Fachkräfteeinwanderung
„Drei Minus“ – Experte bewertet neues Einwanderungsrecht
VonGiorgia Grimaldischließen
Ab März gelten neue Gesetze für die qualifizierte Arbeitsmigration. Ein Anwalt erklärt, was neu ist und ob die Reform ihr Versprechen hält.
„Die User-Experience in Deutschland ist nicht gut“, sagt Anwalt und Experte für Migrationsrecht Marius Tollenaere über den Status Quo zur Fachkräfteeinwanderung. „Wir leisten uns zu viele Schleifen im System“. Dabei treten seit Verabschiedung der Reform zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz im vergangenen Sommer schrittweise wichtige Änderungen in Kraft.
So ist etwa die „Blaue Karte“ als Aufenthaltstitel für Hochschulabsolventen seit November 2023 mit einer abgesenkten Gehaltsschwelle deutlich attraktiver. Weitere Neuerungen sind seit dem 1. März 2024 gültig. Zum Beispiel die Möglichkeit für Fachkräfte aus Drittstaaten, sich bis zu drei Jahre in Deutschland aufzuhalten, um Zeugnisse und Berufspraxis anerkennen zu lassen oder um sich weiterzubilden. Zuvor war dies nur 18 Monate lang möglich.
Rechtsexperte erklärt das Problem mit der „heiligen Kuh“
Auch die praktische Erfahrung hat künftig mehr Gewicht bei der Einschätzung einer „qualifizierten“ Fachkraft. Eine große Veränderung, denn ausländische Praxis und Zertifikate bei Handwerksberufen in Deutschland anerkennen zu lassen, ist zäh. Grund dafür ist die „heilige Kuh“, sagt Tollenaere. Damit bezieht er sich auf das deutsche Anerkennungssystem auf Basis der dualen Ausbildung (Arbeit im Betrieb und Berufsschule), das die meisten anderen Länder nicht kennen.
Während Zertifikate und Praxiserfahrung zuvor der deutschen Norm entsprechen mussten, besagt die Reform, dass die Qualifikationsnachweise der Fachkraft jetzt am Standard ihres Herkunftslandes gemessen werden. „Ist ein Maurer aus Guatemala laut den dortigen Behörden ein qualifizierter Maurer, wird man ihn hier auch als qualifizierte Fachkraft anerkennen“, erklärt Tollenaere – vorausgesetzt er hat einen Abschluss und zwei Jahre Berufserfahrung.
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Warum es ITler und Ingenieure leichter haben als Handwerker
Ein wichtiger Schritt, aber: Um die Qualität des Einwanderungsprozesses in Deutschland zu bewerten, reiche es nicht, sich nur die rechtliche Lage anzusehen, mahnt der Anwalt. „Es geht auch um die Abwicklung“. Denn für „hochqualifizierte Fachkräfte“, etwa Ingenieure und ITler, arbeitet die zuständige Behörde (ZAB) mit einer eigenen Datenbank, um Studienabschlüsse abzugleichen. Für Ausbildungsberufe gibt es das nicht. Stattdessen muss jeder einzelne einen Prüfungsantrag stellen.
Laut Tollenaere ist das ein Problem. „Wir haben eine ausgeprägte und systemische Unterkapazität in der Einwanderungsverwaltung“. Solange es nicht mehr Personal in den Behörden gebe, laufe das Gesetz sogar Gefahr „Opfer des eigenen Erfolges zu werden“, so der Rechtsexperte. Die gesetzlichen Veränderungen sollen dazu führen, dass Deutschland als Einwanderungsland für Fachkräfte attraktiver wird. Doch schon jetzt arbeite die Bürokratie am Limit.
Man müsse anfangen, in belastbare Migrationsbehörden zu investieren. Ein Teil davon sei die Digitalisierung. „Wir brauchen aber auch Menschen in diesem System“. Entwickelte Migrationssysteme seien immer komplex und Spielball politischer und wirtschaftlicher Interessen. Die menschliche Komponente sei trotz aller Digitalisierung wichtig. Auch, um Einzelfälle abdecken zu können.
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„Eine drei Minus“ – diese Länder machen es besser
Je nach Fall gebe es auch in anderen Ländern ein paar Monate Wartezeit, erklärt Tollnaere. Der Unterschied sei aber die Grundeinstellung. „In Großbritannien zum Beispiel verlangt man nicht mehr die Originaldokumente“, damit nehme man ein gewisses Missbrauchsrisiko zugunsten der Effizienz in Kauf.
Im Vergleich zu Ländern wie Kanada oder Schweden zeige Deutschland auch eine andere Haltung bei der Frage, wer das größte Interesse an der Fachkräfteeinwanderung hat. „Hier hängt alles am Arbeitnehmer“, sagt der Anwalt und bezieht sich auf die Vorsprache bei Ämtern und die Bereitstellung sämtlicher Dokumente. Andere Länder nehmen die Arbeitgeber dabei viel mehr in die Pflicht. Dadurch bekommen sie aber auch mehr Rechte und profitieren letztlich von einer gewissen Planbarkeit: Unternehmen wissen, wann sie mit ihrer Fachkraft rechnen können.
In Deutschland sei das kaum möglich. Aufgrund langer Wartezeiten und vieler Einzelfallprüfungen wisse man nicht, wie lange der Prozess dauert. Das ist sowohl für Arbeitnehmer als auch Unternehmen ein Problem. „Wenn ein Arbeitgeber eine Stelle ausschreibt, ist sie in der Regel für jetzt oder bald und nicht für in einem Jahr“, sagt Tollnaere. Insgesamt bewertet der Experte das deutsche System als „drei minus“. Auf dem Papier sei vieles möglich. Doch bei der tatsächlichen Umsetzung hapere es noch.
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