„Verstörte Nation“
USA-Expertin warnt vor „Helden“-Inszenierung nach Trump-Attentat: „Steht jetzt in einer Reihe mit JFK“
VonFlorian Pfitznerschließen
Donald Trump kreiert kurz nach den Schüssen von Butler einen ikonischen Moment. Politologin Christiane Lemke sieht die US-Demokratie mehr denn je gefährdet.
Berlin – Den ursprünglichen Arbeitstitel für ihr Buch über die US-Wahl hat sie inzwischen gestrichen. „Herausforderungen für die Demokratie“ erscheint Christiane Lemke zu schwach. „Es geht ja längst nicht mehr nur um die Rhetorik von Donald Trump und seinen rechten Populismus“, erklärt die USA-Expertin IPPEN.MEDIA kurz nach dem Attentat auf Donald Trump in Pennsylvania, „es geht an die Grundfesten der amerikanischen Demokratie.“
Lemkes Sorge um die älteste Demokratie der Welt ist weiter gewachsen. „Dieser Angriff wird die USA gesellschaftlich und politisch noch tiefer spalten“, sagt die Professorin der Leibniz-Universität Hannover. „Wir erleben eine verstörte Nation.“
„Trump-Anhänger werden sich bestätigt sehen, dass es sich um eine große Verschwörung handelt“
Das Trump-Attentat wird sich gravierend auf die Wahl im November auswirken. Die US-Amerikaner verlieren stetig das Vertrauen in die Institutionen des Landes. Nicht wenige Wahlberechtigte zweifeln nach dem Attentat auf Trump an der Integrität des Secret Service, zuständig für die Sicherheit von Präsidenten und früheren Präsidenten. „Anhänger von Donald Trump werden sich in ihrer Auffassung bestätigt sehen, dass es sich um eine große Verschwörung handelt“, meint Lemke. „Es werden bereits Spekulationen über den Secret Service geäußert, der Trump nicht richtig geschützt habe.“
Das Attentat, bei dem Trump leicht, zwei Zuschauer schwer verletzt und ein weiterer getötet wurde, löste international Entsetzen aus. Wie US-Präsident Joe Biden verurteilten zahlreiche Politiker und Politiker politisch motivierte Gewalt. Trump selbst suchte im Angesicht größter Bedrohung die Kameras. Er riss eine Faust nach oben und rief „fight, fight, fight“. In jenem Moment der Lebensgefahr habe Trump „die Situation für sich genutzt und ein ikonisches Bild geschaffen“, erklärt Lemke. „Er hätte ja auch geduckt bleiben können.“
Trump folgt seinem politischen Instinkt – und steht plötzlich in eine Reihe mit Kennedy
Trump aber folgte seinem politischen Instinkt. „Er schafft es, in gewissen Situationen medientauglich zu reagieren“, sagt Lemke, die auch an der Universität von North Carolina at Chapel Hill lehrt. Diese Qualität habe sich während des Wahlkampfauftritts mehr denn je für ihn ausgezahlt: „Bei aller Tragik ist dieses Bild fast schon ein Lehrbeispiel für eine politisch-mediale Inszenierung.“
Die republikanische Partei wird ihren Kongress in Milwaukee voraussichtlich nutzen, um vor dem Hintergrund des Attentats politische Geländegewinne zu erzielen. Trump werde sich über die nächsten Monate bis zur Wahl als amerikanischer Held gerieren, erwartet Lemke. „Nun kennt auch das letzte Kind im Mittleren Westen seinen Namen. Er hat noch einmal enorm an Popularität hinzugewonnen.“ Die Politikwissenschaftlerin hat vor dem Nominierungsparteitag der Republikaner gegoogelt: „Wenn man jetzt nach ‚John F. Kennedy‘ und ‚Attentat‘ sucht, wird direkt auch Donald Trump aufgelistet. Er steht jetzt in einer Reihe mit JFK“, betont Lemke. „Das allein zeigt schon die historische Bedeutung dieses Bildes.“
Die Demokraten stecken indes in einem Dilemma, wie Lemke erläutert: „Sie stellen ihren Wahlkampf jetzt für ein paar Tage zurück. Aber auch anschließend werden sie Trump persönlich nicht mehr so hart angreifen können, wie sie es bisher getan haben.“ Eigentlich von den Demokraten gesetzte Themen wie Frauenrechte würden an den Rand gedrängt. „Dafür wird es jetzt noch viel häufiger um Waffengewalt und Einwanderung gehen.“
Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa/AP | Gene J. Puskar
