Bösartiger Tumor

„Sie haben Lungenkrebs“: Zwei Patientinnen über ihre lebensverändernde Diagnose und Therapie, die hilft

  • Natalie Hull-Deichsel
    VonNatalie Hull-Deichsel
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Lungenkrebs wird häufig unweigerlich mit Rauchern in Verbindung gebracht. Dabei gibt es Tumore, an denen gerade Nichtraucher erkranken – wie Eva und Julia.

„Natürlich ist die erste Frage immer, ob ich geraucht habe. Auch Ärzte stellen diese Frage. Man sollte eigentlich wissen, dass Raucher in der Regel hochaltrig sind, wenn sie Lungenkrebs bekommen. Die Frage impliziert auch immer: Du bist selbst schuld an deinem Krebs. Leider verhindern diese Vorurteile einen Scham-befreiten Umgang mit der Krankheit.“ Was Julia H. aus Düsseldorf schildert, erleben viele Lungenkrebs-Patienten, die bereits in jüngeren Jahren erkranken. Umso wichtiger ist es ihr, über die Erkrankung zu sprechen – so wie Eva L., die mit ihrer Familie in Krefeld lebt. Beide erzählen exklusiv im Interview mit IPPEN.MEDIA darüber, welche Symptome sie zum Arzt führten, wie die Diagnose gestellt wurde, welche Therapiemöglichkeit bei ihrem Tumor wirkt und wie sie heute mit der Erkrankung leben.

Lungenkrebs mit 38 und 46: Welche Symptome Julia H. und Eva L. zum Arzt führten

Eva L. (links) und Julia H. (rechts) lernten sich über ein gemeinsames Schicksal kennen: Lungenkrebs. Beide Frauen nehmen ihre Erkrankung zum Anlass, um anderen zu helfen. Ein gemeinsames Buch für Eltern und Kinder soll 2024 veröffentlicht werden.

Julia H. ist 38 und gerade mitten in ihren Hochzeitsvorbereitungen, als sie 2016 plötzlich eine Art Druck im Hals spürt und ein Geräusch beim Ein- und Ausatmen wahrnimmt. Nach etwa anderthalb Wochen geht sie zum Arzt, da ihr die Symptome „seltsam“ vorkommen, wie sie es selbst beschreibt. Eva L. bemerkt 2019 einen Schwindel an sich, den sie zunächst auf die Aufregungen des Umzugs mit ihrem Mann und ihrer damals siebenjährigen Tochter zurückführt. Als ihr das Atmen dann zusätzlich schwerer fällt und sich für sie wie „durch ein Taschentuch“ anfühlt, sucht sie den Hausarzt auf. Nach der Untersuchung wird zunächst von einem grippalen Infekt ausgegangen. Doch ihr Husten vergeht nicht, ist letztlich sogar mit blutigem Auswurf verbunden – da lässt sie sich zum Lungenfacharzt überweisen.

Ich hatte einfach ein komisches Gefühl.

Eva L., nachdem sie mit ihren Symptomen den Lungenarzt aufsuchte

Mit Verdacht auf eine atypische Lungenentzündung wird Eva L. sofort im Helios Krankenhaus behandelt, wo die Ärzte auch verschiedene Untersuchungen in die Wege leiten, unter anderem Röntgenbilder des Brustkorbs (Computertomografie) und Lungenspiegelung (Bronchoskopie). Eine Gewebeprobe (Biopsie) wird standardmäßig entnommen. Untersuchungen, die Julia H. zu dem Zeitpunkt schon hinter sich bringen musste.

Und auch der Befund lag bereits vor – vier Tage nach ihrer Hochzeit. Die Gewebeprobe hatte nicht nur bei Julia H. das Wachstum eines bösartigen Tumors gezeigt, auch Eva L. erhielt nach ihrer Untersuchung die erschütternde Diagnose: Lungenkrebs, sogenanntes nicht-kleinzelliges Adenokarzinom im fortgeschrittenen Stadium. Der Tumor hatte bei beiden Patientinnen bereits gestreut, beziehungsweise ist metastasiert. „Ein Schock. Ein Ohnmachtsgefühl. Man kann es erst mal nicht fassen. Wir haben sehr viel geweint“, beschreibt Eva L. ihre ersten Gefühle nach der Diagnose und die Reaktionen innerhalb der Familie. Und Julia H. erinnert sich, dass sie sich noch einige Wochen nach dem Gespräch mit ihrem Arzt „wie betäubt“ fühlte.

Ich bin da direkt von ausgegangen: Der Krebs ist metastasiert, Hirnmetastasen, jetzt hast du nur noch wenig Zeit.

Julia H. über ihre Gedanken, die ihr mit der Krebsdiagnose in den Sinn kamen

Was beide zu schätzen wissen und betonen, ist, dass ihre behandelnden Lungenfachärzte der pneumologischen Onkologie nicht direkt eine Chemotherapie in die Wege leiteten, sondern vielmehr das Tumorgewebe jeweils zur weiteren Analyse untersuchen ließ. Denn die Einordnung der Art der Lungenkrebserkrankung ist für die passende Therapie maßgeblich. Bei Eva L. und Julia H. zeigte das Ergebnis der anschließenden Tumorgewebe-Untersuchung tatsächlich: ALK-positives (ALK+) Bronchialkarzinom – eine Art von Lungenkrebs, die gerade bei jüngeren, nicht-rauchenden Patienten mit gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand auftritt. Und diese Art von Krebs kann dank neuer Therapie zielgerichtet behandelt werden – ohne Chemotherapie.

Zwei Tumor-Gruppen bei Lungenkrebs

Laut Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) gibt es unterschiedliche Formen von Lungenkrebs. Tumore und Karzinome werden aufgrund ihrer Eigenschaften in kleinzelligen Lungenkrebs (SCLC) und nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (NSCLC) unterteilt. Rund 80 Prozent aller Lungentumore sind NSCLC-Karzinome, die verschiedene Unterformen aufweisen – eine davon ist die ALK-positive. Diese Form zeichnet sich durch genetische Veränderungen in den Zellen (sogenannte Onkogene) aus, wodurch dann Krebs entsteht.

ALK-positiver Lungenkrebs tritt bei etwa 5 Prozent aller Lungenkrebspatienten mit einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom auf. Es ist noch nicht bekannt, was die Veränderung des ALK-Gens verursacht. Mithilfe der Forschung und einer zielgerichteten Therapie könnte ein ALK-positiver Lungenkrebs in naher Zukunft zu einer Art chronischen Erkrankung werden, mit der Patienten relativ gut leben können.

ALK-positiver Lungenkrebs: Was bedeutet zielgerichtete Therapie?

Julia H. vergisst den Moment nicht, als sie über die Ergebnisse der Gewebeprobe informiert wurde. Durch die ALK-Mutation „war eine zielgerichtete Therapie möglich. Der Arzt im Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf hat sich so gefreut.“ Bis jetzt erhalten Julia H. und Eva L. eine Therapie mit zielgerichtetem Medikament in Tablettenform. „Man hat dann gesehen, dass Teile der Lunge wieder frei sind und weniger Anteile vom Tumor da sind.“ erklärt Eva L. die positive Auswirkung ihrer Therapie. Wichtig sei aus ihrer Sicht, sich nach der Diagnose über die Erkrankung rundum zu informieren und an ein Lungenkrebszentrum beziehungsweise das nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) zu wenden, um auch als Patient die Behandlungsmöglichkeiten zu kennen.

Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC) – zielgerichtete Therapie mit Kinasehemmern

Eine zielgerichtete Therapie kommt für Patienten mit einem fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) infrage, deren Tumorzellen bestimmte Zielstrukturen aufweisen. Für die Behandlung werden Arzneimittelgruppen wie sogenannte Kinasehemmer eingesetzt, die relevante Signale der entscheidenden Enzyme (Kinasen) in Tumorzellen blockieren, beispielsweise die Anaplastische Lymphomkinase (ALK).

In gesunden Zellen ist das Enzym Anaplastische Lymphomkinase selten aktiv. In Lungentumoren zeigt sich allerdings eine überdurchschnittlich große Aktivität, sodass ein unkontrolliertes Wachstum von Tumorzellen gefördert wird. Diese „ALK-positiven“ Lungenkrebszellen können laut Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) durch bestimmte Medikamente, wie ALK-Hemmer, in ihrem Wachstum gebremst werden.

Eine zielgerichtete Therapie bei nicht-kleinzelligem, ALK-positivem Lungenkrebs kann sogar die Bildung und das Voranschreiten von Hirnmetastasen aufhalten, wie eine Studie zeigt, auf die sich die Deutsche Krebsgesellschaft(DKG) bezieht.

Wissenschaftler erschließen insbesondere bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs immer mehr Angriffspunkte für zielgerichtete Therapien. Dabei kommen Medikamente wie Gefäßwachstumshemmer zum Einsatz. Diese blockieren zum einen Signalwege, die für die Teilung und das Überleben der Krebszellen wichtig sind, und verhindern zum anderen die Versorgung von Tumoren mit Sauerstoff und Nährstoffen.

Leben mit Lungenkrebs: Aus einem Schicksal entsteht ein gemeinsames Herzensprojekt

Jede Therapie kann auch Nebenwirkungen mit sich bringen – für Eva L. und Julia H. zeigen sich durch die zielgerichtete Krebstherapie unter anderem Müdigkeit bis hin zu Fatigue, Gliederschmerzen, starke Konzentrationsschwierigkeiten sowie erhöhte Cholesterinwerte. Dennoch finden beide Frauen, die sich über die Facebook-Gruppe „ALK Positiv Deutschland“ kennenlernten und wodurch sich mittlerweile eine gute Freundschaft entwickelt hat, die nötige Energie, sich besonderen Aufgaben wie dem gemeinsamen Buchprojekt für Kinder zu widmen. „Wir leben im Moment, im Hier und Jetzt. Wir machen jetzt, was wir können und woran wir Freude haben“, beschreibt Julia H. ihre persönliche Haltung seit der Diagnose. Freude bereitet beiden gelernten Erzieherinnen die Arbeit an dem gemeinsamen Kinderbuch, zu dem Eva L. die Idee hatte. Sie selbst gestaltete zudem die enthaltenen Bildillustrationen, Julia H. schrieb die Texte. Beide haben in ihrem Umfeld erlebt, wie sehr Eltern häufig die Ideen und Worte fehlen, um mit ihren Kindern über die Krebserkrankung und neue Lebenssituation zu sprechen.

Wie halten das Betroffene und die Familie aus? Welche Vorstellungen gibt es von der Zukunft, vom Tod, vom Sterben? Und gibt es Hoffnung? Wenn ja, welche? Das sind die Fragen, um die sich unser Bilder-Lesebuch dreht.

Julia H. über das Konzept des Bilderbuchs für Kinder und Eltern zum Umgang mit einer Krebserkrankung in der Familie

Julia H. und Eva L. gehen offen mit ihrer Erkrankung um und möchten auch andere Betroffene dazu ermutigen. Das Buch ist für Fünf- bis Zwölfjährige empfohlen und wird 2024 kostenfrei über den Bundesverband Selbsthilfe Lungenkrebs e. V. erhältlich sein.

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ALK-Mutation kann auch andere Krebsarten auslösen

Der Defekt im ALK-Gen kann neben Lungenkrebs auch Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) oder ein Neuroblastom bei Kindern auslösen.

Eine zielgerichtete Therapie ist auch beim Pankreaskarzinom möglich und zeigt zudem für krebskranke Kinder mit ALK-positiven Tumoren positive Ergebnisse. „Bei einem Teil der Neuroblastome, die zu einer prognostisch ungünstigen Untergruppe dieses Krebstyps gehören, ließen sich vielversprechende Ergebnisse beobachten“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Matthias Fischer, Leiter der Abteilung für Experimentelle Pädiatrische Onkologie an der Uniklinik Köln.

Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unserer Redaktion nicht beantwortet werden.

Rubriklistenbild: © evaleroy/juliamittelstaedt/roche

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