Wahlkampf in den USA

Evangelikale vor US-Wahl: „Sie sehen in Trump die Reinkarnation von Jesus Christus“

  • Florian Pfitzner
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Der Rechtspopulist Donald Trump ist für Fans in den USA nicht nur eine Heldenfigur, sondern auch ein Heiliger. Er greift das Motiv geschickt auf.

Berlin – Die professionelle Gelassenheit, mit der Michael Butter normalerweise die großen Fragen einordnet, ist vorerst verflogen. „Mit Blick auf die USA ist meine Sorge wirklich groß geworden“, sagt der profilierte Amerikanist im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Sollte Donald Trump bei der US-Wahl im November als Sieger hervorgehen, sei die älteste Demokratie der Welt in ihren Grundfesten gefährdet. „Möglicherweise wäre es wohl besser gewesen, wenn Trump 2020 wiedergewählt worden wäre.“

Steile These, mag man meinen, Butter aber scheint überzeugt: „Mit der Wahl wäre Trump eine seiner Hauptanschuldigungen entzogen worden: dass sich das politische Establishment angeblich gegen ihn verschworen hat. Er hätte seine konstruierte Opfergeschichte nicht zu einer Heldengeschichte umkehren können.“ Trump, so glaubt Butter, wäre in einer zweiten Amtszeit das geworden, was die meisten seiner Vorgänger im Weißen Haus geworden seien: eine „lame duck“, politisch weitgehend handlungsunfähig.

Trump ist nicht der erste US-Politiker, der zum Helden stilisiert wird

Nun aber strebt Trump eine Rückkehr ins Oval Office an – wortgewaltig wie immer und mit einer ihm ergebenen Anhängerschaft, die ihn nicht nur als ihren Kandidaten sieht, sondern als Held und Heilsbringer. „In den Vereinigten Staaten gibt es eine lange Tradition der Heroisierung von Präsidenten“, erklärt Butter. Gesehen habe man das auch bei Barack Obama, der in seiner Hochphase mit Spider Man und anderen Superhelden gleichgesetzt worden sei. Trump aber habe die republikanische Partei „gekapert – auch weil sie für seine zugespitzte Rhetorik und seine Verschwörungserzählungen von vornherein empfänglich war“.

Glaubensleute beten 2020 mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump.

Zudem gibt es in der Geschichte der amerikanischen Demokratie eine lange Tradition der christlichen Heilsbringung. „Oder präziser gesagt: der Messianisierung von Präsidenten“, sagt Butter, Professor für amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. US-Präsident Abraham Lincoln wurde am Karfreitag des Jahres 1865 getötet. „Über kaum ein Thema wurde in den USA mehr Gedichte geschrieben.“

Das gescheiterte Attentat und die „Gnade des Allmächtigen“

Im eigentlich säkular geprägten Amerika gleicht der Präsident der Figur eines Hohepriesters. „Man merkt das bis heute vor allem, wenn er zur Lage der Nation spricht“, erläutert Butter. „In diesem Wahlkampf laufen nun die beiden großen Traditionen, Held und Messias, zusammen – spätestens seit dem Attentat auf Trump.“ Auf dem Parteikongress in Milwaukee, die Republikaner hatten ihn gerade offiziell zu ihrem Kandidaten gekürt, griff Trump das Motiv geschickt auf und gab den Auserwählten. „I stand before you in this arena only by the grace of almighty God“, sagte er feierlich. Er stehe nur wegen der Gnade des Allmächtigen in dieser Arena.

So furchtbar das Attentat auf Trump gewesen ist: „Er nutzt es für seine Zwecke und steigert damit noch einmal die Selbstheroisierung, die er schon seit Jahren betreibt“, erklärt Butter. „Er inszeniert sich damit als die Führungsfigur, die Amerika aus seiner Sicht und der seiner Anhänger so dringend braucht.“ Zugejubelt wird ihm dabei mehr denn je auch von evangelikalen Christen des Landes. „Sie sehen in Trump nichts weniger als die Reinkarnation von Jesus Christus.“

Aus Sicht vieler Evangelikaler hat Trump geliefert

Trump war der erste Präsident in der US-Geschichte, der sich dem „March for Life“ angeschlossen hatte, einer Demonstration von radikalen Abtreibungsgegnern und -gegnerinnen. Zudem setzte er jene drei Richter am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, durch, die schließlich mit dafür sorgten, dass nach fünfzig Jahren das bundesweite Recht auf Schwangerschaftsabbruch fiel. Aus Sicht vieler Evangelikaler hat Trump damit das geliefert, was andere republikanische Präsidenten nur versprochen hätten.

Dass Donald Trump die US-Wahl im November verlieren könnte, hält der Amerikanist Michael Butter für extrem unwahrscheinlich. „In den am Ende entscheidenden Staaten, den Swing States“, zu ihnen gehören etwa Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, „steht Kamala Harris in den wenigen Umfragen derzeit nicht besser da als vor ihr Joe Biden“, begründet Butter. „Sollte Trump am Ende doch verlieren, könnte er zur Gewalt aufrufen.“ Im Gegensatz zu 2021, als Trump seine Anhänger zum Sturm auf das Kapitol anstachelte, hätte er dann zumindest keinen Einfluss auf die Nationalgarde. „Das wäre die gute Nachricht.“

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