösen ließe. Ich glaube, Deutschland muss da wirklich seine Optionen abwägen, auch, was existierende Versorgung angeht. Die Kernkraftfrage ist sehr politisiert in Deutschland, und ja, wir wissen, dass es den Atomausstieg gibt. Allerdings müsste man hinterfragen, wie rational diese Entscheidung ist. Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist der Rückgang in der deutschen Industrie. Hier müsste die Regierung besser darauf aufpassen, was für Technologie gekauft und gestohlen wird. Wir waren zu optimistisch damit, wie wir mit China Handel treiben können. Da müsste es einen rationaleren Ansatz geben. Wir können immer noch handeln, aber Deutschland muss sehr darauf achten, wo seine Technologie oder sein Know-how endet und wo es von Konkurrenten kopiert und übernommen wird.

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