Literatur-Kanon
TikTokerin verrät, welche Bücher wirklich was taugen – „Muss ich das gelesen haben?“ von Teresa Reichl
VonSven Trautweinschließen
Immer weniger junge Menschen lesen Bücher. Dabei ist das Lesen nicht das Problem, sondern der althergebrachte Literatur-Kanon.
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Mehr als 61.000 Follower bei TikTok sprechen für sich. Die Kabarettistin Teresa Reichl möchte mit „Muss ich das gelesen haben?“ den Literaturkanon, der viele Schüler langweilt, durchbrechen. Mit ihren Beiträgen auf TikTok erreicht sie genau die Zielgruppe, die seit einigen Jahren immer weniger lesen. Jeder vierte Grundschüler kann nicht gut lesen. Doch die Bücher an sich sind nicht das Problem, so die Autorin.
Teresa Reichl „Muss ich das gelesen haben?“: Darum geht’s im Buch
Während der Corona-Lockdowns begann Kabarettistin Teresa Reichl, YouTube-Videos über Literatur zu machen. Ein einfaches und unterhaltsames Konzept: Sie spricht über Literatur-Klassiker vor der Kamera, trinkt dabei Weinschorle. Zum Beispiel erklärt sie, warum sie „Dantons Tod“ nicht so hoch einschätzt und weshalb „Effi Briest“ für sie kein Feminismus-Beispiel ist. Auch wie „Iphigenie auf Tauris“ die Friendzone erfand, erzählt sie. Ihr Maßstab: persönlicher Geschmack, nicht lexikarische Analyse.
Wie das Patriarchat über „wichtige“ Literatur entscheidet, unsere Weltsicht prägt – und warum wir jetzt etwas dagegen tun müssen. Beginnen wir mit einer beliebten Unwahrheit: Jugendliche wollen nicht mehr lesen. Absoluter Quatsch, sagt Autorin Teresa Reichl. Vielmehr ist es so: Wir müssen endlich mit den verstaubten Kanon-Listen und den ewig gleichen Autoren (!) aufräumen.
Frustration bei anspruchsvollen Texten
Die Videos von Teresa Reichl aus Regensburg haben viele Aufrufe. Besonders Schüler sind glücklich darüber, dass jemand über den trockenen Schulstoff spricht, den sie besser verstehen. Auch andere teilen ihre Abneigung gegen Werke wie Faust oder die Buddenbrooks, aus literarischen Gründen. Kommentare unter den Videos zeigen, dass viele offen für Literatur sind, aber manchmal auch frustriert bei anspruchsvollen Texten. Sehenswert sind auch die Zusammenfassungen von Klassikern, hier Thomas Manns „Buddenbrooks“ in 55 Sekunden.
Teresa Reichl geht einen anderen Weg. Selbstverständlich betont Teresa Reichl in ihrem frisch veröffentlichten Buch „Muss ich das gelesen haben?“ die Bedeutung klassischer Werke. Dennoch stellt sie die Frage, warum der schulische Unterricht nicht mit Inhalten beginnt, die den Schülern und Schülerinnen näher liegen. Ihre Anregung besteht darin, dass in Klassen zuerst die Analyse von TikTok-Videos, Youtube-Clips oder Chat-Verläufen erfolgen könnte. Dies könnte eine ermutigende Herangehensweise sein, um zu erkennen, dass selbst beim Lesen von Chat-Nachrichten grundlegende Textanalyse betrieben wird – inklusive Autor, Textart, Kontext und Absicht. Sobald die Schüler und Schülerinnen mit diesen Methoden vertraut sind, wäre es immer noch möglich, sich später mit Werken wie „Faust“ zu beschäftigen. Auf alle Fälle sollte man unbedingt diese sechs Bücher im Regal haben.
Zehn Bücher, die Sie Ihren Kindern vorlesen sollten




Teresa Reichl „Muss ich das gelesen haben?“: Fazit
„Muss ich das gelesen haben?“ ist eine leidenschaftliche Befürwortung für das Lesen. Laut Reichl führt die Auseinandersetzung mit Literatur zu gesteigerter Intelligenz, Empathie und innerer Gelassenheit – allesamt essenzielle Fähigkeiten, um sich in der modernen Gesellschaft erfolgreich zu bewegen. Die Fähigkeit, sich in der Analyse von Literatur sicher zu fühlen, kann als Schlüssel dienen, um ein besseres Verständnis für die Welt zu erlangen. Ein Hoch auf das Buch und das Lesen!
Teresa Reichl „Muss ich das gelesen haben?“
2023 Haymon, ISBN-13 978-3-7099-8176-4
Preis: Paperback 17,90 €, 232 Seiten
Teresa Reichl
Teresa Reichl, Germanistin mit Lehramtsabschluss, Literaturliebhaberin, Kabarettistin und Autorin, ist auch als Slam-Poetin vielfach ausgezeichnet. In Kurzvideos fasst sie Klassikerinhalte zusammen. Leidenschaftliche Diskussionen über Leselisten mit Lehrern sind ihr vertraut. Auf Instagram, TikTok und YouTube begeistert sie Tausende, indem sie die Geschichten um berühmte Autoren und ihre Werke erkundet. Ihr Ziel: Jugendliche zum Lesen ermutigen, den Literaturkanon diverser gestalten und Lehrkräfte unterstützen, neue Bücher im Unterricht einzuführen.
Rubriklistenbild: © Panthermedia/Imago/Haymon (Montage)
