Antwort aus Brüssel

Trotz EU-'Entwarnung' für Diesel: Wissing hegt weiterhin Zweifel

  • Simon Mones
    VonSimon Mones
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Die Ängste vor einer möglichen Abschaltung von Diesel-Fahrzeugen sind weit verbreitet. Verkehrsminister Volker Wissing hat sich sogar an Brüssel gerichtet. Die EU-Kommission jedoch beruhigt mit unmissverständlichen Worten.

Update, 5. August, 11:00 Uhr: Die Aufregung war groß: Rund 8,2 Millionen Diesel-Pkw soll die Stilllegung drohen. Davor warnte zumindest Bundesverkehrsminister Volker Wissing wegen der möglichen Neuauslegung bestehender EU-Regeln. Der FDP-Politiker schrieb auch einen Brief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Darauf hat Wissing nun eine Antwort von Binnenmarktkommissar Thierry Breton bekommen. In dem Schreiben, das der Bild vorliegt, gibt der französische Politiker Entwarnung: „Die Kommission hat auch nicht die Absicht, rückwirkende Änderungen vorzunehmen, den Automobilherstellern zusätzlichen Verwaltungsaufwand oder zusätzliche Anforderungen aufzuerlegen oder Maßnahmen zu ergreifen oder zu fördern, die Bürger, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, in irgendeiner Weise benachteiligen würden.“

EU-Kommission bezeichnet Wissings Befürchtungen als „irreführend“

Wissings Befürchtungen, dass in Deutschland 4,3 Millionen Euro-5- und möglicherweise 3,9 Millionen Euro-6-Dieselfahrzeuge gefährdet seien, nannte Breton in dem Schreiben „irreführend“. Im nächsten Schritt wird das Thema im November vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt. „Ohne dem Ergebnis des anhängigen Gerichtsverfahrens vorzugreifen, wird die Kommission weiterhin Lösungen fördern, die saubere und gesunde Luft begünstigen und einen vorhersehbaren und umsetzbaren Rechtsrahmen fördern“, erklärt Breton.

Die Warnungen vor einem Diesel-Verbot von Volker Wissing werden im Brüssel als „irreführend“ bezeichnet.

Klare Worte, die Skepsis bei Verkehrsminister Wissing bleibt aber. Dabei betont die Kommission in ihrem Schreiben, dass sie keine rückwirkenden Maßnahmen gegenüber den Automobilherstellern und Bürgern plane, wie eine Sprecherin der Bild sagte. Die Entscheidung würde nämlich der EuGH treffen – nicht die Kommission. Dennoch drängt Wissing weiterhin auf eine Klarstellung im europäischen Regelwerk. Diese Meinung teilt auch die EU-Kommission, wie eine Sprecherin der dpa sagte. Der FDP-Politiker sei dazu bereits auf seine EU-Amtskolleginnen und -Amtskollegen zugegangen.

Erstmeldung vom 2. August 2024: Das geplante Verbrenner-Verbot der EU ab 2035 polarisiert. So sorgte zuletzt ein Gutachten für Aufregung, wonach die CO₂-Flottenregulierung rechtswidrig sein könnte. Doch damit nicht genug, auch eine neue Auslegung bestehender EU-Regeln zur Abgasmessung sorgt derzeit für Ärger und könnte für Millionen Diesel-Pkw die Stilllegung bedeuten.

Davor warnt zumindest Bundesverkehrsminister Volker Wissing in einem Schreiben an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über das die Bild zuerst berichtete. Demnach würden alleine in Deutschland „4,3 Millionen Euro-5- und möglicherweise 3,9 Millionen Euro-6-Dieselfahrzeugen eine Außerbetriebsetzung“ drohen, schreibt der FDP-Politiker.

EU-Abgasmessung: Millionen Diesel-Autos droht Stilllegung

Doch warum ist das so? Das ganze hängt mit dem neuen Verfahren zur Abgasmessung zusammen, das die EU einführen möchte. Bislang wird der NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) als Standardverfahren genutzt. Die Abgaswerte werden dabei unter kontrollierten Bedingungen im Labor ermittelt. Künftig soll das aber im RDE-Verfahren (Real Driving Emission) auf der Straße erfolgen.

Statt wie bislang im Labor sollen Abgaswerte künftig auf der Straße gemessen werden.

Das RDE-Verfahren bildet neben dem Prüfzyklus auch bestimmte Realbedingungen ab, wie etwa Fahrten bei Vollast mit Steigung. Dies bedeutet, dass die Grenzwerte auch bei maximaler Motorleistung eingehalten werden müssen. Laut Wissing sei dies „nach derzeitigem Stand der Technik nicht umsetzbar“ und würde für die in Verkehr befindlichen Fahrzeuge eine „nicht realisierbare nachträgliche Anforderung darstellen“. Entsprechend kritisch äußerte sich auch der FDP-Fraktionschef Christian Dürr: „EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen macht weiterhin eine Politik gegen die Autofahrer. Die Zukunft des Verbrennungsmotors ist immer noch unklar und nun droht auch noch Millionen Diesel-Autos die Stilllegung, weil sich die Verfahren zur Abgasmessung ändern sollen.“

Spritschleudern der Autogeschichte: 43,5 Liter auf 100 Kilometer

Ein Chevrolet Camaro.
Mit dem Camaro reagierte Chevrolet Ende 1966 auf den beleibten Ford Mustang. Das Muscle Car aus Detroit erwies sich mit dem V8-Motor und 7 Litern Hubraum jedoch als sehr durstig: Bis zu 43,5 Liter auf 100 Kilometern waren keine Seltenheit. © Chevrolet
Ein roter Lamborghini Countach.
Im Heck des ersten Lamborghini Countach verrichtete ein V12-Motor mit 5 Litern Hubraum seinen Dienst. Mit bis zu 33,5 Litern auf 100 Kilometern war der Sportwagen jedoch alles andere als sparsam. Die Neuauflage dürfte dank Hybrid-Antrieb deutlich weniger verbrauchen. © Thomas Zimmermann/Imago
Rolls Royce Corniche Cabrio Baujahr 1984
Der Rolls-Royce Corniche ist mit rund drei Tonnen wahrlich kein Leichtgewicht. Kein Wunder also, dass sich auch der V8-Motor mit 7 Litern Hubraum als Schluckspecht erwies. Bis zu 29 Liter gönnte sich der edle Brite auf 100 Kilometer. © Sebastian Geisler/Imago
Ein Dodge Charger.
Auch der Dodge Charger ist ein Klassiker der amerikanischen Automobil-Geschichte. Getreu dem Motto „Höher, schneller, weiter“ fällt auch sein Spritverbrauch üppig aus. Bei frühen Modellen waren bis zu 27 Liter auf 100 Kilometer möglich. © Panthermedia/Imago
Aston Martin Lagonda
Optisch kann man vom Aston Martin Lagonda halten, was man möchte. In Sachen Spritverbrauch zählt der Brite, mit bis zu 26,1 Liter auf 100 Kilometern, aber zu den durstigsten Autos, die jemals gebaut wurden.  © Tim Graham/Imago
Hummer H1
Der Hummer H1 wurde ursprünglich vom US-amerikanischen Militär-Herstellers AM General gebaut. Dieser verkaufte die Markenrechte schließlich an General Motors. So wuchtig wie der Geländewagen aussieht, war auch sein Verbrauch, der bei bis zu 24,5 Liter auf 100 Kilometer lag. Die Neuauflage des Klassikers ist im übrigen rein elektrisch unterwegs. © Sebastian Geisler/Imago
Bentley Arnage
Bis 2010 baute Bentley den 2,6 Tonnen schweren Arnage, auf dem auch die State Limousine der verstorbenen Königin Elisabeth II basierte. Mit dem größten Motor war ein Verbrauch von 24,2 Liter auf 100 Kilometer möglich.  © Sebastian Geisler/Imago
Bugatti Veyron 16.4 Grand Sport L Edition Type 35
Der Bugatti Veyron war eines der ersten Autos mit Straßenzulassung, das mehr als 1000 PS unter der Haube hatte. Der Motor des „Super Sport“ leistete sogar 1.200 PS. Die Folge: ein Verbrauch von durchschnittlich 24,1 Litern auf 100 Kilometer. Innerorts sind sogar bis zu 37,2 Liter möglich. © Sebastian Geisler/Imago
Dodge Challenger RT
Neben dem Charger eroberte Dodge auch mit dem Challenger den US-Muscle-Car-Markt. Letztere zeigte sich mit einem Verbrauch von 23,5 Litern auf 100 Kilometer etwas „sparsamer“. © Andre Poling/Imago
Dodge Viper RT10
Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Das gilt auch für Dodge, denn auch die Viper erweist sich als besonders durstig: bis zu 21,1 Liter auf 100 Kilometer waren möglich. Gebaut wurde der Sportwagen von 1992 bis 2017. © Eibner/Imago

ADAC und Wissing fordern Klarstellung

Die neue Auslegung der Abgasmessungen wird im November vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt. Hintergrund ist ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Duisburg. Dabei geht es um die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten bei Dieselfahrzeugen der Abgasnorm Euro 5. Wissing fordert, dass die EU-Kommission noch vor der Gerichtsentscheidung eine Klarstellung vornimmt, um schwerwiegende Folgen für Millionen von betroffenen Bürgern sowie die europäische Wirtschaft zu vermeiden. Eine Lösung könnte laut Wissing darin bestehen, in den fraglichen Vorschriften noch vor der EuGH-Entscheidung eine Klarstellung vorzunehmen.

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Kritik kommt auch vom ADAC. Eine Sprecherin des Automobilklubs sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Kfz zu einem späteren Zeitpunkt können nach Auffassung von ADAC-Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden.“ Eine Betriebsuntersagung sei vor diesem Hintergrund „abwegig“. Entsprechend fordert der ADAC wie Wissing eine schnelle Klärung, um die Kunden nicht weiter zu verunsichern.

VdA übt Kritik an EU-Plänen

Und auch die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, forderte von der Bundesregierung und der EU-Kommission eine rasche Klarstellung über die Zulassung von älteren Dieselfahrzeugen. Der Rheinischen Post sagte Müller: „Rückwirkende Anwendungen neuer Verfahren und Maßstäbe wären ohnehin ein Verstoß gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots und das Rechtsstaatsprinzip im EU- und deutschen Verfassungsrecht.“ Die EU-Kommission müsste die Zulassung daher über eine rechtliche Klärung absichern.

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