Kolumne
Kopf-an-Kopf-Rennen vor US-Wahl: Zwei Frauen und ein Hurrikan könnten Zünglein an der Waage sein
- VonJames Warren Davisschließen
Das Ergebnis der US-Wahl wird wohl denkbar knapp ausfallen. Während Donald Trump Hurrikan Helene als Chance wittert, tauchen zwei Frauen auf dem politischen Parkett auf.
Kaum jemanden kann die USA, ihre Politik und die kommenden Präsidentschaftswahlen besser analysieren als er: der amerikanische Politikwissenschaftler James W. Davis. Er ist ausgewiesener Experte für US-Politik und Internationale Beziehungen, lehrt seit Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum. Für IPPEN.MEDIA schreibt er regelmäßig über die Lage der USA und die kommende Präsidentschaftswahl.
Helene, Liz und Melania. Nach der Vizepräsidentschaftsdebatte, die gemäß meiner Vorhersage in dieser Zeitung, ziviler und politikorientierter verlief als viele erwartet hatten, sind dies die Namen, die den US-Präsidentschaftswahlkampf in der vergangenen Woche dominierten. Wer sind diese drei „Damen“ und welche Auswirkungen könnten sie auf den Verlauf einer sehr knappen Wahl haben?
Hurrikan Helene: Donald Trump wittert politische Chance
Beginnen wir mit der „stürmischsten“ der Drei. Hurrikan «Helene» traf am 26. September auf Florida. Dann überquerte Helene die wichtigen Wahlkampfstaaten Georgia und North Carolina. Sie richtete vor allem in den Bergregionen von North Carolina verheerende Schäden an, wo zahlreiche Gemeinden durch schwere Überschwemmungen, Schlammlawinen und Windschäden von der Außenwelt abgeschnitten sind. In Gemeinden wie Asheville im Bundesstaat North Carolina sind Strom- und Mobiltelefonnetze ausgefallen. Luftaufnahmen erinnern eher an den Gazastreifen oder den Donbas. Als Reaktion darauf haben die Gouverneure in der gesamten Region den Notstand ausgerufen, wodurch sie Zugang zu Soforthilfegelder haben, um den Opfern zu helfen.
Donald Trump witterte eine politische Chance. Er besuchte die Region und begann sofort, ein neues Netz von Lügen zu spinnen. Der „FEMA“ - der Katastrophenschutzbehörde der Bundesregierung - gehe das Geld aus, weil Kamala Harris die Mittel veruntreut habe, um illegale Einwanderer unterzubringen! Die Nothilfe habe man nur an jene Bezirke weitergeleitet, die bei der letzten Wahl für Joe Biden gestimmt hatten. Die republikanischen Bezirke seien auf sich allein gestellt. Abgesehen davon, dass die Vizepräsidentin nicht befugt ist, Bundesmittel umzuleiten, sind die Behauptungen so haarsträubend, dass der republikanische Gouverneur von Georgia sich veranlasst sah zu verkünden, er habe direkt mit Präsident Biden gesprochen, der ihm alles zur Verfügung stellt habe, was er verlangt habe. Inzwischen haben Präsident Biden und Vizepräsident Harris mehrere Orte in der vom Sturm verwüsteten Region besucht und Biden hat eintausend Bundestruppen nach North Carolina entsandt, um bei der Verteilung der Hilfe und den Aufräumarbeiten zu helfen.
Vor der US-Wahl: Harris gegen Trumps Behauptungen immunisieren
Wenn Biden das Bild einer kompetenten und mitfühlenden Bundesregierung vermitteln kann, sollte er in der Lage sein, Harris gegen Trumps absurde Behauptungen zu immunisieren. Mit Blick auf die Wahl am 5. November stellen sich jedoch noch andere interessante Fragen. Vor allem in North Carolina sind viele der traditionellen Wahllokale nicht mehr benutzbar. Können die lokalen Behörden rechtzeitig eine Alternative finden? Oder werden wir eine geringere Wahlbeteiligung erleben als sonst? Wenn ja, würde dies den Republikanern oder den Demokraten zugutekommen?
► James W. Davis, US-Amerikaner, ist einer der renommiertesten Experten für US-Politik und internationale Beziehungen.
► Er studierte Internationale Beziehungen an der Michigan State University, promovierte 1995 in Politikwissenschaft an der Columbia University und habilitierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis 2005 lehrte.
► Seit 2005 ist er Professor für Internationale Beziehungen und Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen.
►Davis ist Autor mehrerer Bücher und hat zahlreiche wissenschaftliche Ehrungen erhalten, darunter Gastprofessuren und Fellowships an renommierten Institutionen.
Republikaner und Demokraten müssten sich diese Woche auch die Augen gerieben und sich gefragt haben, ob sie halluzinieren. Aus Ripon, einer Kleinstadt im „Swing State“ Wisconsin, tauchten überraschende Bilder von einer Wahlkampfveranstaltung in den Medien auf. Ripon ist bekannt als der Ort, in der 1854 die republikanische Partei bei einer Versammlung gegen die Sklaverei im örtlichen Schulhaus gegründet wurde. Doch letzte Woche war Ripon Schauplatz einer Wahlkampfveranstaltung, bei der die konservative Republikanerin Liz Cheney zusammen mit Kamala Harris auf der Bühne zu sehen war. Cheney, die Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, attackierte in ihrer Rede Donald Trump und appellierte an ihre republikanischen Parteifreunde, sich ihr anzuschließen und die Demokratin Kamala Harris zu wählen. „Land vor Partei“ lautete ihre Botschaft.
Im Jahr 2020 gewann Biden Wisconsin mit weniger als 21.000 Stimmen. Neueste Umfragen deuten nun darauf hin, dass das Rennen heute zu knapp ist, um einen klaren Sieger oder Siegerin erkennen zu können. Könnte Liz Cheney einige unzufriedene Republikaner auf die Seite der Demokraten ziehen und Harris somit über die Ziellinie helfen? Die Reihen der unzufriedenen Republikaner könnten sich in der vergangenen Woche durch die Veröffentlichung von Melania Trumps Memoiren noch ein wenig vergrößert haben. Der Schlüssel zu Donald Trumps Wahl im Jahre 2016 war die Unterstützung der religiösen Rechten, denen er eine Regierung versprach, die das Bundesrecht auf Abtreibung abschaffen würde.
Debatte um Abtreibung: Subtile Einflussnahme auf Ergebnis der US-Wahl?
Durch eine Reihe von Richterernennungen gelang es Trump, das Gleichgewicht des Obersten Gerichtshofes zu verschieben, der dann 2022 einen 50 Jahre alten Präzedenzfall aufhob und damit das Recht der Frau auf einen Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimester wegnahm. Für die religiöse Rechte war der Sieg offenbar ein Pyrrhussieg, denn in der Zwischenzeit haben die Wähler und Wählerinnen Initiativen zur Verankerung des Rechts in der Gesetzgebung der Gliedstaaten in etlichen Bundesstaaten verabschiedet.
Nicht umsonst hat Kamala Harris die Abtreibung zu einem der Hauptthemen ihrer Kampagne gemacht. Und jetzt kommt Melania. Nur einen Monat vor der Wahl veröffentlichte Melania Trump in den sozialen Medien eine Werbung für ihre Memoiren, in der sie mit ihrem Mann und seinen religiösen Anhängern bricht: „Warum sollte jemand anderes als die Frau selbst die Macht haben bestimmen zu können, was sie mit ihrem eigenen Körper macht? Das fundamentale Recht einer Frau auf individuelle Freiheit, auf ihr eigenes Leben, gibt ihr die Befugnis ihre Schwangerschaft abzubrechen, wenn sie es denn wünscht.“ Was ist hier eigentlich los? Es ist schwer vorstellbar, dass die ehemalige First Lady sich der Kontroverse, die eine solche Aussage in der Trump-Welt auslösen würde, nicht bewusst war. Könnte es sein, dass sie auf subtile Weise versucht, das Ergebnis im November zu beeinflussen?
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