Muslime und Tibeter im Visier
Zerstörte Moscheen und sterbende Sprachen: Chinas Minderheiten sollen „chinesisch“ werden
VonSven Haubergschließen
In Xinjiang, Tibet und anderswo geht Chinas Regierung gegen ethnische Minderheiten vor. Das liegt auch an einer Urangst der Kommunistischen Partei.
Dass es sich bei dem riesigen Gebäude in einem Vorort von Peking um ein islamisches Gotteshaus handelt, verrät von außen nur noch der Schriftzug über dem Eingangsportal. „Doudian-Moschee“ steht dort in fünf großen Schriftzeichen. Verschwunden sind die zwei hohen Minarette, die vielen Kuppeln, die Spitzbögen. Stattdessen steht nun hier, im Südwesten von Chinas Hauptstadt, eine gesichtslose Scheußlichkeit, die man auf den ersten Blick für ein Einkaufszentrum halten könnte. Die größte Moschee in Nord-China – sie wurde in den vergangenen Monaten von den chinesischen Behörden drastisch umgebaut. Alles Arabische ist verschwunden, dafür zeigen Fotos und Videos nun eine wilde Mischung aus westlicher und chinesischer Architektur; im Innern des Gebäudes fordern Banner auf: „Behaltet die Richtung der Sinisierung der Religionen in China bei!“
Übersetzt heißt die Propagandabotschaft: Auch der islamische Glaube soll in China nun chinesisch werden. Und was es bedeutet, chinesisch zu sein, das bestimmt die Kommunistische Partei. Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte 2015 eine „Sinisierung“ der Religion eingefordert, vier Jahre später legte die Regierung dann einen „Fünfjahresplan zur Sinisierung des Islam“ vor, der eine „islamische Theologie chinesischer Prägung“ forderte und Vorgaben machte, wie Moscheen auszusehen haben – chinesisch, nicht arabisch.
The insidious transformation of #DoudianMosque unveils a disturbing erasure of its #Islamic identity.Stripped of its architectural essence&robbed of Islamic adornments,Mosque's exterior is now marred by surveillance cameras,sinister intrusion on religious sanctity. 1/2 @Hkokbore pic.twitter.com/va66HqObxH
— Katie Anderson (@KatieAnder42) November 28, 2023
Wie China gegen Muslime vorgeht
„Chinas Regierung sagt zu den Muslimen im Land: Ihr werdet von einer ausländischen Kultur beeinflusst, und das ist nicht gut für euch. Denn wir sind in China, und ihr seid Chinesen“, sagt Robert Barnett, der sich am King‘s College in London mit chinesischer Nationalitätenpolitik beschäftigt. „Also müssen wir alles Arabische an euren Moscheen entfernen und es mit chinesischen Elementen ersetzen.“ Zudem sorge Peking seit Jahren dafür, dass immer weniger Menschen Gotteshäuser aufsuchten – wer etwa Parteimitglied werden oder gute Beziehungen zum Staat unterhalten wolle, der sollte sich am besten nicht in einer Moschee blicken lassen. „Folglich kann die Kommunistische Partei behaupten: Wenn sowieso weniger Menschen in die Moschee gehen, dann können wir auch einen Teil von ihnen abreißen!“, erklärt Barnett im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau.
Und Chinas Regierung macht sich mit großem Fleiß ans Werk, wie mehrere Untersuchungen aus den vergangenen Monaten zeigen. Zuletzt analysierte die Financial Times mehr als 2000 chinesische Moscheen im ganzen Land. Das Ergebnis: Bei Dreiviertel von ihnen wurden seit 2018 Elemente von islamischer Architektur entfernt – oder sie wurden gleich ganz zerstört.
Der Bildersturm hat dabei nicht nur die Region Xinjiang im Nordwesten Chinas getroffen, wo Peking schon seit Jahren mit harter Hand gegen die Uiguren und andere muslimische Minderheiten vorgeht und rund eine Million von ihnen zeitweise in Umerziehungslager gesteckt hat; im ganzen Land, so die Auswertung der Financial Times, sind Moscheen ins Visier der Behörden geraten. Besonders betroffen sind demnach die Provinzen Ningxia und Gansu, wo 90 beziehungsweise 80 Prozent der Moscheen „sinisiert“ wurden. In den beiden Westprovinzen leben viele Hui, Angehörige einer Minderheit, wie mehr als die Hälfte von China geschätzt 20 Millionen Muslimen ausmacht.
Menschenrechtler: Eine Million tibetische Kinder in Zwangsinternaten
In Xinjiang, so Barnett, sei es Chinas Regierung um „Auslöschung“ gegangen – Auslöschung von Sprache, Kultur, Religion. Auslöser für das, was etwa die US-Regierung einen „Völkermord“ nennt, waren Terroranschläge uigurischer Separatisten. In anderen Regionen des Landes wolle die Kommunistische Partei die Kulturen der Minderheiten hingegen marginalisieren, nicht aber gänzlich zerstören, glaubt Barnett.
Das gilt auch für Tibet, wo Menschenrechtlern zufolge vor allem die tibetische Sprache an den Rand gedrängt werden soll. (Den Buddhismus, der ursprünglich aus Indien nach China kam, betrachtet die Kommunistische Partei hingegen als „chinesisch“.) Aktivisten wollen herausgefunden haben, dass bis zu einer Million tibetische Kinder gegen den Willen ihrer Eltern in Zwangsinternate gesteckt werden, wo nur Chinesisch gesprochen werden darf. Chinas Regierung weist den Vorwurf zurück. Barnett sagt, es sei schwer zu beurteilen, wie viele Kinder in diese Internate geschickt würden und wie viel Zwang dabei im Spiel sei. Er sagt aber auch: „Es gibt viele Gründe, besorgt zu sein.“ So sei der Grundschulunterricht in Tibet und anderen Minderheitengebieten offiziell zwar zweisprachig. „In der Praxis bedeutet das aber: 90 oder 95 Prozent Chinesisch.“
Minderheiten in China: „wie die Saaten eines Granatapfel“
Für Xi Jinping sollen Chinas ethnische Minderheiten und die Bevölkerungsmehrheit der Han-Chinesen „wie die Saaten eines Granatapfels sein – eng zusammengebunden in einer chinesischen Nation“. Für kulturelle Unterschiede ist da nur wenig Platz, das Chinesisch-sein steht über allem. Und weil es eine einheitliche Identität im Vielvölkerstaat China eigentlich gar nicht gibt, wird sie kurzerhand erfunden. Tibeter, Uiguren, Mongolen, Kasachen – alles Chinesen. Dabei wurden viele Regionen, die heute zur Volksrepublik gehören, den meisten Teil ihrer Geschichte nie von China kontrolliert. Die Idee, es gebe so etwas wie eine einzige „chinesische Volksgemeinschaft“, ist für Minderheiten-Forscher Barnett jedenfalls „eine völlig künstliche Konstruktion“.
Getrieben wird Xi Jinping dabei auch von einem Trauma, das Chinas Kommunisten seit Jahrzehnten schlaflose Nächte bereitet: dem Untergang der Sowjetunion, die aus 15 Teilrepubliken mit unterschiedlichen Bevölkerungen, Sprachen und Kulturen bestand. Weil Gorbatschow den Völkern zu große Freiheiten gewährt wurden, so Xis Analyse, zerfiel die Sowjetunion schließlich in ihre Einzelteile. Es ist diese Urangst, die in China nun auch Minarette zu Fall bringt und Sprachen an den Rand des Aussterbens.