Einst Putins „Marionette“
„Vom System-Versagen ablenken“: Experte erklärt Lukaschenkos Rolle für den Kreml im Wagner-Aufstand
VonBona Hyunschließen
Nach dem Wagner-Aufstand rückt Alexander Lukaschenko in den Fokus. Osteuropaexperte Friedman erklärt Ippen Media: Damit könnte der Kreml eine Strategie verfolgen.
Minsk – Ausgerechnet er schafft es, einen vermeintlichen Putschversuch von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin auf Präsident Wladimir Putin abzuwenden: Alexander Lukaschenko. Plötzlich scheint der belarussische Präsident, einst bekannt als Putins ersetzbarer Hanswurst, die Gunst des Kreml zu genießen. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Ein Fachmann hat IPPEN.MEDIA Lukaschenkos Rolle am Tag des Wagner-Aufstands erklärt.
Nach Wagner-Aufstand: Kreml wertet Lukaschenko als „Retter Russlands“ auf
Lukaschenko hatte mit Prigoschin telefoniert und mit ihm anscheinend einen Waffenstillstand ausgehandelt. In der offiziellen russischen Version der Ereignisse, die Putins Pressesprecher Dmitri Peskow noch am späten Samstag verbreitete, fungiere Lukaschenko als zentrale Figur bei den Verhandlungen mit Prigoschin, sagt Osteuropaexperte Alexander Friedman Merkur.de von IPPEN-MEDIA. „Diese Darstellung hat die russische Propaganda aufgegriffen und Lukaschenko zum ‚Retter Russlands‘ stilisiert.“
Welche Funktion Lukaschenko bei dem Deal tatsächlich gespielt hat, bleibt vorerst unklar. „Ob er jedoch in der Tat selbst einen Deal mit Prigoschin ausgehandelt oder dabei lediglich eine Nebenrolle gespielt hatte, ist aus meiner Sicht zweitrangig“, betont Friedman: „Die Wahrheit werden wir wohl in der absehbaren Zukunft ohnehin nicht erfahren.“
„Bemerkenswert finde ich hingegen, dass der Kreml den ‚Ausländer‘ Lukaschenko bewusst aufwertet“, so Friedman. Das habe mutmaßlich folgende Gründe: „Um erstens das ohnehin fragile Gleichgewicht im Putins Umfeld nicht zu gefährden, zweitens die Aufmerksamkeit vom System-Versagen während der Meuterei abzulenken und drittens den moskautreuen belarussischen Staatschef eventuell später im Rahmen der Verhandlungen mit dem Westen beziehungsweise mit der Ukraine einzusetzen.“
Lukaschenko verhandelt mit Prigoschin – für „Publicity“?
Eine weitere Theorie besagt, dass Lukaschenko es bei der Verhandlung mit Prigoschin selber auf Anerkennung des Kreml und der Öffentlichkeit abgesehen hatte. „Er liebt die Publicity – deshalb hat er zugestimmt“, zitierte das russische Exilmedium Meduza eine kremlnahe Quelle. Lukaschenko profitiere eindeutig von seiner Rolle als Vermittler. Denn er wisse, „wie man von der Publicity profitiert, wenn man derjenige ist, der Russland vor einem Blutvergießen oder –schlimmer noch – einem möglichen Bürgerkrieg bewahrt“, so die Quelle.
Lukaschenko gelang es, auch die internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Noch vor kurzem galt der Diktator als eine „unbedeutende russische Marionette“, wie Friedman sagt. „Heute scheint man seine Eigenständigkeit und vor allem seinen Einfluss in Russland eher zu überschätzen.“ So genieße Lukaschenko die unerwartete internationale Aufmerksamkeit und inszeniere sich gezielt als wichtiger politischer Akteur. Auch über einen Dank des russischen Präsidenten im russischen TV konnte sich Lukaschenko bereits freuen. „Ich bin dem Präsidenten von Belarus, Alexander Lukaschenko, für seine Bemühungen und seinen Beitrag zur friedlichen Lösung der Situation dankbar“, sagte Putin in einer Rede im russischen TV.
Rolle Lukaschenko im Wagner-Aufstand – Kritik am Kreml
Gemessen an Lukaschenkos Äußerungen nach dem Wagner-Aufstand scheint der belarussische Präsident allerdings den Fokus eher auf den Ernst der Lage, als auf sich selbst und seinen „Erfolg“ zu legen. Bei einer Auszeichnungszeremonie in Minsk für hochrangige Militärs sagte er laut der belarussischen Nachrichtenagentur Belta, dass weder er noch Putin oder Prigoschin als „Helden“ zu bezeichnen seien. „Wenn Russland zusammenbricht, werden wir unter den Trümmern zurückbleiben, wir werden alle sterben“, sagte Lukaschenko.
Zudem habe er, so behauptete Lukaschenko, seine Armee während des Wagner-Aufstandes in „Kampfbereitschaft“ versetzt gehabt. Die Armee sowie auch Polizei und Spezialeinheiten seien innerhalb eines Tages „in volle Gefechtsbereitschaft“ gebracht worden. Ebenfalls räumte er ein, dass alle Beteiligten die Gefahr der Eskalation des Konflikts anfangs falsch eingeschätzt hätten – offenbar gemeint als eine Kritik an den Kreml.
Wagner-Gruppe marschiert in Richtung Moskau: Bilder zum Putschversuch in Russland




Nach Wagner-Aufstand: Prigoschin landet in Belarus
Inzwischen bestätigte Lukaschenko, dass Jewgeni Prigoschin in Belarus gelandet ist. Zwar hat der Kreml das Strafverfahren gegen den Wagner-Chef eingestellt, doch Experten sind sich sicher, dass Prigoschin dort ein tragisches Schicksal blüht. Jill Dougherty, ehemalige Leiterin des Moskauer Büros von CNN und langjährige Expertin für russische Angelegenheiten, hält es für möglich, dass Prigoschin „in Belarus getötet wird.“
Prigoschin aus dem Weg zu räumen stelle Moskau allerdings vor ein Dilemma. Denn solange Prigoschin irgendeine Art von Unterstützung hat, sei er eine Bedrohung, erklärte Dougherty. Über das Schicksal Prigoschins und Lukaschenkos künftige Rolle für Wagner und den Kreml lässt sich aber weiterhin nur spekulieren. (bohy)
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