Droht Wettrüsten in Ostasien?

Ziel Augenhöhe mit den USA: China testet erste Interkontinental-Rakete seit 44 Jahren

  • Christiane Kühl
    VonChristiane Kühl
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China hat erstmals seit 44 Jahren eine Interkontinentalrakete getestet, mit einer Sprengkopfattrappe an Bord. Peking macht Ernst mit der Abschreckung.

Es ist eine seltene Meldung aus Peking: Das Verteidigungsministerium gab am Mittwoch den Test einer Interkontinentalrakete bekannt, den ersten Test dieser Art seit 44 Jahren. Er ist damit erst der zweite öffentlich bekannte Langstreckentest überhaupt in der Geschichte der Volksrepublik. Die Interkontintentalrakete sei, bestückt mit einer Sprengstoffattrappe, ins geplante Zielgebiet im Pazifik gefallen, hieß es.

Das Ministerium bezeichnete den Test als Routineübung im jährlichen Trainingsplan der Raketentruppe, der auch die Leistungsfähigkeit der Waffe prüfen sollte. Er sei nicht gegen ein Land oder Ziel gerichtet gewesen, sagte Sprecher Zhang Xiaogang. Relevante Länder habe man vorab informiert. Weitere Details zur Art der Rakete und das genaue Testgebiet gab es nicht. Der Test zeige, dass „die Raketentechnologie der Raketentruppen ausgereift und zuverlässig ist“, zitierte die Hongkonger South China Morning Post den chinesischen Militärexperten Song Zhongping. Die Truppe verfüge „über starke operative Fähigkeiten.“

China strebt mit moderner Armee nach Augenhöhe mit den USA

Dass es sich bei einem erstmals seit 1980 durchgeführten Test wirklich um reine „Routine“ handelt, ist aber wenig wahrscheinlich. Es dürfte auch um eine Demonstration der Stärke gehen. China strebt nach dem Status einer echten Weltmacht, die auf Augenhöhe ist mit den USA, auch militärisch. China ist offizielle Atommacht und besitzt mit der DF-41 seit 2017 einen Interkontinental-Raketentyp mit einer Reichweite von 12.000 bis 15.000 Kilometern. Damit könnte die Volksrepublik die USA erreichen. Solche Raketen sind typischerweise atomwaffenfähig.

China baut sein Atomwaffenarsenal schneller aus als jedes andere Land“, sagte Hans Kristensen, Associate Senior Fellow des Programms für Massenvernichtungswaffen am Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, im Juni bei der Vorstellung des Sipri-Jahrbuchs zur weltweiten Rüstung. Darin schätzte das Institut die Zahl der chinesischen Atomsprengköpfe auf rund 500, mit Stand Januar 2024. Ein Jahr zuvor waren es 410 gewesen – das entspricht einem ziemlich gewaltigen Zuwachs von knapp 20 Prozent binnen eines Jahres. Zwar haben die USA und Russland noch weit mehr Atomsprengköpfe und Raketen als China. Doch die Aufrüstung zeigt, dass Peking es ernst meint mit der nuklearen Abschreckung.

Peking führt bei einer Militärparade im Jahr 2019 seine Interkontinental-Raketen vor. Nun hat China eine von ihnen getestet.

In einem Bericht des Pentagon vom Oktober 2023 heißt es, dass China die Zahl der Interkontinental-Trägerraketen in den letzten Jahren verdoppelt hat und weiter ausbaut. 2022 habe die Volksrepublik über etwa 350 solcher Raketen verfügt. Auch seien drei neue Silofelder mit Festtreibstoff für diese Raketen im Bau.

Wie gut das Programm künftig im Detail vorangeht, ist allerdings ungewiss. Chinas Raketenstreitkräfte stehen im Zentrum eines Korruptionsskandals im Militär, in den vermutlich auch der vor einem Jahr geschasste Verteidigungsminister Li Shangfu sowie sein Vorgänger Wei Fenghe, sowie mindestens zwei Kommandeure der elitären Truppe verwickelt waren. Bloomberg berichtete Anfang des Jahres, dass in Westchina riesige Felder von Raketensilos mit Deckeln versehen seien, die nicht ordnungsgemäß öffnen – sodass die darin stehenden Raketen bei Bedarf nicht effektiv starten könnten. Die Tanks vieler Raketen seien mit Wasser statt mit Treibstoff befüllt.

Raketentests in Ostasien: Droht ein Wettrüsten? 

In den letzten Monaten häuften sich in Ostasien Raketentests und Übungen. Die geopolitischen Spannungen in der Region steigen, die verstärkten militärischen Aktivitäten sind zugleich Symptom und Folge dieser Lage. Provokant agiert vor allem Nordkorea. Es testete im September mehrere ballistische Kurzstreckenraketen, die in die Gewässer bei Japan stürzten. Im Dezember 2023 hatte Nordkorea zum ersten Mal eine Interkontinentalrakete getestet, die nach japanischen Angaben in 73 Minuten rund 1000 Kilometer zurücklegte, bevor sie ins Meer fiel. Auch sie soll 15.000 Kilometer Reichweite haben. UN-Sanktionen verbieten Pjöngjang solche Tests seit langem.

Das US-Militär wiederum brachte im April für eine gemeinsame Übung mit den Philippinen erstmals seit 1987 sein mobiles System für Mittelstrecken nach Asien. Laut Reuters wollte man damit die Tauglichkeit des Systems in einem regionalen Konflikt testen. Das System ist allerdings immer noch dort – auf der Nordinsel Luzon, an der Küste zum Spannungsfeld des Südchinesischen Meers und unweit von Taiwan. China protestierte erst kürzlich erneut gegen die Stationierung – es sieht sich, sicher zurecht, als Zielscheibe des Systems.

Die US-Verbündeten Japan und Südkorea fürchten Nordkorea und fühlen sich auch durch China bedrängt. Die Philippinen ringen mit zunehmend aggressiv auftretenden Schiffen der chinesischen Küstenwache um Atolle in umstrittenen Meeresregionen und erhalten dabei wachsende Unterstützung aus Washington. Viele Experten fürchten daher ein Wettrüsten in Fernost. Der chinesische Langstreckentest sorgt da nicht gerade für Beruhigung.

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