Neue Grundsicherung

Bürgergeld-Ende: Warum Hartz IV plötzlich wieder als Ideengeber taugt

  • VonNicola de Paoli
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Schon im Wahlkampf kündigte die Union an, das Bürgergeld abzuschaffen. Nun kommt es zu einer Namensänderung und zu Verschärfungen. Der Kern des Bürgergeldes wird einkassiert – doch manche Hintertüren bleiben offen.

Berlin – Nachdem Union und SPD die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche präsentiert haben, ist nun klar: Das Bürgergeld soll abgeschafft und zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgestaltet werden. Die Menschen müssten schnellstmöglich in Arbeit vermittelt werden, heißt es im Sondierungspapier. Anschließend folgt der wohl entscheidende Satz zu dem Thema: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.“ Wesentliche Elemente des Bürgergeldes werden damit zurückgedreht. Stattdessen wollen Union und SPD nun wieder an die Ideen der frühere Hartz IV-Gesetzgebung anknüpfen.

Das Bürgergeld wurde im Jahr 2023 eingeführt. Es ersetzte das Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV. Das war seinerzeit eine Grundsicherung in den Jahren 2005 bis 2022 nach den Empfehlungen der Hartz-Kommission unter Leitung des langjährigen Managers Peter Hartz. Dieser war von der Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2002 unter anderem damit beauftragt worden, die Arbeitsmarktpolitik effizienter zu gestalten.

Bürgergeld-Aus: Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs

In der Zeit von Hartz IV lag der Fokus auf der schnellen Jobvermittlung. Die Jobcenter hatten die Aufgabe, Leistungsberechtigte zügig in eine Anstellung zu bringen, selbst wenn diese nur von kurzer Dauer war. Mit der Einführung des Bürgergeldes sollte jedoch die langfristige Integration in den Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen. Arbeitslose, die sich weiterbilden oder einen Berufsabschluss erlangen wollten, sollten dabei Unterstützung von den Jobcentern erhalten.

Laut dem Sondierungspapier von Union und SPD soll der Vermittlungsvorrang aus der Hartz-IV-Ära „für Menschen, die arbeiten können“ wieder eingeführt werden. Dies bedeutet, dass die Aufnahme einer Arbeitsstelle Vorrang vor Fortbildung und Qualifizierung hat.

Die Welt berichtete jedoch von einer möglichen Ausnahme. „Für diejenigen, die aufgrund von Vermittlungshemmnissen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden, werden wir vor allem durch Qualifizierung eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen“, wird im Papier betont. Personen, die als erwerbsfähig gelten, aber Vermittlungshemmnisse haben – was auf mehrere Hunderttausend zutrifft – könnten somit vom Vermittlungsvorrang ausgenommen werden. Entscheidend wird sein, welche Details im noch ausstehenden Gesetzesentwurf festgelegt werden.

Geplante Grundsicherung: Sanktionen werden verschärft

Mit dem Bürgergeld erfolgen Sanktionen bislang nach einem dreistufigen System: Bei der ersten Pflichtverletzung mindert sich das Bürgergeld für einen Monat um zehn Prozent, bei der zweiten für zwei Monate um 20 Prozent und bei der dritten für drei Monate um 30 Prozent. Eine Leistungsminderung darf nicht erfolgen, sollte sie im konkreten Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen.

Die alte Hartz IV-Gesetzgebung war da deutlich strenger. Auch bei Hartz IV gab es für Verweigerer ein Stufen-System. Verweigerten Hartz-IV-Empfänger einen zumutbaren Job oder brachen sie eine Ausbildungsmaßnahme ab, wurden drei Monate lang zwingend 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt. Bei einem zweiten Regelverstoß innerhalb eines Jahres waren es 60 Prozent; beim dritten Mal sogar 100 Prozent. Nun sollen „Mitwirkungspflichten und Sanktionen“ wieder verschärft werden bis hin zur kompletten Einstellung der Zahlungen.

Das Bundesverfassungsgericht ließ bei Sanktionsverschärfungen eine Hintertür offen

Union und SPD müssen bei den geplanten Sanktionsverschärfungen allerdings die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten. Dieses hatte eine hundertprozentige Leistungskürzung im früheren Hartz-IV-System im Jahr 2019 in einem Grundsatzurteil gekippt. Der Gesetzgeber dürfe von den Hartz IV-Empfängern zwar fordern, dass sie aktiv daran mitwirken, wieder einen Job zu bekommen, urteilten die Richter. Er dürfe auch Sanktionen aussprechen, wenn Betroffene das nicht tun. Ein Existenzminimum müsse aber gewahrt bleiben. Das sei eine Frage der Menschenwürde. Konkret sagte das Gericht: Kürzungen von 30 Prozent sind unter bestimmten Bedingungen in Ordnung. Kürzungen von 60 oder gar 100 Prozent hingegen nicht.

Die Handschrift der Ampel-Regierung: Sanktionen bei Schwarzarbeit

Der härtere Kurs, auf den Union und SPD sich geeinigt haben, trägt zumindest teilweise auch die Handschrift der Ampel. So werden beispielsweise die Kontrollen gegen Schwarzarbeit hochgefahren, und wer erwischt wird, soll strenger bestraft werden. Genau das stand bereits im „Wachstumspapier“ der Ampel. Es wurde aber nie umgesetzt. Ökonomen haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Kombination aus Bürgergeld und Schwarzarbeit zu lukrativ ist. Unter anderem deshalb, weil sich die Ausweitung der Arbeitszeit auf legale Weise für sogenannte Aufstocker im Bürgergeld finanziell kaum lohnt. Die staatlichen Leistungen sollen künftig zusammengefasst und besser aufeinander abgestimmt sein. Ob dieses Mal also eine grundlegende Reform kommen wird, so wie sie etliche Ökonomen fordern, bleibt offen.

Verwaltungsverfahren müssen laut Experte vereinfacht werden

Seit 2024 kann das Jobcenter den Betroffenen das Bürgergeld allerdings für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn sie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern. Inwieweit sich das inhaltlich vom Sondierungspapier von Union und SPD unterscheidet, ist noch unklar. Für eine 100-Prozent-Sanktion müssen zwischen Jobcenter und Empfänger bis zu sieben Verwaltungsschritte inklusive schriftlicher Bearbeitung erfolgen; das Jobangebot muss während dieser Zeit weiterhin verfügbar sein. Die Union pochte auf die Vereinfachung dieser und anderer Prozesse.

Rubriklistenbild: © Michael Kappeler

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